Präsident in Kochschürze: Havels Lieblingsrezepte

Kochbuch „Kančí na daňčím“ (Foto: Barbora Němcová)

Der Dichterpräsident Václav Havel (1938-2011) wird heute als wichtige Persönlichkeit der Weltgeschichte im 20. Jahrhundert wahrgenommen. Dies lässt sich in den Enzyklopädien nachlesen. Weniger bekannt ist, dass Havel sein ganzes Leben lang auch gerne und gut gekocht hat. Da er seinen Freunden die eine oder andere schmackhafte Speise zubereitet hat, haben diese sich entschieden, ihn von dieser Seite mal zu porträtieren. (Nun ist das entsprechende Kochbuch erschienen, es trägt den Titel „Kančí na daňčím“ (zu Deutsch etwa „Wildschwein auf Damwild“).

Alle zwei Wochen traf Žantovský mit seinen Freunden zusammen und kochten die Gerichte nach Rezepten von Václav Havel  (Foto: Ondřej Němec)
Das Kochbuch „Kančí na daňčím“ bietet auch einen Blick in die Privatsphäre von Václav Havel. Den Band zusammenzustellen war anspruchsvoller, als er das ursprünglich gedacht hatte, sagt Michael Žantovský. Er ist Direktor der Václav-Havel-Bibliothek in Prag.

„Wir haben sowohl eine ganze Reihe von persönlichen Erinnerungen an Havels Kochkünste zusammengetragen, als auch viele Rezepte, die er selbst aufgeschrieben hat. Viele der Aussagen von Zeitzeugen stammen aus seiner Dissidentenzeit, aber auch aus der Epoche als Staatspräsident und danach. Etwa ein halbes Jahr lang hat die Vorbereitungsphase gedauert. Anschließend haben wir etwa ein halbes Jahr dafür gebraucht, die 50 Gerichte für das Buch probeweise nachzukochen.“

Alle zwei Wochen traf Žantovský mit seinen Freunden zusammen. Sie kauften die erforderlichen Zutaten ein und kochten den ganzen Nachmittag lang. Für diese Zusammenkünfte stellte der Verwaltungsratsvorsitzende der Václav-Havel-Bibliothek, Gabriel Eichler, seine Wohnung zur Verfügung. Diese liegt nahe der Bibliothek, wie Žantovský erzählt:

Michael Žantovský  (Foto: Ondřej Němec)
„Da das fertige Gericht auch dann gegessen werden musste, haben wir immer am Abend einige Menschen eingeladen, die Václav Havel gekannt haben oder sich an der Entstehung des Kochbuchs irgendwie beteiligten. Dann haben wir uns davon überzeugt, dass die Gerichte auch wirklich gut sind.“

Lieblingsessen Suppe

Václav Havel hatte Žantovský zufolge eine bedeutend positivere Beziehung zum Kochen als zum Essen. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten quälten den Dichterpräsidenten gewisse Gesundheitsprobleme, die ihn dazu zwangen, auf bestimmte Speisen oder Getränke zu verzichten. Allmählich habe er immer bescheidener gegessen, erinnert sich Žantovský.

„Er hat eigentlich schon immer bescheiden gegessen. Er hatte eine Vorliebe für kleine Gerichte, die er noch aus seiner Junggesellenzeit kannte, wie den ,utopenec‘ (eingelegte Fleischwürstchen, Anm. d. Red.) oder die Presswurst. Sein ganzes Leben lang aß er furchtbar gerne Suppen. Meist hat er während des Tages nur eine Suppe gegessen. Seine Haltung änderte sich aber, wenn Besuch angekündigt war oder wenn er etwas für andere Menschen gekocht hat. Da war er plötzlich sehr erfinderisch und kreativ. Er wollte den Gästen wirklich Freude bereiten und sie auch ein bisschen damit beeindrucken, wie er kochen kann. Auf seine Kochkunst war er vielleicht stolzer als auf sein literarisches Werk und seine politische Arbeit. Wenn das Essen den anderen schmeckte, hat er sich sehr darüber gefreut und oft davon erzählt.“

Foto aus dem Buch „Kančí na daňčím“ von Michael Žantovský,  Václav-Havel-Bibliothek 2019
Václav Havel war einer der Hauptinitiatoren der Bürgerrechtsbewegung Charta 77. Als Regimekritiker verbrachte er insgesamt fünf Jahre im kommunistischen Gefängnis. Er war eine der führenden Persönlichkeiten der Samtenen Revolution von 1989. Als Kandidat des Bürgerforums wurde er am 29. Dezember 1989 zum tschechoslowakischen Staatspräsidenten gewählt. Nach der Trennung von Tschechien und der Slowakei wurde er Anfang 1993 dann zum Staatsoberhaupt Tschechiens. Daran schloss sich ab 1998 eine weitere fünfjährige Amtszeit an.

Da Suppen Havels Lieblingsessen waren, wurden diese damals auf der Prager Burg zum Mittagessen serviert. Wie fanden dies aber die Mitarbeiter? Michael Žantovský war in den ersten zwei Jahren Sprecher des Präsidenten. Er erinnert sich:

„Einige haben gelitten. Insbesondere mein Nachfolger im Amt des Pressesprechers, Láďa Špaček, beschwerte sich darüber, dass zu Mittag nur eine Suppe serviert wurde. Und es war keine kräftige Suppe, meist nur eine leichte Bouillon. Diejenigen, die Václav Havel nicht gekannt haben, waren ein wenig überrascht, als er gegen Mittag immer sagte: ,Lasst uns Suppe essen gehen‘. Denn sie dachten zuerst, dass dies ein übliches Mittagessen bedeutete. Aber wir haben damals wirklich nur eine Suppe bekommen. Havel hat das gar nicht gestört, er aß die Suppe und dazu ein Brötchen. Die anderen mussten sich einfach daran gewöhnen, ob es ihnen passte oder nicht.“

Lukaschenkos Zorn

„Lukaschenkos Zorn“  (Foto aus dem Buch „Kančí na daňčím“ von Michael Žantovský,  Václav-Havel-Bibliothek 2019)
Das neue Kochbuch trägt den eigenartigen Titel „Kančí na daňčím“ (zu Deutsch etwa Wildschwein auf Damwild“). Dies rührt von einem Begriff her, den Havel immer benutzt hat – und zwar wenn ein großes Festessen anlässlich eines Jubiläums oder eines Staatsbesuchs anstand. Er sagte damals laut Žantovský immer: „Da wird es ,kančí na daňčím‘ geben.“

„Aber es gab eigentlich nie ‚Wildschwein auf Damwild‘. Wir haben aber bei der Zusammenstellung des Buchs gefunden, dass dies eine schöne Vorstellung sei. Warum also sollten wir das nicht mal kochen? Und wir haben daraus mit Erfolg ein Gericht kreiert.“

Im Kochbuch finden sich auch Gerichte mit ziemlich ungewöhnlichen Namen, so zum Beispiel „Lukaschenkos Zorn“. Laut Žantovský verbirgt sich dahinter eine Suppe, die dem Borschtsch ähnlich ist. Sie enthält seinen Worten nach alles Mögliche: Kohl, geselchtes Fleisch, Rindfleisch, Zwiebeln, Tomaten und Paprika. Das klingt dann überhaupt nicht schrecklich. Und überraschenderweise schmecke „Lukaschenkos Zorn“ richtig gut, betont Žantovský.

Foto: Suhrkamp Verlag
Eines der Rezepte haben einst Václav Havel und der Dramatiker Pavel Kohout gemeinsam ersonnen. Es ist inspiriert vom Roman „Ich habe den englischen König bedient“. In diesem schreibt der Schriftsteller Bohumil Hrabal unter anderem, für den äthiopischen Kaiser sei ein Kamel zubereitet worden, das mit zwei Antilopen gefüllt wurde. Und diese seien mit zwanzig Truthähnen gefüllt worden. Havel und Kohout entschieden sich, dieses Gericht einmal auszuprobieren:

„Da in den sozialistischen Lebensmittelläden kein Kamel zu bekommen war, haben sie damals eine Gans, eine Ente und ein Hühnchen gekauft. Das eine füllten sie dann mit dem anderen. Als wir die Kochrezepte ausprobiert haben, wollten wir kein allzu fettes Gericht. Deswegen haben wir eine große Pute mit einer Gans gefüllt. Dahinein steckten wir noch ein Hühnchen mit einer Eierfüllung. Es war ein verhältnismäßig großes Oeuvre, das nicht in unseren Ofen passte. In einem befreundeten Restaurant konnten wir diesen Braten aber dann zubereiten. Das Ergebnis war hervorragend, alle haben es gelobt.“

Dreifach gefüllte Gans

Foto aus dem Buch „Kančí na daňčím“ von Michael Žantovský,  Václav-Havel-Bibliothek 2019
Im Vergleich mit der mehrfach gefüllten Gans ist die „Hradschiner Ente“ ein recht simples Rezept. Die Verfasser des Kochbuchs haben diese Ente zubereitet und das fertige Gericht mit Blick auf den Hradschin fotografiert.

„Aber Havel hat einer ganzen Reihe von Staatsmännern dieses Entenrezept aufgetischt. Denn einige Politiker hatten eine besondere Vorliebe für Enten, so auch der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. Für ihn ließ Havel sicherheitshalber gleich zwei Enten braten. Das war vermutlich aus folgendem Grund: Ein paar Monate vorher hatte Havel erstmals Boris Jelzin in Prag empfangen. Wir sind mit Jelzin dann in ein Restaurant gegangen. Václav bestellte damals ein kleines Tellerchen mit Presswurst oder so etwas. Jelzin hat eine ganze Ente bestellt. Aber er hat sie nicht nur bestellt, sondern auch vollständig aufgegessen. Havel schaute ihn damals mit Verwunderung an und bemerkte trocken: ,Er sieht so aus, als könnte er noch eine weitere essen.‘ Darum haben wir beim Besuch von Kohl gleich zwei Enten serviert.“

Kochbuch „Kančí na daňčím“  (Foto: Barbora Němcová)
Michael Žantovský hat auch selbst die Erfahrungen gemacht, wie es war, zusammen mit Václav Havel zu kochen. Das war in der Zeit nach der politischen Wende, als noch die Tschechoslowakei bestand.

„Wir haben gemeinsam Gulasch für die tschechischen und slowakischen Politiker gekocht. Damit versuchten wir, den Zerfall der Tschechoslowakei zu bremsen oder zu verhindern. Dies ist uns zwar nicht gelungen, aber mit dem Gulasch waren wir beide zufrieden. Hätten wir gemeinsam einen Lendenbraten zubereitet, wäre es wahrscheinlich zum Streit gekommen. Aber eines habe ich mit Václav gemeinsam: Ich bin ein Suppenesser wie er. Wenn ich die Möglichkeit hätte, noch einmal mit ihm zusammen zu kochen, dann würden wir vielleicht diesmal eine Suppe zubereiten.“

Das Kochbuch mit Václav Havels Rezepten wurde anlässlich des bevorstehenden 30. Jahrestags der Samtenen Revolution herausgegeben. Václav Havel ist allerdings bereits im Dezember 2011 gestorben, an den Folgen einer schweren Atemwegserkrankung.