Potential zur Verständigung - der Internationale Tag der Roma
Der achte April ist der internationale Tag der Roma. Er soll eine der größten Minderheiten der Tschechischen Republik und ihre Anliegen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Alles andere als eine leichte Aufgabe: In der tschechischen Mehrheitsmeinung sind die Roma nur als "cikani" präsent, als Zigeuner, als Diebe und Gesindel. Und auch die Roma selbst suchen häufig keinen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Über den Tag und die Lage der Roma in Tschechien erfahren Sie nun mehr im folgenden Forum Gesellschaft mit Thomas Kirschner.
"Für mich hat der internationale Tag der Roma eine enorme Bedeutung. Es ist ein Tag, an dem ich mir bewusst werde, dass die Roma eine Nation sind. Der Tag verbindet uns, wir haben einen gemeinsamen Grund zum Feiern und zur Freude und können auf der anderen Seite den Tag auch nutzen, um weitere Menschen anzusprechen."
Die junge und energiegeladene Gabriela Hrabanova möchte die Roma-Frage in Tschechien aktiv und offensiv angehen. Darauf deutet schon der Name der Roma-Initiative "Athinganoi" hin, deren Leiterin sie ist: Es ist die altgriechische Wurzel, aus der sich das heutige Wort "Zigeuner" oder tschechisch "cikan" entwickelt hat - im Tschechischen weit stärker als im Deutschen entwürdigend gemeint und gebraucht. "Athinganoi" ist der Versuch, das Wort und die eigene Geschichte zurückzuerobern. Dabei soll auch der Internationale Tag der Roma helfen, den die Initiative in Prag mit veranstaltet und der sich mit verschiedenen Aktionen keineswegs nur an Roma richtet, wie Gabriela Hrabanova betont:
"Wir bringen hier Themen auf, über die diskutiert werden sollte - daher etwa die Seminare an der Philosophischen Fakultät. Außerdem werden wir einen Infostand auf dem Prager Friedensplatz haben, wo wir den Leuten auf der Straße etwas zeigen wollen von Roma-Kultur, von Essen, Tanzen, aber zum Beispiel auch Kartenlegen. Damit bestärken wir ein bisschen die Klischees, aber auf der anderen Seite ist das etwas, das die Leute anspricht."
Geschätzt 200.000 Roma gibt es in Tschechien, nur 11.000 allerdings haben sich in einer Volkszählung auch zur Roma-Nationalität bekannt. Durch hohe Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildung und gesellschaftliche Absonderung ist das Leben der Roma in Tschechien weitgehend perspektivlos. Der Willen, daran grundlegend etwas zu ändern, fehlt auf beiden Seiten. Nur selten gelingt es jungen Roma, die Grenzen ihrer sozialen Herkunft zu übersteigen: Gerade einmal 13 Prozent schaffen es auf die Mittelschule, auf die Hochschulen gar nur zwei Prozent. Sie zusammenzubringen und aus ihnen den Kern einer Wiederbelebung der Roma-Gemeinschaft zu formen, das ist das Ziel von Athinganoi:
"Es gibt viele junge Roma, die als Roma auf einer Schule, an einer Uni ganz allein sind. Und dann gehört man nicht mehr richtig zu den Roma und die Tschechen akzeptieren einen auch nicht. Indem wir uns nun republikweit zusammengefunden haben, unterstützen wir uns gegenseitig und bestärken uns auch in unserer Roma-Identität."
Die Lage der Roma in Tschechien war nicht immer so deprimierend wie heute, wo die Arbeitslosigkeit bei 80 Prozent liegt. Wenn die Roma unter den Kommunisten auch Repressionen ausgesetzt waren, so waren sie doch immerhin ins Arbeitsleben integriert. Anfang der 90er Jahre war die Roma-Partei ROI gar mit einer eigenen Fraktion im damaligen tschechischen Nationalrat vertreten. Allerdings nur für kurze Zeit, erinnert sich der damalige Abgeordnete Ondrej Gina:
"Dass der ROI in den folgenden Jahren so ein Erfolg nicht mehr geglückt ist, das ist unter anderem eine Folge des vorübergehenden Aufstiegs der Extremisten in Tschechien in den 90er Jahren. Der hat sich nicht nur in der Roma-Bewegung selbst niedergeschlagen, sondern vor allem auch im Verhältnis zwischen Roma und Mehrheitsgesellschaft."
Die 90er Jahre sind in Tschechien geprägt von nationalistisch motivierten Gewalttaten gegen Roma, darunter auch zahlreiche Morde. Die Gegenmaßnahmen waren meist halbherzig. Für die fehlende Perspektive der Roma-Politik wurde Tschechien wiederholt international kritisiert, etwa 2003 vom Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen. Die Strukturen hätten sich seitdem durch Einführung von speziellen Beratungsstellen gebessert, räumt Ondrej Gina ein, nicht aber die tatsächliche Lage der Roma:
"Es geht hier um die Umsetzung in der Praxis, und da hat sich nicht viel geändert. Die Kommunen vor Ort haben ihre eigene Haltung, die sich zentral nur schwer beeinflussen lässt und die meist zur Absonderung der Roma führt. Das sehen wir am Anwachsen der Ghettos und daran, wie völlig abgesonderte Roma-Kommunitäten entstehen. Die Lösung der Roma-Frage ist nicht nur beim Staat zu suchen. Auch die Bürgermeister sind verantwortlich für das, was bei ihnen vor Ort geschieht."
Zu dem Unwillen auf tschechischer Seite treten vielfach auch die Unfähigkeit und das Desinteresse der Roma, ihre Angelegenheiten selbst zu vertreten. Das Ergebnis: Derzeit gibt es keinen einzigen Roma-Abgeordneten im tschechischen Parlament. Von den Parteien selbst ist dabei kaum Unterstützung zu erwarten, meint Gina:
"Es geht hier um politisches Kalkül: Einen Roma auf der Kandidatenliste zu haben bedeutet für die Parteien das Risiko, Wähler in der Mehrheitsgesellschaft zu verlieren. Und sollte tatsächlich auf diese Weise ein Roma ins Parlament kommen, dann müsste sich die entsprechende Partei letztlich auch in der Roma-Frage engagieren, und das ist derzeit nicht gerade populär."
Das Bemühen um eine Verbesserung der Lage der tschechischen Roma ist nicht nur der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit oder gegen die alltägliche und in Tschechien allgegenwärtige Diskriminierung. Häufig geht es noch darum, überhaupt erst die Grundlagen für eine weitere Entwicklung abzusichern und etwa eine gesicherte Wohnsituation zu schaffen - nicht einfach in einer Gesellschaft, in der es erklärtes Ziel ist, nicht neben "Zigeunern" zu wohnen, erinnert Gabriela Hrabanova von der Initiative Athinganoi.
"Wir können uns um Ausbildung und anderes kümmern, aber wenn die Wohnungsfrage nicht geklärt ist, dann ist alles umsonst - so kann man nicht mal in die Schule gehen. Das Schlimme ist, dass man alle Fragen auf einmal und zusammenhängend behandeln muss: Wohnen, Arbeitslosigkeit, Ausbildung, Gesundheitsversorgung - alles müssen wir so behandeln, dass wir den Ausgeschlossenen helfen, sich vollgültig an die Gesellschaft anzugliedern."
Dabei soll auch der Internationale Tag der Roma helfen, der unter Roma weltweit seit 1990 begangen wird. Ein junger Feiertag also, der in Tschechien noch nach Form und Inhalt sucht, der aber ein großes Potential für eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Roma und Tschechen besitzt, wie der Präsident der Internationalen Roma-Union Emil Scuka meint. Nun sei es Aufgabe der Roma, aber auch der tschechischen Politiker, dieses Potential zu nutzen:
"Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass am 8. April der Präsident oder der Premierminister Personen auszeichnet, die sich um die Entwicklung der Roma-Gemeinschaft verdient gemacht haben - ganz egal, ob das Roma sind oder Tschechen, die sich für Roma einsetzen. So sollte das an diesem Tag sein."