Prager Stadtmuseum lädt ins "Tal der Schatten" ein (II)

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Wie die Bewohner der Region von Prag vor Tausenden Jahren gelebt haben, kann man anhand archäologischer Funde erahnen. Im Museum der Hauptstadt Prag gibt es eine Ausstellung von archäologischen Ausgrabungen, die sich vorwiegend mit den Bestattungsriten in Prag beschäftigt. In der letzten Ausgabe des Spaziergangs durch Prag führten wir Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, durch den ersten Teil der Ausstellung. Heute wollen wir diese Führung durch das Prag der Bronzezeit fortsetzen.

Durch das "Tal der Schatten", wie die Ausstellung im Museum der Hauptstadt Prag heißt, ließ ich mich von den beiden Archäologen führen, die die Ausstellung vorbereitet haben. Eine von ihnen ist Miroslava Smolikova. Sie erklärt mir den Bestattungsritus der späten Bronzezeit, d. h. aus der Zeit von ca. 1300 bis 800 vor Christi Geburt. Er ist vielfältiger als in den vorangehenden Epochen:

"Die Leute haben damals ihre Toten verbrannt. Hier in der Ausstellung kann man eine der möglichen Grabformen sehen, wo die Asche aus dem Scheiterhaufen aufgelesen und in einer Urne beigesetzt wurde. Dieses keramische Gefäß wurde oft noch mit einem anderen Gefäß zugedeckt. Manchmal wurden weitere kleine Keramik-Behälter als Beigaben in die Urne gelegt. Aus der Bronzezeit stammen auch Skelettüberreste, die in Prag - Zlicin gefunden wurden und an denen Spuren einer gewissen Bearbeitung zu sehen sind. Es wird deswegen vermutet, dass in der späten Bronzezeit auch der Kannibalismus vorkam."

Der Archäologin zufolge gab es damals wahrscheinlich auch Menschen, die keinen Anspruch auf eine Bestattung hatten. Denn die Archäologen entdeckten einige Male in den kreisförmigen Müllgruben aus dieser Zeit frei liegende Teile von Skeletten ohne jegliche Beigaben. Die Abfallgruben dienten ursprünglich einem anderen Zweck - einst wurden sie als Versteck für die Vorräte benutzt. Nachdem diese unterirdischen Speisekammern nicht mehr für die Bewahrung von Getreide und von anderen Lebensmitteln genutzt wurden, verwandelten sie sich in Abfallgruben, wie die Archäologen meinen. Für sie stellen auch diese prähistorischen Müllgruben oft wichtige Fundgruben dar.

Mit den Bestattungsriten aus der Eisenzeit - also aus den Jahren 800 bis 450 vor Christi - befasst sich ein weiterer Teil der Ausstellung. In der frühen Eisenzeit lebte auf dem Gebiet Böhmens das Volk der Bylany.

"In den Gräbern der Bylany-Kultur findet man viele sehr unterschiedliche Keramik-Gefäße. Außerdem wurden in diesen Gräbern gewöhnlich mehrere Eisengegenstände gefunden. So zum Beispiel Beschläge von Pferdegeschirr, die den reichen Menschen mit ins Grab gelegt wurden. Wir stellen hier eine einzigartige Ausstattung aus einem Grab aus Prag - Vinor aus. Diese Ausstattung besteht aus einem Bronzeeimer - dem so genannten ´situla´ - und dem Pferdegeschirr mit Beschlag. Es waren wahrscheinlich auch Teile eines Wagens dabei. Und schließlich gehörten auch Keramikschüssel dazu, die zusammengeklebt sind."

Die Ausstellung allein wurde ungefähr ein Jahr lang vorbereitet. Maler Libor Balak erhielt bereits 2005 entsprechende Unterlagen, um die einzelnen Epochen zu illustrieren. Auf den großen Gemälden werden vorwiegend Alltagsszenen dargestellt. Mehrere der Bilder wurden speziell für die Prager Ausstellung gemalt. Der Künstler beriet sich mit den Archäologen. Man achtete sehr genau darauf, dass alle Gegenstände der Wirklichkeit entsprechen.

Den Archäologen zufolge kann man erst in der Hallstattkultur (750-400 vor Christi) zum ersten Mal auch von Fürstenbestattungen sprechen. Obwohl man, wie Michal Lutovsky erklärte, nicht weiß, wie die damaligen Herren betitelt wurden.

"In dieser Zeit tauchen sehr reich ausgestattete Gräber auf. In denen sowohl eine Auswahl von verschiedenen Gefäßen, als auch Wagen sowie weitere große Beigaben gefunden werden. Dies zeugt davon, dass es die Zeit war, in der sich zum ersten Mal in der Gesellschaft eine Hierarchie bildete, in der jemand ganz oben an der Spitze der imaginären Pyramide stand."

Das Grab aus dieser Zeit war - den Experten zufolge - eigentlich eine Art Kammer, die mit Holz ausgelegt wurde und mit einer Decke überdeckt war. Manchmal wurden die Toten auf einem Wagen aufgebahrt bestattet.

Auf dem Gebiet von Prag gibt es viele wertvolle Fundstellen. Zu den bedeutenden Funden der letzten Jahrzehnte gehören große Grabstätten der Latenekultur (350 vor Christi Geburt - 0). Die Gräber aus der jüngeren Eisenzeit gehörten den historischen Kelten, sagt Michal Lutovsky:

"Es geht um die Zeit vom 5. bis zum 3. Jahrhundert vor Christi. Aus dieser Epoche präsentieren wir hier drei Gräber, die in Prag - Jinonice gefunden wurden. Die Funde zeugen davon, dass sich die Gesellschaft im Vergleich mit der vorherigen Hallstattzeit geändert hatte. In der Hallstattkultur war die imaginäre Gesellschaftspyramide sehr steil: Ganz oben standen einige wohlhabende Fürsten. Am anderen Ende gab es viele sehr arme Leute, denn es wurden Gräber ohne jedwede Beigaben gefunden. In der Latenezeit, also der Zeit der historischen Kelten, nivellierte sich die Gesellschaft etwas. Es gab nun sowohl reiche, als auch arme Gräber aus dieser Zeitepoche, aber zumindest hatte jeder Mensch damals Anspruch auf die Bestattung in einer Grabstätte. Nach der Art der Beigaben können wir Gräber der Kämpfer von den Gräbern der Frauen unterscheiden. Zwar wurden Gräber mit wenigen Beigaben gefunden, wo also wahrscheinlich weniger wohlhabende Leute bestattet wurden, aber sie wurden in derselben Grabstätte begraben wie die anderen."

Der Kämpfer, dessen Grab in der Ausstellung gezeigt wird, wurde mit seinem Schild, seiner Lanze sowie seinem Schwert bestattet. In Frauengräbern findet man Halsketten, Armbänder und Haarschmuck. In der Römerzeit verdrängten die Germanen die keltische Bevölkerung auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens. Michael Lutovsky zufolge war zu dieser Zeit der Bestattungsritus nicht mehr einheitlich wie während der Latenezeit unter den Kelten. Die Toten wurden damals vorwiegend verbrannt. In den Urnen oder den kleinen Bestattungsgruben findet man oft Gegenstände aus verschiedenen Ländern des römischen Imperiums - wie Waffen oder Bronzegeschirr. Ein solches mit vielen Beigaben ausgestattetes Grab wurde beispielsweise in Prag - Bubenec gefunden.

Einer der jüngsten archäologischen Funde, der im Stadtmuseum präsentiert wird, ist ein Grab aus der Zeit der Völkerwanderung. Die Grabstätte, die die Archäologen in Prag - Zlicin entdeckten, wird immer noch erforscht. In einem der Gräber wurden Sargreste gefunden, sagt Miroslava Smolikova:

"Der Sarg wurde aus einem dicken Stamm gefertigt. In jedem der Gräber gab es im Kopfteil eine Nische, in der ein Trinkbecher stand. Diese Behälter waren entweder aus Keramik oder aus Glas. Fast immer wurden die Gräber zu dieser Zeit kurz nach der Bestattung des Toten ausgeraubt. Wie wir feststellten, führte fast zu jedem Grab ein Schacht, durch den die Grabräuber ans Ziel gelangten. Damals hatte sich wohl eine bestimmte Bevölkerungsschicht auf den Grabraub spezialisiert. In der Grabstätte in Zlicin, die wir gefunden haben, waren alle Gräber ausgeraubt. Trotzdem sind einige Grabbeigaben in der oberen Erdschicht erhalten geblieben. In dieser Zeit lebten auf dem Gebiet von Böhmen germanische Stämme, die etwa in der Mitte des 6. Jahrhunderts durch die Slawen abgelöst wurden."

Die ersten Slawen auf dem Gebiet von Prag hatten ihre Verstorbenen verbrannt und die Asche in Keramikurnen bestattet. Das Grab aus dieser Zeit, das in der Ausstellung gezeigt wird, wurde auf dem Loreto-Platz auf dem Prager Hradschin gefunden. Am Ende des 9. Jahrhunderts gaben die Slawen, die im Gebiet von Prag lebten ihren bisherigen Bestattungsritus auf. Die Toten wurden nicht mehr verbrannt, erklärt Archäologe Michal Lutovsky.

"Wir stellen hier Gräber vor, die auf den bedeutenden Prager Grabstätten des 10. und 11. Jahrhunderts gefunden wurden, und zwar in Lahovice und in Motol. Auch in dieser Zeit wurden Beigaben mit ins Grab gelegt, meistens handelte es sich um Schmuck, der nicht mehr so prächtig wie in den vorherigen Epochen war. Die Herrscher des Landes wurden zu dieser Zeit bereits in Kirchen bestattet. Die Beigaben wurden mit der Zeit immer bescheidener. Wir fanden sie aber auch noch in Gräbern aus dem 11. Jahrhundert. Die verschiedenen Schüsseln oder Töpfe, die gefunden wurden, wurden nicht ins Grab gelegt, weil sie wertvoll waren, sondern dienten als Behälter für Lebensmittel. Diese wurden dem Verstorbenen für seinen Weg ins Jenseits mitgegeben. Im 10. und 11. Jahrhundert tauchten die ersten Grabsteine auf, einen solchen Grabstein aus Prag-Motol stellen wir hier aus. Aus dieser Zeit stammen auch Gräber, in denen Skelette in ungewöhnlichen Lagen gefunden wurden. Wir nehmen an, dass der Tote deswegen in einer solchen Lage bestattet wurde, weil die Leute seine Rückkehr in die Welt fürchteten. Es handelte sich um die Angst vor den Vampiren etc."

Damit sind wir am Ende nicht nur der Führung durch das Tal der Schatten im Prager Stadtmuseum, sondern auch des heutigen Spaziergangs angelangt. Heute ging es unter anderem um einen archäologischen Fund am Loreto-Platz. Falls Sie wissen, wonach dieser Platz auf dem Prager Hradschin benannt wurde, können Sie es uns schreiben. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Prag 2. Vor vier Wochen fragten wir Sie in der Sendung über den Vysehrad und König Vratislav nach der wertvollen Handschrift, die mit diesem König und Vysehrad verbunden ist - es ist der so genannte Kodex von Vysehrad. Ein Buch über Prag geht diesmal an Franz Paminger aus Wien.

Fotos: Autorin