In Prag Seite an Seite – tschechische, slowakische und deutsche Rechtsextremisten
Ihre Glatzen glänzen alle gleich. Ihre Gegner sind auch meist dieselben. Aber sie kommen aus unterschiedlichen Ländern. Aus Ländern, die in ihrer Geschichte oft verfeindet waren. Tschechische, slowakische und deutsche Rechtsradikale sind vor einer Woche Seite an Seite durch Prag marschiert. Welchen Hintergrund haben tschechische und slowakische Rechtsextreme und wie können sie so ohne weiteres eine Verbindung mit einem früheren nationalen Widersacher eingehen. Christian Rühmkorf ist im „Forum Gesellschaft“ diesen Fragen nachgegangen.
Wenn deutsche Rechtsradikale marschieren, dann hat man eine Vorstellung von ihrer Gedankenwelt. Sie basiert zumeist auf der nationalsozialistischen Ideologie mit ihren Ideen von höherwertigen und minderwertigen Rassen. Am vergangenen Wochenende sind tschechische und deutsche Rechtsradikale in Prag gemeinsam aufmarschiert. Slowakische Skinheads waren auch dabei. Gibt es einen ´tschechischen Rassismus´? Miloslav Szabo ist Slowake, hat in Bratislava Geschichte studiert, in Tschechien promoviert und forscht zurzeit an der Technischen Universität Berlin. Er kennt alle drei Länder. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Ideologien des Rassismus und Antisemitismus. Szabo meint, dass man gerade bei der Frage nach einem ´tschechischen Rassismus´ unterscheiden muss zwischen einem ideologisierten Rassismus – in der englischen Fachsprache „racialism“ - und dem alltäglichen Rassismus, bei dem eine übergeordnete Ideologie nicht gegeben sein muss:
„Also es gibt natürlich die Rassisten, es gibt die Leute, für die die Rasse einen großen Wert hat, die die Rasse irgendwie mit dem Tschechentum verbinden. Und insofern stimmt das. Es gibt einen tschechischen Rassismus. Aber ob man das anhand von irgendwelchen ideologischen Aspekten auch so festmachen kann, das ist eine andere Frage. Also ich würde da grundsätzlich zwischen diesen zwei ´Rassismen´ unterscheiden.“
Während bei deutschen Rechtsextremisten klar ist, worauf sie sich berufen, ergibt sich bei tschechischen und slowakischen Rechtsradikalen die Frage, ob es sich um ein Nach-Wende-Phänomen handelt oder ob es rassistische oder konkret antisemitische Tendenzen bereits zur kommunistischen Zeit gab.
„Ja. Also Antisemitismus gab es sogar offiziell, aber in den 1950er Jahren unter dem Begriff Antizionismus. Als Parteidoktrin – das wurde aus Moskau übernommen, konsequent realisiert und durchgeführt. Also in dieser ideologisierten Form gab es schon Antisemitismus. Im Alltag sowieso, obwohl man eigentlich keine Juden kannte.“
Aber es gab auch andere ethnische Gruppen außer Tschechen und Slowaken und Magyaren, die zur Zielscheibe von Formen des alltäglichen Rassismus wurden, sagt Miloslav Szabo. Dazu zählt er die Roma oder auch Studenten aus den so genannten ´befreundeten´ kommunistischen Ländern, aus Afrika, aber vor allem aus Vietnam. Sie bildeten eine Subgesellschaft und tun das zum Teil noch heute, erklärt Szabo.
„Du bist Tscheche, Tscheche, Tscheche – dann weiß das auch zu schätzen“, sang Daniel Landa mit seiner Gruppe „Orlik“ Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Die Texte waren rassistisch, von weißer Kraft war die Rede, Anti-Roma-Parolen wurden skandiert. Landa hat eine deutsche Frau, ist heute Sänger, Komponist von Musicals, Schauspieler und Rennfahrer. Er gehört zu den prägnantesten und auch noch umstrittensten Persönlichkeiten des tschechischen Showbusiness. Daniel Landa hat sich bereits vor Jahren von dieser Vergangenheit distanziert. Auch 2001 gegenüber Radio Prag.
„Also, was man eindeutig sagen kann und muss: Ich war sieben Jahre lang Skinhead. Vielleicht einer von den wichtigsten hier. Das ist klar, da will ich mich nicht rausreden. So war es. Und ich stehe auch dazu. Ich meine, ich stehe vielleicht nicht dazu, was ich damals gesagt habe, aber das war eben diese Entwicklung. Das war eine Phase, die ich gebraucht habe.“
Seine damalige Orientierung hat Daniel Landa so erklärt:„Man muss berücksichtigen, dass wir vor dem Fall des Eisernen Vorhangs angefangen haben. Also für uns war das Skinhead-Sein praktisch ein Mittel des Kampfes gegen das Regime. Es war etwas, was verboten war und wir hatten keine Informationen, was Skinheads tatsächlich sind, was das überhaupt heißt. Und dann haben wir halt dieses Outfit gewählt, weil es aggressiv aussah für die wilde Jugend usw. Rechtsradikal in dem Sinne, wie es heute gemeint ist, waren wir nie. Natürlich kann man schon klare rassistische Untertexte bei uns finden. Das war halt so. Heute würde ich so etwas nie mehr sagen.“
Über die Rechtfertigung Landas, damals ein Gegner des kommunistischen Regimes gewesen zu sein, muss sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Wichtig scheint überhaupt eine Form von Gegnerschaft und Gegner-Identität an sich. Das wird auch beim gemeinsamen Auftreten von tschechischen und slowakischen Rechtsextremen deutlich. Denn beide Gruppen sind sich auch gegenseitig nicht unbedingt grün. Das belegt eine Karikatur in einer slowakischen Tageszeitung zum Prager Aufmarsch am letzten Wochenende, wie Miloslav Szabo meint:
„Die Karikatur bezog sich auf die Tatsache, dass annähernd ein Drittel der Verhafteten am vergangenen Wochenende in Prag Slowaken waren. Und auf der Karikatur ist eine Gruppe der slowakischen Rechtsradikalen zu sehen, vor der ein Führer steht und eine Ansprache hält. Und darin macht er eines klar: ´An diesem Wochenende werden keine antitschechischen Parolen gebraucht´. Und das will dann sagen, dass wir uns für diesen einen Tag verbinden und eine gewisse Art von Internationale, eine Hass-Internationale bilden und was dann nächste Woche kommt – also dann können wir wieder zu unserem Alltag zurückkehren. Und das ist schon interessant, weil auch viele deutsche Neonazis erwartet wurden.“
Antitschechische Gefühle auf slowakischer Seite sind nichts Neues. Schon in der Ersten tschechoslowakischen Republik, die ein mehrnationales Konstrukt war, fühlten sich die Slowaken oft als zweites Rad am nationalen Karren. Als die Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland zerschlagen wurde, erhielten die Slowaken ihren eigenen Staat, während die Tschechen im Protektorat Böhmen und Mähren leben mussten.Aber wenn deutsche, tschechische und slowakische Rechtsradikale zusammen auftreten, wie am vergangenen Wochenende geschehen, wissen tschechische Rechtsextremisten nicht, dass sie nach nationalsozialistischen Rassenvorstellungen damals auf der falschen Seite gelandet wären? Miloslav Szabo meint, dass auch diese Gesichtspunkte schlicht verdrängt werden:
„Der gemeinsame Feind verbindet. Und die anderen Bestandteile der Weltanschauung – wenn man das so nennen will – werden einfach verdrängt. Es gab schon im 19. Jahrhundert Ansätze zur Herausbildung einer antisemitischen Internationale. Alle sind dann gescheitert, weil die Antisemiten dann gleichzeitig auch Nationalisten waren, aber die Ansätze gab es immer wieder. Also der gemeinsame Hass ist einfach stärker als die Hassgefühle gegeneinander. Die verschwinden nicht - natürlich nicht. Aber für den Augenblick ist das genug, um sich zu treffen.“
Und so sind die grundlegenden Koordinaten der rechtsradikalen Gedankenwelt wohl überall gleich. Nach Miloslav Szabo könnten sie lauten:
„Wir sind die Elite – sozial, rassisch – wir bilden eine fest geschlossene Front. Wir können also gegen jeden, gegen alles auftreten. Und vor allem müssen wir das gegen diejenigen tun, die unsere Feinde sind.“