Prozesse gegen die Protektoratsregierung

Vor 55 Jahren, im Frühjahr 1946, begannen in der Tschechoslowakei Prozesse gegen führende Repräsentanten und Kollaboranten des ein Jahr zuvor besiegten Dritten Reiches und des ihm unterstellten Protektorats Böhmen und Mähren. Die grösste Aufmerksamkeit zogen dabei die Prozesse gegen Minister der ehemaligen Protektoratsregierung und gegen den gefürchteten SS Gruppenführer Karl Hermann Frank auf sich. Im heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte wollen wir einen genauern Blick auf diese Prozesse werfen. Dazu begrüssen Sie Johanna Steiger-Antos und Katrin Bock.

Voraussetzung für die Durchführung der Prozesse gegen Mitglieder der Protektoratsregierung, gegen führende Vertreter Nazi-Deutschlands in Böhmen und Mähren und gegen Kollaboranten, seien sie nun deutscher oder tschechischer Nationalität, waren die sog. Retributionsdekrete. Bereits einen Monat nach Kriegsende, im Juni 1945, wurde das sog. grosse Retributionsdekret verabschiedet, das die Verfolgung und Verurteilung von Nazi-Verbrechern, Verrätern und ihren Helfershelfern zum Inhalt hatte. Ausserdem enthielt es Bestimmungen über die Bildung von aussergewöhnlichen Volksgerichten, die die Prozesse durchführen sollten. Im Oktober 1945 wurde das sog. kleine Retributionsdekret verabschiedet, das weitere Details klärte. Von Anfang an war klar, dass diese Dekrete politischen Charakters waren und nicht strafrechtlichen - Prozsse gegen Kollaboranten glichen oftmals persönlichen Racheakten, insbesondere die Kommunisten nutzten die Prozesse politisch aus, um sich so unliebsame politische Gegner vom Hals zu schaffen. Die Gültigkeit der Retributionsgesetze war auf zwei Jahre beschränkt und endete am 5. Mai 1947.

Auf Grundlage der beiden von der provisorischen Regierung verabschiedeten Dekrete fanden in den schnell einberufenen Volksgerichten im ganzen Land bis Mai 1947 rund 30.000 Prozesse statt. Etwas mehr als die Hälfte der ca. 20.000 Verurteilten waren Deutsche. Das Todesurteil wurde bei den Prozessen gegen Repräsentanten und Mitarbeiter des faschistischen Deutschlands 713 Mal ausgesprochen, zwei Drittel der Verurteilten waren dabei Deutsche. Nicht alle Urteile wurden vollstreckt. Zu lebenslanger Haft wurden insgesamt 741 Personen verurteilt.

Bevor die Prozesse gegen Mitglieder der Protektoratregierung begannen, hatte man lange darüber diskutiert, wer überhaupt vor Gericht gestellt werden sollte. Die Ansicht der Vertreter der Exilregierung, die während des Kriegs in London existierte, der im Lande verbliebenen Politiker und der Kommunisten gingen weit auseinander. Waren all die automatisch schuldig, die in der Protektoratsregierung sassen? Waren dann auch die Minister schuldig, die mit dem antifaschistischen Untergrund und der Exilregierung zusammenarbeiteten? Wie sollten dann die Fälle des Protektoratsministerpräsidenten Alois Elias und des Protektoratsminister Ladislav Feierabend beurteilt werden? Elias war wegen seiner Zusammenarbeit mit dem Exil 1942 von den Nazis hingerichtet worden. Feierabend war 1940 rechtzeitig nach London geflohen, wo er sich dann an der Arbeit der Exilregierung beteiligte. Auch der ehemalige Innenminister und letzte Vorsitzende der Protektoratsregierung 1945, Richard Bienert, arbeitete mit dem Untergrund zusammen und setzte sich für politisch Verfolgte, so gut es ging, ein.

Der Nationale Gerichtshof in Prag fand schliesslich eine Formel: zum einen sollten all diejenigen angeklagt werden, die in der Protektoratsregierung sassen und nichts gegen die Okkupanten unternahmen, zum anderen auch all die, die sich aktiv an der Okkupation des Landes 1939 beteiligt hatten und mit dem neuen Regime zusammengearbeitet oder es unterstützt hatten.

Am 29. April 1946 begann in Prag vor dem Nationalgericht der grosse Prozess gegen Mitglieder der Protektoratsregierung. Angeklagt waren der letzte Regierungschef des Protektorats, Richard Bienert, sein Stellvertreter Jaroslav Krejci, der ehemalige Finanzminister Josef Kalfus, der ehemalige Landwirtschaftsminister Adolf Hruby und der ehemalige Verkehrsminister Jindrich Kamenicky. Der umstrittene Präsident zur Zeit des Protektorats, Emil Hacha, war bereits im Juni 1945 im Alter von 72 Jahren im Gefängnis gestorben. Der Inbegriff eines Kollaboranten, der allseits gehasste und gefürchtete Protektoratsminister für Bildung und Volkserziehung, Emanuel Moravec, hatte am 5. Mai 1945 Selbstmord begangen. Moravec war für die Verhaftung, Verurteilung und den Tod Hunderter Tschechen verantwortlich, die seiner Meinung nach die Bedingungen des Zusammenlebens mit den deutschen Okkupanten nicht erfüllt hatten. Mit seinem Selbstmord hatte Moravec seiner sicheren Verurteilung zum Tod vorgegriffen.

Bei dem Prozess gegen Vertreter der Protektoratregierung handelte es sich um den ersten grossen politischen Prozess in der Nachkriegstschechoslowakei. Die unterschiedlichen Ansichten der Kommunisten und der Vertreter der Exilregierung kamen zu Tage, zudem versuchten Politiker aller Richtungen, den Prozess zu beeinflussen. Die Kommunisten forderten die Todesstrafe für die Protektoratsvertreter, Vertreter anderer Parteien dagegen sprachen sich für mildere Strafen aus. Direkten Druck auf Justizminister Prokop Drtina von der nationalen sozialistischen Partei übte sogar der sowjetische Botschafter in Prag aus. Er übermittelte das Interesse der Sowjetmacht an der Verurteilung zur Höchststrafe. Auch die tschechoslowakische Regierung beschäftigte sich auf ihren Sitzungen mit dem Prozess und schlug dem Nationalgericht schliesslich vor, mindestens zwei Todesurteile zu fällen.

Am 31. Juli 1946, nach einer rund dreimonatigen Verhandlung, verkündete das Gericht die Urteile - unabhängig von jeglichem politischen Druck: kein exemplarisches Todesurteil wurde verhängt. Die höchste Strafe - lebenslang - erhielt Adolf Hruby, Landwirtschaftsminister von 1942 bis Mai 1945. Ursprünglich sollte Hruby, den der Reichsprotektor Reinhard Heydrich als verlässlichen Mitarbeiter und Erfüller jeglicher Befehle schätzte, zum Tode verurteilt werden. Seinen Kopf wollten insbesondere die Kommunisten sehen, galt er in ihren Reihen doch als doppelter Verräter. Während des Ersten Weltkriegs war Hruby in Russland in die Rote Armee eingetreten, absolvierte einige Schulungen und wurde mit der Aufgabe, die Ideen der Arbeiter- und Bauernrevolution in der neuentstandenen Tschechoslowakei zu verbreiten, nach Hause geschickt. Hruby vergass die kommunistischen Ideale, trat der Agrarpartei bei und wurde gleich nach der Besatzung der Böhmischen Länder im März 1939 auf Seiten der Protektoratsregierung aktiv. 1951, im Alter von 58 Jahren, starb Adolf Hruby im Gefängnis.

Zu 25 Jahren Haft wurde Jaroslav Krejci verurteilt, 1942 bis Januar `45 war er Vorsitzender der Protektoratsregierung gewesen, bis Kriegsende dann Vizevorsitzender der Regierung. Zu fünf Jahren Haft wurde Jindrich Kamenicky verurteilt, Verkehrsminister von 1940 -Mai `45.

Der letzte Vorsitzende der Protektoratsregierung Richard Bienert wurde zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Bienert war bereits von Anfang 1942 bis Januar `45 Innenminister der Protektoratsregierung gewesen. Für Bienert sprach seine Zusammenarbeit mit dem antifaschistischen Untergrund - Bienert selbst war im September 1939 von der Gestapo verhaftet worden und nur auf Drängen des Protektoratspräsidenten Emil Hacha entlassen worden. Während des Prozesses vor dem Nationalen Gerichtshof gingen unzählige Briefe mit Fürsprachen für den ehemaligen Innenminister und Regierungschef ein. Richard Bienert verstarb im Februar 1949 im Gefängnis im Alter von 68 Jahren.

Salomonisch fiel das Urteil für den ehemaligen Finanzminister Jan Kalfus aus. Er wurde für schuldig befunden, jedoch zu keiner Gefängnisstrafe verurteilt, weil das Gericht ihm seine enge Zusammenarbeit mit dem Untergrund anerkannte. Kalfus, der die gesamten sechs Protektoratsjahre das Finanzressort leitete, versorgte die Londoner Exilregierung mit wichtigen Informationen. In seinem Büro fanden oftmals konspirative Sitzungen statt. Jan Kalfus starb 1955 im Alter von 75 Jahren.

Gegen die Urteile des nationalen Gerichtshofes in Prag protestierte die Kommunistische Partei. Sie forderte höhere Strafen für die Vertreter der Protektoratsregierung. Das Gericht blieb aber unabhängig und änderte die von ihm verhängten Strafmasse nicht.

Bereits im März 1946 hatte der Prozess gegen den SS-Gruppenführer Karl Hermann Frank in Prag begonnen. Frank war der höchste Vertreter des Dritten Reiches, der in Prag vor Gericht gestellt wurde. Sein Parteikollege und führende Vertreter der sudetendeutschen Faschisten in Böhmen und Mähren, Konrad Henlein, hatte am 10. Mai 1945 Selbstmord begangen. Konstantin von Neurath, Reichsprotektor von Böhmen und Mähren vom März 1939 bis August 1943, wurde im Rahmen der Nürnberger Prozesse zu 15 Jahren Haft verurteilt, sein Nachfolger, Wilhelm Frick, zum Tode.

Karl Hermann Frank erhielt symbolisch am 15. März 1946 seine 124 Seiten umfassende Anklageschrfit - sieben Jahre zuvor war Hitler an diesem Tag in Prag einmarschiert. Zwei Monate dauerte der Prozess gegen den ehemaligen Buchhändler aus Karlsbad, dem während des Protektorats die Polizeikräfte unterstanden. Vorgeworfen wurden ihm insbesondere die Vergeltungsmassnahmen nach dem erfolgreichen Attentat auf den stellvretretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich 1942. Unter anderem hatte Frank im Juni 1942 den Befehl zur Vernichtung des Dorfes Lidice und Ermordung seiner männlichen Bewohner gegeben. Zunächst leugnete Frank alle ihm vorgworfenen Verbrechen. Erst als der höchste Ankläger der Nürnberger Prozesse, Robert Jackson, ihn verhörte, gestand der ehemalige SS-Gruppenführer. Am 22. Mai 1946 wurde Frank zum Tode verurteilt und im Prager Gefängnis Pankrac gehängt. An der selben Stelle waren auf seinen Befehl während des Protektorats 100e Tschechen hingerichtet worden.

Autoren: Katrin Bock , Johanna Steiger-Antos
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