Politik im Auftrag künftiger Jahrzehnte: Klimaschutz in Tschechien und der EU
Ein Friedensnobelpreis für Al Gore und den UN-Klimarat, Diskussionen um die Abhängigkeit des Westens von Gasimporten aus Russland und von Erdöl aus der arabischen Welt, Nachrichten von Naturkatastrophen, die in Wirklichkeit hausgemachte Klimakatastrophen sind: Stärker und vor allem nachhaltiger als je zuvor beeinflussen Umwelt- und Energiepolitik nicht nur in Europa die öffentlichen Debatten. Zwischen den großen Schlachtplänen im Kampf gegen die Erderwärmung und ihrer Umsetzung in der Praxis gibt es aber oft eine große Kluft. Wie realistisch sind die Pläne der EU und die konkreten Vorhaben Tschechiens?
"Erstens müssen wir die Klimagasemissionen in der Europäischen Union bis zum Jahr 2020 um 30 Prozent - und danach noch stärker - reduzieren. Zweitens soll die Kernenergie nicht weiter ausgebaut werden. Das heißt: keine neuen Kernkraftwerke errichten und damit die Kernenergie auslaufen lassen. Und drittens müssen wir die Energieimporte so weit wie sinnvoll möglich beschränken."
Dazu müsse man trotz steigenden Wirtschaftswachstums massiv Energie einsparen und den Anteil erneuerbarer Energien, etwa aus Windkraft und Biomasse, bis 2030 auf 40 Prozent erhöhen, so Matthes. Außerdem soll der Verbrauch von Kohle und Öl deutlich gesenkt und auch der Gasverbrauch in den Haushalten reduziert werden. Umgekehrt will man einen höheren Anteil von Gas für die Stromerzeugung nützen. Möglich ist das alles, meint Matthes - aber alles andere als einfach:
"Es gibt zwei Arten von Schwierigkeiten. Die erste besteht darin, dass man bestimmte Dinge mit vielen Akteuren erreichen muss. Zum Beispiel wenn es darum geht, Häuser zu isolieren oder Heizungen zu erneuern, müssen wir in der Europäischen Union 100 Millionen Haushalte adressieren, die etwas tun müssen. Das heißt, es gibt das Problem in der Breite. Die zweite große Herausforderung ist die der Eingriffstiefe. Wir werden Klimaziele nur dann erreichen, wenn wir einen erheblichen Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid erzielen. Dafür haben wir ein Instrument, das das potenziell kann, nämlich das europäische Emissionshandelsystem. Dieses wird aber zu erheblichen Widerständen von ganz wenigen, aber deshalb auch sehr mächtigen Akteuren führen. Das heißt, die Herausforderung ist es, einerseits Politik in die Breite zu machen, also ganz viele Akteure zu aktivieren, und sich zweitens mit einigen ganz großen Akteuren anzulegen, die immerhin für 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union verantwortlich sind."
In Tschechien sind seit Anfang des Jahres die Grünen in der Regierung vertreten. Sie sind zwar kleinster Partner in einer Koalition mit Bürgerdemokraten und Christdemokraten, können aber als Mehrheitsbeschaffer für das Mitte-Rechts-Kabinett doch einigen Einfluss geltend machen. Eines ihrer Hauptprojekte ist die so genannte "ökologische Steuerreform", die ab 2008 schrittweise umgesetzt werden soll. Vojtech Kotecky von der Umweltschutzorganisation DUHA hofft, dass den Worten nun tatsächlich Taten folgen:
"Die Tschechische Republik respektive die tschechischen Regierungen sind seit einer ganzen Reihe von Jahren sehr gut darin, von ihren Plänen zu sprechen. Auf dem Papier gibt es etwa das ambitionierte Ziel, zwischen den Jahren 2000 und 2020 die CO2-Emissionen um etwa ein Drittel zu senken. Da wären wir 2020 dann ungefähr auf dem Niveau, auf dem heute Großbritannien oder Deutschland sind. Ein bestimmter Fortschritt wäre das natürlich. Das Problem besteht aber darin, dass es keine konkreten Maßnahmen gibt, um dieses Ziel auch zu erreichen. Es fehlen Maßnahmen, die etwa den Energiebedarf der Industrie senken und den hohen CO2-Ausstoß verringern würden - ein Bereich, in dem Tschechien zu den Schlusslichtern Europas zählt."
Nun soll auf Energie, vor allem auf fossile Brennstoffe wie Kohle, eine Ökosteuer eingehoben werden. Strom und Heizung werden also teurer, das Zauberwort aber heißt "kostenneutral". Die Mehrausgaben der Haushalte sollen nämlich durch verminderte Beiträge zur Sozial-, Renten- und Krankenversicherung kompensiert werden. Die größten Auswirkungen wird die Reform aber für die Wirtschaft haben.
"Auf diese Weise wird die Industrie dazu motiviert, in saubere und effektive Technologien zu investieren und gleichzeitig neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir schlagen also zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir senken Umweltverschmutzung und Arbeitslosigkeit, und wir fördern damit auch die Einführung effektiver und konkurrenzfähiger Technologien", so Kotecky.
Wird die Industrie die Mehrkosten aber nicht an die Verbraucher weitergeben und die ohnehin steigenden Energiepreise damit noch weiter in die Höhe treiben? Vojtech Kotecky von der Umweltschutzorganisation DUHA befürchtet nicht, dass es zu einer solchen Kostenspirale kommt:
"Gerade die steigenden Energiepreise sind ein weiterer Grund, energieeffiziente Technologien zu fördern und auch den Haushalten zu helfen, Energie zu sparen - zum Beispiel durch Isolierungen, die wiederum die Heizkosten verringern. In diesem Bereich gibt es enorme Möglichkeiten, und die müssen wir nutzen. Die ökologische Steuerreform soll hier Anreize schaffen: für die Industrie, die die entsprechenden Angebote vorlegen soll, und für die Haushalte, deren Kosten sich eben nicht erhöhen sollen. Denn der Verbrauch natürlicher Ressourcen wird zwar teurer, dafür aber werden andere Abgaben gesenkt und den Menschen bleibt mehr von ihrem Gehalt."
Mit allzu großem Optimismus hält sich Umweltschützer Kotecky aber lieber noch zurück. Schließlich hat er auch in jüngster Zeit erlebt, wie schnell hehre Pläne sich zu Lippenbekenntnissen wandeln.
"Ein anschauliches Beispiel ist der nationale Plan für den europäischen Emissionshandel. Die tschechische Regierung möchte die CO2-Emissionen zwar rasant verringern, aber in dem Moment, als eine konkrete Entscheidung über den erlaubten CO2-Ausstoß für die tschechische Industrie gefallen war, schlug sie sofort eine Erhöhung vor. Das steht natürlich in krassem Gegensatz zu dem, was die Regierung sagt. Schließlich griff die Europäische Kommission ein und wies diesen Vorschlag zurück, so dass die Emissionen wenigstens ungefähr auf dem jetzigen Niveau bleiben."
Man darf also gespannt sein. Denn dass in Umwelt- und Energiefragen nicht alle Regierungspolitiker mit einer Stimme sprechen, das wurde erst dieser Tage wieder deutlich. Und zwar in der Diskussion um einen eventuellen Ausbau des südböhmischen Kernkraftwerks Temelin.