Psychiatrische Heilanstalt in Prag: Mühsamer Übergang ins 21. Jahrhundert
Vor 100 Jahren, genau am 4. November 1906, wurde offiziell die Entdeckung einer neuen Krankheit bekannt gegeben, die inzwischen auch für Laien zum Begriff geworden ist. Benannt wurde sie nach ihrem Entdecker, dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer. Die Diagnose, an Alzheimer erkrankt zu sein, galt aber noch Jahrzehnte lang als selten. 1905 begann man in Prag Bohnice eine neue humane Heilanstalt für psychisch kranke Patienten zu bauen. Dank einer gründlichen Renovierung hat kürzlich einer der mittlerweile hundertjährigen Pavillons einen Sprung aus der Vergangenheit in das 21. Jahrhundert gemacht. Bei seiner feierlichen Wiedereröffnung hat sich Jitka Mladkova für die heutige Ausgabe der Sendereihe Forum Gesellschaft umgehört und umgesehen.
Mit diesen Worten leitete der Chefarzt der Männerabteilung der Geronto-Psychiatrie, Dr. Richard Krombholz, seine Ansprache vor den zahlreichen Gästen, Mitarbeitern und Journalisten ein, die als erste den neu eröffneten Pavillon besichtigen konnten. Zu dem Zeitpunkt wartete das bis ins letzte Detail funkelnagelneu wirkende Haus noch auf seine Bewohner.
Ihre Zahl stellt jedoch nur den sprichwörtlichen Tropfen im Meer der Bedürftigen dar, von denen es mit der global steigenden Lebenserwartung immer mehr gibt. Allein die Gewährleistung einer angemessenen Betreuung und Versorgung der unter Altersdemenz leidenden Personen bleibt für die tschechische Gesellschaft offenbar noch lange eine Herausforderung. Dr. Richard Krombholz:
"Das Problem ist der dauerhafte Mangel an Betten, sowohl in staatlichen als auch in privaten Einrichtungen. Die Wartezeiten fúr einen Platz in den staatlichen Pflegeanstalten für Demenzkranke belaufen sich auf mehrere Jahre. In Prag wartet man im Schnitt bis zu neun Jahren."Die allgemeine Charakteristik der Situation hierzulande trifft voll und ganz auch für die Psychiatrische Anstalt in Bohnice zu, wie es den folgenden Worten des sachkundigen Chefarztes zu entnehmen ist:
"Unsere zwei gerontopsychiatrischen Abteilungen - eine für Frauen und eine fúr Männer - verfügt über insgesamt 300 Betten für Patienten aus dem gesamten Prager Raum und den Anrainergebieten Prag-Ost und Prag-West. Trotz der Tatsache, dass wir ständig unter dem Druck des Bettenbedarfs arbeiten, sind wir bemüht, unsere Patienten so gut wie möglich zu therapieren. Dazu verwenden wir moderne schonende Psychopharmaka sowie moderne Hilfsmittel für die unter Inkontinenz leidenden Patienten. Dies tun wir trotz der regelmäßigen Attacken verschiedener Aktivisten, die sich über den angeblich antihumanen Charakter der Patientenbetreuung in den Medien beschweren."
Ihr Bestes tut das medizinische Personal jedoch zumeist in recht erbärmlichen Räumlichkeiten. Nämlich in Gebäuden, an denen der Zahn der Zeit kräftig genagt hat. Nur wenige der insgesamt 34 unter Denkmalschutz stehenden Pavillons haben je eine Erneuerung erlebt.In welchem Zustand sich der Pavillon 10 vor seiner kompletten Rekonstruierung befand, deutet auch der Name an, der zum einem Begriff wurde: Der Schreckenspavillon! Über die früheren Zustände spricht die Chefärztin der gerontopsychiatrischen Frauenabteilung, Dr. Zuzana Baborikova.
"In den beiden größten Zimmern für bettlägerige Patienten gab es 40 Betten. Im Tagessaal für unter schwerer Demenz und Inkontinenz leidende Patienten waren in den Ecken Toiletten, die nur durch eine Blechwand von dem Raum abgetrennt waren. Mobile Patienten wurden nachts im ersten Stock untergebracht, die Aufsicht wurde jedoch vom Erdgeschoss aus geleistet und die Patientinnen hatte nur eine Alarmklingel für unerwartete Vorfälle zur Verfügung."Durchgeführt wurden nur kleine Umbauarbeiten in den Badezimmern, wie der Austausch von Toilettenmuscheln, geändert hat man auch das Heizungssystem. Die Funktionsfähigkeit von Fenstern und Türen wurde nur durch kleine Reparaturen erhalten.
"Es war sehr schwer, die Patienten von oben nach unten und umgekehrt über die Treppen zu bringen. Einen Lift gab es nicht. Auch jetzt, im 21. Jahrhundert, ist aber der Aufzug in den meisten Pavillons immer noch nicht selbstverständlich."
Die Arbeit war für alle schwer, die Abteilung war überfüllt. Von Mitte der 70 bis Mitte der 80er Jahre war hier die Situation katastrophal. Sowohl in den Zimmern als auch in den Fluren wurden zusätzliche Betten aufgestellt, um bis zu 110 kranke Frauen unterzubringen. Vor Ort waren ein bis zwei, später zwei bis drei Dienst leistende Fachärzte.
Zum Zeitpunkt seiner Schließung befanden sich im Pavillon 10, damals bereits in einem fortgeschrittenen Katastrophenzustand, etwa 80 Patientinnen, davon mehr als die Hälfte bewegungsunfähig. Obwohl im Dezember 2002 geschlossen, hat die eigentliche Rekonstruktion erst im Jahr 2005 begonnen. Nach ihrer Vollendung entstand eine moderne behindertengerechte Einrichtung. Für 66 schwer kranke Frauen.
Die Verlängerung der mittleren Lebensetappe bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebenserwatung ist ein Erfolg der Medizin. Sie bringt aber auch Probleme mit sich. Eines davon gilt zugleich auch als moralische Pflicht: Die Errichtung von würdevollen Pflegestätten für Menschen, die nach wie vor am Rande der Aufmerksamkeit der Außenwelt stehen. Zuzana Baborikova fügt hinzu:"Die Demenz-Erkrankungen stellen gegenwärtig ein großes medizinisches wie auch gesellschaftliches Problem dar. Betroffen ist ein großer Teil der Bevölkerung. In Tschechien sprechen Statistiken von 120 000 - 150 000 Menschen. Es handelt sich um höchst komplizierte chronische Erkrankungen mit einer negativen Prognose, die in ihrem Endstadium den Kranken ihre Persönlichkeit und Menschenwürde nehmen."