Puccinis „Manon Lescaut“ als Sozialdrama in der Staatsoper in Prag

Giacomo Puccini: 'Manon Lescaut'
  • Puccinis „Manon Lescaut“ als Sozialdrama in der Staatsoper in Prag
0:00
/
10:12

Am Donnerstag kommender Woche hat eine Neuproduktion von Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“ in der Prager Staatsoper Premiere. Die Regie des Stücks hat die slowakische Regisseurin Sláva Daubnerová. Der italienische Dirigent Simone Di Felice hat das Werk musikalisch einstudiert. Martina Schneibergová hat mit der Regisseurin und dem Dirigenten gesprochen.

Frau Daubnerová, wie ist Ihre Manon? Ist sie nur ein leichtsinniges Mädchen, das nach Vergnügen sucht?

Sláva Daubnerová | Foto: Jakub Gulyas,  Nationaltheater Prag

„Natürlich hat mich eine Art von Tiefe an der Hauptfigur interessiert. Ich glaube nicht, dass ihre Motivation so oberflächlich ist, dass sie nur am Geld oder Spaß interessiert wäre. Wir wissen selbstverständlich nicht, wie das Puccini gemeint hat, aber beispielsweise die Szene im dritten Akt ist wirklich ein starkes, ein brutales Bild. Ich denke, der Komponist wollte über ganz normale Leute von der Straße sprechen und nicht über Menschen aus den Salons. Er wollte, so meine ich, seine Zeit realistisch zeigen. Deswegen verstehe ich das Thema als Sozialdrama. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, aus welcher Welt Manon stammt, und dass sie den Traum hat, diese beschränkte Welt, die mit Armut und vielleicht einem patriarchalen Vater verbunden ist, zu verlassen. Sie will sich davon befreien, und leider hat sie keine andere Möglichkeit, als ihre Schönheit zu nutzen. Das ist natürlich sehr traurig. Es ist jedoch ein sehr aktuelles Thema. Mich hat ein Film inspiriert, der vor einigen Jahren gedreht wurde. Er beschreibt den Weg einiger Frauen aus Osteuropa, die Arbeit in einer Fabrik im tschechisch-deutschen Grenzgebiet finden. Sie verdienen dort jedoch sehr wenig und werden zur Prostitution gezwungen. Ich will weder diese Frauen noch Manon verurteilen. Bei ihr spielt vermutlich die Ambition eine Rolle, einen besseren sozialen Status zu haben. Und das war der einfachste Weg, den ich nicht bewundern muss, mit dem ich jedoch Mitleid oder Empathie haben kann.“

Wie ist die Zusammenarbeit mit den beiden Darstellerinnen von Manon, Ghiulnara Raileanu und Petra Alvarez Šimková?

„Immer, wenn ich mit Sängern arbeite, habe ich großen Respekt. Für mich sind Sänger, die große Opernpartien darbieten, so etwas wie olympische Sportler. Sie tragen eine nicht geringe Verantwortung und stehen unter großem Druck, für sie ist es physisch sowie psychisch sehr anspruchsvoll. Ich sehe meine Rolle darin, den Darstellern die beste Gelegenheit auf der Bühne zu bieten, damit sie strahlen können. Unsere Besetzung ist fantastisch. Die beiden Darstellerinnen sind unterschiedlich. Ich liebe an meiner Arbeit, dass ich meinem eigenen Weg zu den einzelnen Darstellern suchen kann. Denn obwohl die beiden Sängerinnen dieselbe Rolle singen, bewegen sie sich unterschiedlich und haben unterschiedliche Erfahrungen. Damit arbeite ich, um die Charaktere glaubwürdig auf der Bühne darzustellen. Die psychologische sowie intellektuelle Arbeit ist mir sehr wichtig.“

Peter Berger  (Renato des Grieux),  Petra Alvarez Šimková  (Manon) | Foto: Serghei Gherciu,  Nationaltheater Prag

Herr Simone, Sie haben „Manon Lescaut“ als Puccinis Meisterwerk bezeichnet. Die Oper ist hierzulande vielleicht nicht so bekannt wie „La Bohéme“ oder „Tosca“. Worin unterscheidet sie sich von diesen Werken?

Simone Di Felice | Foto: Nationaltheater Prag

„Ich denke, an ,Manon Lescaut‘ ist faszinierend, dass es das erste Meisterwerk von Puccini war. Ich finde die Orchestrierung manchmal im guten Sinne naiv, also sehr voll. Manchmal muss man wirklich kämpfen, dass die Sachen so hervortreten, wie sie geschrieben sind. Ich habe das Gefühl, dass die musikalischen Einfälle sehr natürlich sind. Sie sind wie eine einzige Geste, die keine Überlegung braucht. Es folgt eine Idee nach der anderen, ohne dass Puccini etwas ändern musste. Dies gilt eigentlich zum Teil auch für andere Stücke, aber ,Manon Lescaut‘ ist ein wilder Fluss von musikalischen Ideen. Bei dieser Oper spielte die Theaterintuition des Komponisten eine wichtige Rolle.“

Was war ausschlaggebend dafür, dass Sie das Angebot akzeptiert haben, „Manon Lescaut“ in Prag einzustudieren?

„Ich glaube, solch ein Stück wird immer akzeptiert. Die Qualität und Schönheit der Oper sowie das Prestige sind wichtig. Und natürlich spielt das Opernhaus ebenfalls eine bedeutende Rolle. Das sind die ersten Sachen, über die man nachdenkt: welches Stück und wo. In diesem Fall waren die beiden Dinge klasse: ein wunderschönes Stück und ein herrliches Theater. Es gibt hier ein wunderbares Ambiente für die Arbeit mit dem Orchester, dem Chor, der Regisseurin und der Theaterleitung. Es ist wirklich eine sehr schöne Erfahrung.“

František Zahradníček  (Geronte di Ravoir),  Csaba Kotlár  (Lescaut) | Foto: Serghei Gherciu,  Nationaltheater Prag

Wie finden Sie die Zusammenarbeit mit den Solistinnen und Solisten, die die Hauptpartien singen?

„Sehr gut. Wir haben jetzt zwei komplette Besetzungen, und das bedeutet natürlich viel Arbeit. Man muss den Weg zu jedem Sänger finden, jeder hat eine eigene Beziehung zu dem Stück. Wir sind alle unterschiedlich, was das Ziel und den Weg zum Ziel betrifft. Deswegen ist es sehr interessant zu schauen, wie man aus jedem einzelnen das Beste herausbekommt.“

Hatten Sie zuvor Kontakte nach Prag?

„Es ist mein erstes Engagement in Prag und hoffentlich nicht das letzte. Es ist ein sehr schönes Theater. Alle Mitarbeiter, das Orchester sowie der Chor, sind sehr flexibel, hochqualitativ und sehr professionell.“

Die Premiere von Puccinis Oper „Manon Lescaut“ in der Prager Staatsoper findet am Donnerstag, 27. März, statt. Die zweite Premiere folgt am Samstag, 29. März. Die Vorstellungen beginnen um 19 Uhr. Für die beiden Premieren gibt es noch einige Restkarten. Reprisen der Oper stehen am 3., 9., 13., 18. und 24. April, am 4. Mai sowie am 19. und 22. Juni auf dem Programm. Das Stück wird auch in der nächsten Spielzeit noch aufgeführt.

schlüsselwörter:
abspielen