Prager Zeitzeuge: Mussten Krankenhaus räumen, weil man mit Verwundeten rechnete
Der 21. August 1968 war auch ein Tag, der in der damaligen Tschechoslowakei von unzähligen Einzelschicksalen geprägt wurde. Hunderttausende Tschechen und Slowaken verbinden mit diesem Tag Enttäuschung, Desillusion und zum Teil auch tragische Erlebnisse. Einer dieser Zeitzeugen ist der heute 69-jährige Journalist Karel Kunc.
„Im August 1968 wurde ich im Prager Krankenhaus Na Bulovce stationär an einer Hautkrankheit behandelt. In der Nacht zum 21. August kamen Schwestern und Ärzte zu uns auf die Zimmer und baten alle, die sich trotz ihrer Krankheit selbst helfen konnten, ihre Betten frei zu machen, da sie als mögliches Lazarett gebraucht würden. Wir wurden nach Hause geschickt, und so musste ich in jener Nacht zu Fuß quer durch Prag laufen, da weder Straßenbahnen noch Busse fuhren. Mich beschlich dabei ein schreckliches Gefühl, denn auf der Moldaubrücke Barikadníku standen bereits die ersten Panzer. Es war gespenstisch.“
Als man sie in der Nacht im Krankenhaus geweckt und gebeten hatte, nach Hause zu gehen, hätten sie auch erfahren, dass Truppen der Sowjetarmee schon kurz nach Mitternacht auf dem Prager Flughafen gelandet seien, schildert Kunc. Die Befürchtung der Ärzte, dass es zu bewaffneten Kämpfen hätte kommen können, seien durchaus berechtigt gewesen, sagt Kunc, denn viele Tschechen wollten ihre gerade erworbenen neuen Freiheiten nicht so leicht aufgeben. Beim Rundfunk hat es solche Auseinandersetzungen dann auch gegeben, ansonsten aber hätten Reformer wie Josef Smrkovský und seine Nationalpartei versucht, die Sache mit den Russen im Dialog zu regeln. Aber das sei überhaupt nicht möglich gewesen, so Kunc:
„Die Russen waren mächtig erzürnt, das konnte man in ihren Gesichtern förmlich lesen. Die Soldaten wollten sich mit niemandem unterhalten, als sie gefragt wurden, was sie hier eigentlich tun.“
Karel Kunc, der sich zum Prager Frühling bekannte und auch eine gegen die Okkupation der Sowjettruppen gerichtete Erklärung unterschrieben hatte, spürte sehr schnell die Konsequenzen in der Periode der Normalisierung. Er verließ die staatliche Kontrollbehörde, da ihn dort, so seine Aussage, nichts Gutes erwartete. Noch heute bedauert er, mit einem Freund nicht nach Deutschland emigriert zu sein, obwohl ein Auto schon dafür bereit stand. Er nahm Rücksicht auf seine Frau, die wegen ihrer Mutter Prag nicht verlassen wollte. Der Freund lebt heute glücklich und zufrieden im kanadischen Toronto, seine Frau aber kam sieben Jahre später bei einem Unfall ums Leben. Ein betrunkener Polizist hatte sie im Rausch des im kommunistischen Regime üppig gefeierten Internationalen Frauentags mit dem Auto angefahren. Trotz dieses Schicksals ist Kunc noch heute davon überzeugt, dass man den Prager Frühling hätte fortsetzen können:„Ich denke, das wäre schon möglich und real gewesen. Aber es hätte etwas mehr an Diplomatie von Seiten unsere politischen Repräsentanten bedurft. Unter ihnen aber waren Verräter wie Ľubomír Štrougal. Er und mehrere andere stellten ihre eigenen Interessen in den Vordergrund. Ich bin der Meinung, wenn sich unser Volk in jener Zeit wirklich einig gewesen wäre, dann hätten wir die Demokratie hierzulande schon viel früher erleben dürfen.“