Leben ohne Alkohol: Jaroslav Skála - Gründer der weltweit ersten Ausnüchterungsstation

Jaroslav Skála (Foto: CTK)

Als Jaroslav Skála diese Woche starb, wussten die meisten Tschechen, welch medizinische Kapazität sie verloren haben. 1951 gründete der Psychiater in Prag die weltweit erste Ausnüchterungsstation. Was er seinen Klienten damals anbot, war außerdem eine ausgesprochene Rosskur zur Entwöhnung von Bier, Wein, Schnaps und Ähnlichem. Was für ein Mensch war Skála, wie kam es zu der Gründung der Station und wie ging es in den ersten Jahren zu in dieser Anstalt? Till Janzer hat für unsere Sendereihe „Kapitel aus der tschechischen Geschichte“ einen Blick hinter die historischen Kulissen geworfen.

Jaroslav Skála  (Foto: CTK)
Gemeinsames Singen gegen den Schluck aus der Flasche. Das war eine der Methoden, die Jaroslav Skála bei seiner Therapie von Alkoholikern nutzte. Und es war sicher eine der leichtesten. Denn solange Skala die von ihm gegründete Ausnüchterungsstation und Entziehungsklinik „U Apolináře“ leitete, hieß es, dass es dort wie beim Militär zuging.

Jaroslav Skála wurde 1916 in der Bierstadt Plzeň / Pilsen geboren. Sein Studium absolvierte er in Prag, Königsberg und in Göttingen und zwar gleich in zwei Fächern, wie er in einem seiner letzten Radiogespräche vor fünf Jahren gegenüber dem Tschechischen Rundfunk berichtete: in Sport und Medizin.

„Ich habe beides gleichzeitig studiert. Die Sportaktivitäten, die von Boxen, über Fechten bis hin zu Schwimmen und Weiterem reichten, waren mehr für mich selbst und meine Fitness gedacht; die Medizin hingegen, um einen Berufsweg in der Welt einzuschlagen.“

Dennoch musste Jaroslav Skála erstmal auf sein Sportstudium zurückgreifen. 1939 schlossen die Nazis die Universitäten im damaligen Protektorat und Skála hatte bis dahin erst den Abschluss im Bereich Leibesübungen in der Tasche. Also arbeitete er zunächst als Sportlehrer. Erst nach dem Krieg legte Skála auch seine ärztliche Prüfung ab und wurde aber bereits 1946 Assistent an der psychiatrischen Uniklinik in Prag. Dort beginnt sein Kampf gegen den Alkoholismus, den der Mediziner sein ganzes restliches Leben lang bis weit über seine Pensionierung hinaus führen sollte.

Foto: Simona Kalasova
Die erste Institution gründet Jaroslav Skála 1948 zusammen mit seinen Patienten. Man nennt sich „Klub usilujících o střízlivost“, auf Deutsch also in etwa „Klub der um Nüchternheit Bemühten“. Vorbild sind Selbsthilfeorganisationen wie die „Anonymen Alkoholiker“ in den Vereinigten Staaten. Es ist allerdings nicht der erste Versuch zur Heilung von Suchtkranken auf dem Gebiet der damaligen Tschechoslowakei.

„Die erste Heilanstalt entstand noch zu Zeiten der Habsburgermonarchie im mährischen Kunčice. Dort waren Pfarrer zur Entziehungskur, die Anstalt wurde von der Kirche unterstützt. Zudem machten dort auch Bergleute Entziehungskuren. Kunčice wurde von demselben Pfarrer geleitet, der später in der Ersten Republik dann eine ähnliche Einrichtung in Tuchlov bei Teplice / Teplitz führte. Im Unterschied zu dem, was ich eingeführt habe, waren es alles geistlich ausgerichtete Anstalten; der Krieg machte ihnen aber ein Ende. Ich bin dann wie eine Art Abenteurer als erster Arzt in diesen Bereich eingestiegen. Später entwickelte sich daraus ein eigenes medizinisches Fach.“

Das medizinische Fach bekam im Lauf der Jahre im Tschechischen den Namen „adiktologie“, also Addiktologie (Wissenschaft vom Rauschmittelentzug). Doch die wahre Neuerung sollte noch auf sich warten lassen: die Ausnüchterungsstation. Sie entstand ebenfalls zum Großteil auf Initiative der Patienten, wie aus den Erläuterungen Jaroslav Skálas hervorgeht. Diese hätten ihm nämlich damals gesagt:

U Apolináře
„Herr Doktor, wir sind bereits aus dem Schlimmsten heraus, wir erhalten Hilfe. Aber es gibt eine Masse Leute da draußen, die in der Patsche sitzen. Wenn die zuviel trinken, dann geraten sie häufig in Schlägereien und stecken vor allem selbst die Schläge ein, und das auch von der Polizei.“

Und so entstand im Krankenhaus „U Apolináře“ in Prag die weltweit erste Ausnüchterungsstation: als Schutz der Patienten vor Schlägen. Ähnliche Einrichtungen wurden später auch in weiteren Städten errichtet. Als Jaroslav Skála 1981 in Rente ging, gab es in der damaligen Tschechoslowakei 63 Ausnüchterungsstationen, in der heutigen Tschechischen Republik sind es nur noch 16.

„Jaroslav Skala war sicher ein Mensch, dessen Horizont sehr weit reichte. Das sprach sich auch in der Welt herum. Die hiesige Suchtbehandlung hatte einfach Weltformat. Er war ein erfindungsreicher Forschertyp“,

urteilt einer von Skálas Schülern, Karel Nešpor von der psychiatrischen Klinik in Prag-Bohnice. Kein Wunder, dass die Idee des Nestors der tschechischen Entzugsmedizin auch außerhalb des Landes auf Anerkennung stieß. Skála arbeitete unter anderem mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen. 1963 begann der Siegeszug seiner Stationen in Übersee, und dort vor allem in den Vereinigten Staaten. Rund 1000 solcher Stationen entstanden allein in den USA.

Jaroslav Skála  (in der Mitte) mit den Patienten  (Foto: CTK)
Ein Eimer neben sich und die Biergläser vor sich, so saßen die Patienten im U Apolináře an einem langen Tisch und übergaben sich - gemeinsam. Dies war eine der Methoden, mit denen Jaroslav Skála das Entzugsprogramm in seiner Klinik für diejenigen gestaltete, die nicht regelmäßig auf der Ausnüchterungsstation landen wollten. Eine richtige Rosskur also. Neben dem gemeinsamen Erbrechen wurde den Patienten auch das Medikament Antabus verabreicht, das den Konsum von Alkohol äußerst unangenehm macht – wie bei einem schweren Kater. Des Weiteren triezte Skála sie mit seiner zweiten Leidenschaften neben der Medizin: dem Sport. Dauerläufe standen zum Beispiel regelmäßig auf dem Programm. Skála selbst lehnte zeitlebens das Wort hart für seine Methoden ab. Er nannte sie vielmehr anspruchsvoll. Aber, so Skála:

„Zu uns ins U Apolináře, haben wir gesagt, soll der Patient freiwillig kommen. Das entspricht auch den allgemeinen Erfahrungen. Er soll nicht kommen, damit er der Ehefrau und den Freunden gegenüber behaupten kann, er trinke nicht mehr. Vielmehr sollte er sagen: ´Doktor, ich habe ein Problem und bin nun hier, um mit Ihnen zusammenzuarbeiten.´“

Und die Patienten kamen, auch wenn die kommunistischen Machthaber am Anfang der Entzugsklinik bestenfalls skeptisch gegenüberstanden. Insgesamt 180.000 Menschen sollen bis zu Skálas Rente 1981 dort trocken geworden sein.

„Als das Interesse aus den Reihen der Normalbürger zu steigen begann, meldeten sich auch Parteimitglieder. Auf 500 Patienten kam ein Prominenter. So zum Beispiel František Hrubín, ein bekannter Dichter, der hier wie die anderen auf der Ausnüchterungsstation landete, wie die anderen eine Entziehungskur machte. Er war dann zehn Jahre abstinent. Wegen seines Images hat er der Station sehr geholfen.“

Einer der Prominenten aus jüngerer Zeit dürfte zudem auch in Deutschland so manchem bekannt sein: 2005 absolvierte der Fußballspieler Jan Šimák, das ehemalige Entfant terrible der Bundesliga, im Apolinář eine Entziehungskur. Eine solche Kur hätte aber auch einigen der höchsten Kommunisten in der Tschechoslowakei gut zu Gesicht gestanden, zum Beispiel Klement Gottwald. Der erste kommunistische Staatspräsident habe sich allerdings genauso wenig behandeln lassen, wie der letzte, Gustáv Husák, sagt Skála.

„Husák war ausgesprochen abhängig in seinen letzten Lebensjahren, das weiß ich aus Fachkreisen. Hoch gestellte Parteimitglieder, also Bolschewiken, haben sich einfach zu Tode gesoffen.“

Wie hielt es aber eigentlich der Arzt selbst mit dem Trinken? 1951 richtete seine damalige Mitarbeiterin und spätere Lebenspartnerin Arnoštka Maťová die Frage an Jaroslav Skála, ob er wirklich mit gutem Gewissen vor seine Patienten treten könne, wenn er am Abend zuvor noch das ein oder andere Gläschen genossen habe. Innerhalb einer Woche entschied sich Skála, keinen Schluck mehr zu trinken, was er 52 Jahre lang durchhielt.

„Meine Patienten waren mir das wert, dass ich dauerhaft und konsequent abstinent blieb.“