Positiv globalisiert: Febiofest stellt Programm vor
Mittlerweile ist das Febiofest in Prag ein renommiertes internationales Filmfestival. In knapp zwei Wochen wird die 27. Auflage des Febiofestes eröffnet. Dabei können sich die Besucher auf zwei Wettbewerbe und viele hochkarätige Gäste freuen. Zu ihnen gehören der US-amerikanische Schauspieler Woody Harrelson, die polnische Regisseurin Agnieszka Holland und der japanische Filmemacher Hirokazu Kore-eda. Die künstlerische Leitung des Festivals hat in diesem Jahr neben Marta Švecová Lamperová auch Nikolaj Nikitin übernommen. Martina Schneibergová hat mit ihm über das Programm gesprochen.
Herr Nikitin, erinnern Sie sich daran, wann Sie zum ersten Mal vom Febiofest gehört haben?
„Ich glaube, das war vor etwa 20 Jahren. Es war immer ein Gesprächsthema während der Treffen mit dem damaligen Festival-Leiter Štefan Uhrík und seiner Frau Hana, mit denen ich befreundet bin. Zudem hat mein verehrter ehemaliger Chef Dieter Kosslick 2014 beim Febiofest den Kristián-Preis erhalten. Ich habe zwar viel von dem Festival gehört, war aber nicht so oft da, weil die Post-Berlinale für mich immer so eine Ruhezeit, Auszeit und Nachbearbeitungszeit war. Jetzt fühle ich mich sehr geehrt, zusammen mit Marta Lamperová die künstlerische Leitung des Febiofest zu übernehmen. Ich freue mich sehr, dass es in knapp zwei Wochen losgeht und dass trotz Coronavirus hoffentlich alle Gäste kommen werden und niemand Angst haben wird, ins Kino zu gehen. Aber abgesehen davon sind wir sehr glücklich mit dem Programm. Wir haben ein paar Änderungen gemacht und den Hauptwettbewerb extrem verschlankt: Er besteht nur aus sieben Filmen, aber dafür aus der gesamten Welt. Wir konzentrieren uns auf den Nachwuchs. Zum Wettbewerb sind Filmdebüts oder zweite Filme angemeldet.“
Können Sie einen der Streifen etwas näher vorstellen?
„Für das tschechische Publikum ist ,Servants‘ vielleicht besonders interessant. Es handelt sich um eine slowakisch-rumänisch-irisch-tschechische Koproduktion. Der Film spielt in der ehemaligen Tschechoslowakei während des Kommunismus, und es geht um die Rolle und die Machtstrukturen der Kirche. Es ist ein sehr starker Film vom slowakischen Regisseur Ivan Ostrochovský. Er kommt persönlich nach Prag, um den Film vorzustellen. Vor zwei Wochen hatte er im neuen Berlinale-Wettbewerb Encounters seine Premiere. Es ist ein sehr bewegender, emotionaler und künstlerisch sehr hochwertiger Film mit wunderbaren Schwarzweißbildern. Der Darsteller des Priesters ist der rumänische Schauspieler Vlad Ivanov, den man vom Palm d’Or-Gewinner ,4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage‘ von Cristian Mungiu kennt. Zudem gibt es im Hauptwettbewerb einen Film aus dem Sudan, was sehr selten ist. Wir haben auch eine polnische, eine russischen sowie eine norwegischen Produktion. Abschließend wird eine italienisch-französische Zusammenarbeit gezeigt: Pietro Marcello hat den Bestseller-Klassiker ,Martin Eden‘ von Jack London verfilmt. Es geht um einen jungen Mann, dem nichts wichtiger ist als die Bildung. Im Zeitalter der Digitalisierung, in dem niemand mehr liest, in dem man alles googeln kann und die Bildung nichts wert ist, finde ich das Thema wichtig.“
„Als ich übrigens gefragt wurde, ob ich nach Prag komme, waren meine erste Assoziation, die ich mit dem tschechischen Kino verbinde, schwarze Filmkomödien wie ,Tausendschönchen‘ von Věra Chytilová, das ist eine meiner Lieblingskomödien.“
Neben dem Hauptwettbewerb wird es diesmal einen neuen Wettbewerb der Filmkomödien geben. Was war der Beweggrund?
„Normalerweise sagt man, dass Komödien nicht ,reisen‘, dass man Filmkomödien aus einem anderen Land nicht versteht. Aber wir glauben, dass es doch möglich ist. Es gibt beispielsweise Komödien, die über Situationskomik und über den Witz im Bild sehr gut funktionieren. Eine davon ist der israelische Film ,Mossad‘ von Alon Gur Arye. Als ich übrigens gefragt wurde, ob ich nach Prag komme, waren meine erste Assoziation, die ich mit dem tschechischen Kino verbinde, schwarze Filmkomödien wie ,Tausendschönchen‘ von Věra Chytilová, das ist eine meiner Lieblingskomödien. Die ersten noch in der Tschechoslowakei entstandenen Filme von Miloš Forman ,Der schwarze Peter‘, ,Der Feuerwehrball‘, ,Die Liebe einer Blondine‘ sind die größten Filmkomödien, die es gibt. Auch Jiří Menzel drehte großartige Streifen in dieser Kategorie. Wir hoffen, dass wir damit den Zuschauern wieder ein Gefallen tun in einer Zeit, wo alles dunkel ist. Man schlägt heutzutage die Zeitung auf und liest nur über Kriege und Tote.“
Der zweifelsohne berühmteste Gast des diesjährigen Festivals ist Woody Harrelson. Aus welchem Anlass kommt er nach Prag?
„Er wird zu Ehren von Oren Moverman kommen, einem US-amerikanischen Drehbuchautor, Produzenten und Regisseur, der hierzulande vielleicht noch nicht bekannt ist. Aber wir hoffen, dass ihn die Filmfans nun entdecken werden. Nach Prag kommt auch Hirokazu Kore-eda, der zu den Top-Ten der Regisseure der Gegenwart gehört. Der japanische Filmemacher gewann voriges Jahr mit dem Streifen ,Shoplifters‘ die Filmfestspiele in Cannes. Das Festival wird mit seinem Film ,The Truth‘ beendet, in dem unter anderem Catherine Deneuve spielt. Sie nahm schon einmal am Febiofest teil. Eröffnet wird das Febiofest mit Agnieszka Hollands neuestem Film ,Scharlatan‘. Wir sind froh, dass es eine tschechische Produktion ist. Der Hauptdarsteller ist der vielleicht wunderbarste Schauspieler der Gegenwart Ivan Trojan. Das ist auch ein Film, in dem es um Machtstrukturen und Machtmissbrauch geht. Ich freue mich wahnsinnig auf sie. Holland ist zwar in Polen geboren, studierte aber in Prag und spricht sehr gut Tschechisch.“
Werden die Zuschauer die Chance haben, Harrelson zu treffen?
„Ja, Woody wird hier ein ganzes Wochenende verbringen. Er wird bei der Vorstellung des Films ,Rampart‘ von Oren Moverman dabei sein, in dem er einen korrupten Polizisten hervorragend spielt.“
Für jeden der beiden Wettbewerbe gibt es eine Jury. Die Filmkomödien werden Juroren unter der Leitung der sehr gefragten tschechischen Schauspielerin Klára Melíšková bewerten. Haben Sie die Schauspielerin vorher gekannt?
„Ich kenne sie dem Namen nach und aus dem Kino, außerdem habe ich sie bei der Pressekonferenz als eine sehr sympathische Kollegin kennengelernt. Ich finde gut, dass ich nicht allein die künstlerische Leitung übernommen habe, sondern mit Marta Švecová Lamperová zusammenarbeite, die ich seit etwa 20 Jahren kenne. Sie lebt in Prag und kennt die tschechische Szene ausgezeichnet. Ich bin sehr gut international vernetzt, reise das ganze Jahr durch die Welt. Ich war in Asien, um Kore-eda zu holen, in New York, um mit Oren Moverman zu sprechen. In Venedig habe ich Atom Egoyan getroffen. Er ist ein hervorragender Regisseur armenischer Herkunft, der in Kanada lebt. Wir werden seine Filme ,Exotica‘ und ,The Sweet Hereafter‘ sowie seine neueste Produktion ,Guest of Honour‘ vorstellen. Ich bin sehr viel unterwegs, und wir ergänzen uns mit Marta gut. Was ich als Vorschlag vom internationalen Kino bringe, checkt sie und dann diskutieren wir lange darüber.“
„Wir sind kein kompetitives Festival in dem Sinne, dass wir Welt- und Europapremieren brauchen. Wir haben die gute Position, dass wir uns bedienen können. Wir können nicht nur Filme aus aller Welt holen, sondern eben Filme von verschiedenen Festivals.“
Das Febiofest konzentrierte sich zu Beginn auf europäische Filme, in den letzten Jahren werden immer mehr Produktionen aus Asien oder Lateinamerika gezeigt. Wie entsteht die Auswahl der Festivalfilme?
„Man spricht viel über die Globalisierung, und dies eher im negativen Sinne. Das Positive an dem Phänomen ist aber, dass man viel mehr Filme auswählen kann. Wir sind kein kompetitives Festival in dem Sinne, dass wir Welt- und Europapremieren brauchen. Wir haben die gute Position, dass wir uns bedienen können. Wir können nicht nur Filme aus aller Welt holen, sondern eben Filme von verschiedenen Festivals. Unter den Filmkomödien zeigen wir beispielsweise den Berlinale-Film vom vergangenen Jahr ,God Exists, Her Name Is Petrunya‘ von Teona Mitevska. Er hat voriges Jahr den Lux-Preis der EU gewonnen. Neben dem mazedonischen Streifen werden Filme aus Indien und Israel präsentiert. Gerade bei den Komödien war es mir wichtig, aus Europa rauszugehen. Ich finde es zudem spannend, den Blick nach Asien zu richten, im Fokus ist das Busan Filmfestival in Korea. Ich finde es toll, dass Tschechien als Produktionsland im Ausland aktiv ist, und dies nicht nur in der Slowakei oder in Deutschland. Der iranische Berlinale-Gewinner, der vor ein paar Tagen den Goldenen Bären holte, war eine Koproduktion mit Tschechien. Es ist wichtig, dass tschechische Zuschauer beim Festival ausländische Filme sehen, aber genauso wichtig ist, dass internationale Gäste Tschechien kennenlernen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Regisseure gesagt haben: ,In Prag wollte ich schon immer drehen.‘ Das hängt mit der Stadt und auch mit den Filmstudios Barrandov zusammen. Idealerweise kann sich aus dem Festivalbesuch auch Zusammenarbeit ergeben. Vielleicht dreht Kore-eda seinen nächsten Film nicht in Französisch, sondern in Tschechisch.“
Wegen der Coronavirus-Pandemie wird das Febiofest erst vom 18. bis 25. September stattfinden. Die Filme werden im Multikino Cinestar Anděl und in den Kinos Ponrepo und Edison Filmhub gezeigt. Anschließend wird eine Auswahl von Festivalfilmen in 13 weiteren tschechischen Städten vorgestellt.