„U Apolináře“ in Prag: Die weltweit erste Ausnüchterungsstation
Seit 70 Jahren schon werden stark betrunkene Menschen in Prag, die von der Polizei aufgegriffen werden, auf eine spezielle Station gebracht. Das soll verhindern, dass sie sich selbst oder andere gefährden. Die Ausnüchterungsstation, die 1951 bei der Entzugsklinik „U Apolináře“ entstand, war weltweit die erste ihrer Art. Im Folgenden mehr zu dieser Einrichtung, ihrem Gründer Jaroslav Skála und seinen Behandlungsmethoden.
Seit Februar ist die Ausnüchterungsstation in Prag wieder in vollem Betrieb. Im vergangenen Jahr wurde sie komplett renoviert und vergrößert. Allerdings befindet sie sich nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort, in der Entzugsklinik „U Apolináře“. Seit einigen Jahren betreibt das Krankenhaus „Na Bulovce“ die Station mit ihren 26 Betten. Insgesamt bestehen in Tschechien rund 20 dieser Einrichtungen. So etwa auch im mährischen Kroměříž / Kremsier. Dort registrierte man im vergangenen Jahr eine zunehmende Zahl an Patienten, die ausnüchtern mussten. So sagt Egon Havrlant, Sprecher der Kliniken im Kreis Mährisch-Schlesien, zu den Zahlen von 2019:
„Insgesamt hat die Ausnüchterungsstation in dem Jahr 1588 Klienten aufgenommen. Zu den traurigen Rekordhaltern gehört ein Mann, der 90 Mal auf die Station in Kroměříž gebracht wurde. Bei den Frauen liegt der Rekord einer Klientin bei 72 Mal, wobei die Hälfte der Aufenthalte gerade ins vergangene Jahr gefallen sind.“
Dass immer wieder dieselben Menschen in der Ausnüchterung landen, war aber gerade nicht das Ziel von Jaroslav Skála. Als er 1951 die erste Einrichtung dieser Art eröffnete, ging es darum, auffällig gewordene Alkoholiker in eine Therapie zu überführen. Nicht zuletzt entstand die Ausnüchterungsstation auf eine Initiative von Patienten in der Entzugsklinik. Jaroslav Skála hat dies 2002 in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks auf folgende Weise geschildert:
„Wir hatten eine Selbsthilfegruppe, die sich ‚Klub usilujících o střízlivost‘ (Klub der um Nüchternheit Bemühten, Anm. d. Red) nannte. Bei unseren Treffen habe ich immer wieder Folgendes gehört: ‚Herr Doktor, wir sind bereits aus dem Schlimmsten heraus, wir erhalten Hilfe. Aber es gibt eine Menge Leute da draußen, die in der Patsche sitzen. Wenn die zu viel trinken, dann geraten sie häufig in Schlägereien und stecken vor allem selbst die Schläge ein, und das auch von der Polizei.‘ Und genau jene, bei denen der Alkohol bereits zu risikoreichem Verhalten führt, wollten wir schützen.“
Eigeninitiative der Patienten
Bereits 1948 begann Skála mit der Behandlung von Alkoholikern. Er war damals Psychiater am Prager Uniklinikum. Das medizinische Fach bekam im Lauf der Jahre im Tschechischen den Namen „adiktologie“, also Addiktologie oder Wissenschaft vom Rauschmittelentzug. Was Skála praktizierte, lässt sich allerdings am besten mit einer „Rosskur“ umschreiben. Einen Eimer neben sich und die Biergläser vor sich: So saßen die Patienten im „U Apolináře“ an einem langen Tisch und übergaben sich – gemeinsam. Dies war eine der Methoden für jene, die nicht regelmäßig auf der Ausnüchterungsstation landen wollten. Neben dem gemeinsamen Erbrechen wurde den Patienten auch das Medikament Antabus verabreicht. Dieses Mittel macht den Konsum von Alkohol äußerst unangenehm – wie bei einem schweren Kater. Des Weiteren triezte Skála seine Klienten mit seiner zweiten Leidenschaft neben der Medizin: dem Sport.
Ondřej war als Student in den Alkoholismus geschliddert und wurde deswegen in den 1970er Jahren von der Universität geworfen. Er ließ sich in die Klinik für Addikotologie einweisen und erinnerte sich vor einiger Zeit an die dortigen Methoden.
„Sie waren geprägt vom Verantwortungsgefühl gegenüber der Gemeinschaft. Man sollte nicht nur an sich denken. Morgens gab es bereits Übungen, dann eiskalte Duschen. Wir mussten Dauerläufe machen. Jene, die untrainiert waren, haben sozusagen Blut gespuckt. Dies hat einigen überhaupt nicht gelegen, mir aber schon“, so der frühere Patient.
Skála selbst lehnte zeitlebens das Wort „hart“ für seine Methoden ab. Er nannte sie stattdessen „anspruchsvoll“. Der Grundsatz aber war:
„Wir haben gesagt, dass der Patient zu uns ins ‚U Apolináře‘ freiwillig kommen soll. Das entspricht auch den allgemeinen Erfahrungen. Er soll nicht kommen, um der Ehefrau und den Freunden gegenüber behaupten zu können, er trinke nicht mehr. Vielmehr sollte er sagen: ‚Doktor, ich habe ein Problem und bin nun hier, um mit Ihnen zusammenzuarbeiten‘.“
Und die Patienten kamen, obwohl die kommunistischen Machthaber der Entzugsklinik zunächst bestenfalls skeptisch gegenüberstanden. Insgesamt 180.000 Menschen sind bis zu Skálas Rente 1981 nach seinen Angaben dort trocken geworden. Durchsetzen konnte sich auch die Idee der Ausnüchterungsstation. Insgesamt 63 von ihnen wurden in der damaligen Tschechoslowakei aufgebaut. Und das hatte verständliche Gründe. Karel Nešpor war viele Jahre lang Kollege von Skála und leitete die psychiatrische Klinik im Prager Stadtteil Bohnice:
„Die Ausnüchterungsstation war zu ihrer Zeit eine sehr humane Einrichtung. Denn richtig betrunkene Menschen landeten ansonsten in Polizeihaft. Und dort konnten sie womöglich sterben, wenn man sie zum Beispiel nicht auf Kopfverletzungen untersuchte. Außerdem werden viele Betrunkene ausfallend und machen sich der Beamtenbeleidigung schuldig. Die Mitarbeiter der Ausnüchterungsstation haben solche Invektive hingegen ertragen. Zu der damaligen Zeit war die Station der Schritt in die richtige Richtung.“
Humane Einrichtung
Kein Wunder, dass die Idee auch außerhalb des Landes auf Anerkennung stieß. Skála arbeitete unter anderem mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen. 1963 begann der Siegeszug seiner Ausnüchterungsstationen in Übersee, und dort vor allem in den Vereinigten Staaten. Rund 1000 solcher Einrichtungen entstanden allein in den USA. Karel Nešpor hält deswegen viel auf seinen ehemaligen Kollegen, der 2007 starb.
„Jaroslav Skála war sicher ein Mensch, dessen Horizont sehr weit reichte. Sobald über irgendetwas in der Welt gesprochen wurde, brachte er es auch in die Tschechoslowakei. Die Suchtbehandlung bei uns hatte Weltformat. Er war ein erfindungsreicher Forschertyp“, so der Psychiater.
Die tschechischen Ausnüchterungsstationen wurden jedoch nach der politischen Wende von 1989 immer mehr zu besseren Polizeizellen. Denn viele von ihnen waren nicht mehr an eine Entzugsklinik angebunden. Heutzutage sind es meist Obdachlose, die auf den Stationen landen. Vor einigen Jahren kritisierte daher die damalige Ombudsfrau Anna Šabatová, dass von den Klienten teils horrende Summen für die unfreiwillige Nacht auf der Ausnüchterungsstation genommen würden. Außerdem seien die Einrichtungen personell unterbesetzt, sodass zu häufig die Patienten etwa an die Betten geschnallt würden, lautete ein weiterer Vorwurf. Vor fünf Jahren äußerte daher der heutige Leiter der Klinik für Addiktologie, Petr Popov, sein Bedauern über die Zustände auf den Stationen:
„Heute dienen sie zum großen Teil zum Wegsperren unbequemer Menschen. Wenn jemand auffällig wird und alkoholisiert oder unter dem Einfluss anderer Rauschmittel zu randalieren beginnt, dann kommt er eben auf die Ausnüchterungsstation.“