Fibichs Oper über den Aufstand der Frauen gegen das Patriarchat: „Šárka“ im Prager Nationaltheater

Inszenierung der Oper Šárka

Nach fast 50 Jahren wird im Prager Nationaltheater wieder Zdeněk Fibichs Oper „Šárka“ aufgeführt. Das Stück wurde von einem internationalen Team einstudiert. Während der Proben hat Martina Schneibergová mit Dirigent Robert Jindra, der Sopranistin Maida Hundeling und dem Regisseur Kay Link gesprochen.

Herr Jindra, was war der Beweggrund, Zdeněk Fibichs Oper „Šárka“ nach so vielen Jahren wieder in Prag aufzuführen?

Robert Jindra | Foto: Zdeněk Sokol,  Nationaltheater Prag

„Ich muss ganz ehrlich sagen, dass dieses Stück seit meinen Studentenjahren ein Herzstück für mich ist, weil ich ein großer Fan der Musik Smetanas und vor allem seiner Oper ,Libuše‘ bin. Die Handlung von ,Šárka’ spielt nach dem Tod der Fürstin Libuše. Die Musik ist von der großen Smetana-Tradition inspiriert, aber Fibich hat eine wunderbare, ganz neue Musik geschrieben. Er zitiert zwar zwei Leitmotive aus ,Libuše‘, hat aber dennoch ganz neue Ideen gefunden, und die Partitur nähert sich meiner Meinung nach der Musik des Impressionismus an.“

Es wird oft gesagt, Fibich sei auch von Wagner beeinflusst worden. Stimmt das?

„Ach ja, das ist immer die Frage. Ich denke, seine Musik ist ein Kompromiss zwischen Smetana, Wagner und im Grunde genommen auch Debussy. An ein paar Stellen klingt die Musik wie Wagner, aber die Harmonie ist ganz anders. Fibich ist originell, und ich liebe seine Musik.“

Wie gefällt Ihnen das Libretto?

Jolana Fogašová als Vlasta | Foto: Zdeněk Sokol,  Oper des Nationaltheaters

„Über die tschechischen Komponisten sagen viele, dass ihre Libretti archaisch seien – dass die Texte zu altmodisch und die Opern deshalb schwer zu inszenieren sind. Bei diesem Stück finde ich die Handlung, die Dramaturgie aber wirklich perfekt. Die Handlung bewegt sich immer nach vorne, man spürt darin die Energie. Es kommt zu einer Kriegsszene zwischen Männern und Frauen und plötzlich erklingt eine wunderschöne Melodie in einem Liebesduett. Ich finde auch das Libretto ganz gut. Es ist archaisch, natürlich. Aber wie sollte es auch anders sein? Es entspricht der Zeit, in der es entstanden ist. Es ist ein Stück unserer Geschichte.“

Stellt die Oper hohe Ansprüche an die Sänger?

„Häufig werde ich als Musikdirektor des Nationaltheaters gefragt, warum wir diese unbekannten Stücke, welche normalerweise nicht auf dem Repertoire stehen, nicht häufiger spielen. Das liegt auch daran, dass es nicht einfach ist, die entsprechenden Sänger für die Partien zu finden. Die Stimmen müssen sehr dramatisch sein, weil die Instrumentation fast symphonisch ist. Der Tenor in dieser Oper klingt mindestens wie Lohengrin oder Tannhäuser. Bei Fibich muss man einfach eine auch sehr lyrische Stimme haben und auch die hohen Töne singen können.“

Und wo haben Sie den richtigen Ctirad für „Šárka“ gefunden?

„In Tadeusz Szlenkier. Es ist sein Debüt in Prag, die Stimme wird für unser Publikum ganz neu sein. Er hat wirklich eine Wagner-Stimme. Sie passt perfekt und natürlich ist das für ihn ein ganz neuer Weg, weil er vom tschechischen Repertoire bisher nur den Prinzen aus ,Rusalka‘ gesungen hat. Šárka ist eine tschechische Isolde, das muss man sagen. Die Partie singt Maida Hundeling, eine Sängerin, die vor allem mit dem Strauss- und Wagner-Repertoire Erfahrungen hat. Ihr Mann stammt aus Tschechien, sie hat keine Probleme mit der Aussprache. Das ist wichtig, weil die Aussprache für die Ausländer nicht einfach ist.“

Jolana Fogašová als Vlasta | Foto: Zdeněk Sokol,  Oper des Nationaltheaters

Frau Hundeling, haben Sie bereits vorher die Rolle der Šárka gekannt?

Maida Hundeling als Šárka | Foto: Zdeněk Sokol,  Oper des Nationaltheaters

„Ja, schon. Vor zwölf Jahren hatte ich die Möglichkeit, mit Robert Jindra in einem Konzert in Pilsen die Arie und das Duett mit der Philharmonie zu singen. Seitdem kenne ich die Šárka. Natürlich ist das nicht gleich die ganze Rolle. Aber mir hat das damals sehr gefallen und deswegen bin ich hier. Robert Jindra hat mich vor einem Jahr angesprochen, ob ich Interesse hätte, die Partie mit ihm einzustudieren. Zum einen arbeite ich gerne mit ihm zusammen. Zum anderen hat mich die komplette Rolle interessiert, weil sie eine Rarität ist und ich mein tschechisches Repertoire ein bisschen erweitern wollte. Ich habe dann sofort zugesagt und freue mich riesig, hier zu sein.“

Haben Sie die Sage über die mythologische Šárka gelesen?

„Für die Vorbereitung habe ich sie natürlich gelesen, auch die Geschichte davor mit Libuše. Für mich ist es wichtig, über den Hintergrund Bescheid zu wissen.“

Wie finden Sie das Libretto? Sie sprechen gut tschechisch, also können Sie es beurteilen…

„Es ist natürlich eine sehr anstrengende Geschichte, Šárka ist keine ganz positive Rolle. Sie ist sehr emotional, sehr impulsiv und kommt dann an den Punkt, wo sie eine Lebensentscheidung machen muss. Sie trifft die Liebe, lässt sie zu – sogar mit jemandem, den sie vorher gehasst hat. Aber man sagt im Deutschen ja, was sich neckt, das liebt sich. Das sagt sich leicht. Das Ganze ist also sehr spannend. Bis zum Schluss ist es anspruchsvoll, die Geschichte zu verfolgen und zu verstehen. Aber das macht es eben auch umso interessanter.“

Ich habe bereits mit Robert Jindra gesprochen. Er meinte, „Šárka“ sei fast eine tschechische Isolde…

Maida Hundeling als Šárka | Foto: Zdeněk Sokol,  Oper des Nationaltheaters

„Ich glaube, Isolde hat noch einen viel größeren Umfang und natürlich hat Zdeněk Fibich seinen eigenen Stil. Man hört das. Es gibt vielleicht Ähnlichkeiten in Motiven oder in Phrasenführungen, aber ich würde das einfach eigenständig sehen. Natürlich, die Musik ist irgendwo zwischen Dvořák, Smetana und Wagner angelegt. Aber für mich muss man sie eigenständig betrachten.“

Gibt es in der Oper richtige Arien?

„Genauso wie bei Wagner oder auch eigentlich bei Smetana oder Dvořák ist alles durchkomponiert. Es gibt keine geschlossene Arie, nach der Applaus kommt. Es geht stets gleich weiter mit dem nächsten Drama.“

Denken Sie, dass die Oper auch im Ausland Erfolg feiern könnte?

„Ich denke schon. Man muss sich natürlich gut damit beschäftigen. Die Oper wurde vor einigen Jahren sogar in Braunschweig aufgeführt. Ich weiß auch nicht, warum zum Beispiel ‚Libuše‘ (Oper von Bedřich Smetana, Anm. d. Red.) überhaupt nicht im Ausland gespielt wird.“

Welche Rollen stehen für Sie außer Šárka in den nächsten Monaten an?

„Ich habe dem Mährisch-Schlesischen Nationaltheater in Ostrava zugesagt, die Turandot zu singen, die auf meinem Repertoire ist. Und dann geht es weiter mit der Walküre in London. Dann folgt eine Wiederaufnahme von ,Nabucco‘. Außerdem singe ich in ,Andrea Chénier‘ konzertant in Liberec, was ich gerne mache, weil ich die Partie einmal ausprobieren möchte. Aber mein Hauptprojekt wird ab Frühjahr 2025 die Brünnhilde im ‚Ring‘ sein. Manchmal zwischendurch vielleicht auch die Sieglinde, aber der ‚Ring‘ ist einfach das große Projekt in meiner Zukunft.“

Maida Hundeling als Šárka | Foto: Zdeněk Sokol,  Oper des Nationaltheaters

Herr Link, Sie haben bereits mit Robert Jindra zusammengearbeitet – in Essen an Reimanns Oper „Medea“. Was hat Sie dazu bewegt, nun „Šárka“ von Zdeněk Fibich in Prag einzustudieren?

Kay Link | Foto: Petr Sankot,  Oper des Nationaltheaters

„Das war ein Angebot vom Prager Nationaltheater. Man trat an mich heran, hat mir das Stück genannt. Ich überlege mir das dann immer erst, schaue mir das Stück an, lese die Noten, höre die Musik. Und wenn ich merke, das Stück spricht zu mir, es geht los, die ersten Gedanken und Fantasien kommen, dann sage ich ja. So war das auch in diesem Fall, also habe ich zugesagt. Es ist wie eine Uraufführung für mich, ein unbekanntes Werk einzustudieren und dazu Bilder und Geschichten zu erfinden. Das ist eigentlich spannender als die 500. ,La Bohème‘ zu inszenieren, wo man tausend Vorbilder hat. Und das fand ich sehr reizvoll. Es wird, glaube ich, sehr spannend.“

Die Oper wird nach fast 50 Jahren wieder in Prag aufgeführt. Einige Generationen haben sie nie gehört. Die Handlung knüpft an die Geschichte über die Fürstin Libuše an. Haben Sie diese böhmische Mythologie vorher gekannt?

Kay Link | Foto: Petr Sankot,  Oper des Nationaltheaters

„Diesen Teil der böhmischen Geschichte kannte ich vor allem aus Reiseführern, von meinen Reisen durch Tschechien. Der Stoff über Libussa war mir bekannt. Fibich und Frau Schulzová (Librettistin, Anm. d. Red.) haben diesen Stoff genommen und in eine echte Oper verwandelt. Das ist eigentlich kein historisches Tableau, wo man etwas über die Geschichte Tschechiens lernt, sondern es ist eine handfeste Oper aus Fleisch und Blut. Und Blut wird wörtlich genommen, es ist eine blutige Geschichte. Sie haben eine subjektive ,Šárka‘ erzählt, die eine eigene Variante ist, so wie es ja sowieso sehr viele Varianten des Stoffes über Libuše gibt. Und wie ich finde, haben sie die Geschichte aus weiblicher Sicht erzählt. Das spüre ich, auch als Mann. Ich spüre diese Ungerechtigkeit, die in diesem Stück liegt, dass nach Libušes Tod die Frauen von der Macht verdrängt werden und zurück an Haus und Herd sollen. Das ist so aktuell, denken Sie nur einmal an Afghanistan oder den Iran. Das springt einem so an. Anežka Schulzová hat es wirklich geschafft, dass wir im ersten Akt gemeinsam mit den Frauen wütend sind. Wir stehen auf ihrer Seite und sagen uns: Das kann doch nicht wahr sein. Und dann freuen wir uns, dass eine Frau den Mut hat, alle mitzureißen und sagt: ,Nein, wir gehen jetzt nicht in Asche und Trauer, sondern wir kämpfen, wir wehren uns.‘ Und das ist, was wir heute vielleicht ‚encouragement‘ nennen. Was Šárka macht ist eigentlich Zivilcourage, eine Art moderner Ausgleich, Empowerment. Sie sagt, dass sich die Frauen wehren müssen, und sie schafft es, andere damit mitzureißen.“

Wie kann man sich Ihre Titelheldin Šárka vorstellen? Als eine mutige und auch liebende Frau?

„Das ist sie. Sie ist mutig und schafft es, die Frauen in einen Bürgerkrieg zu ziehen. Er bricht im zweiten Akt aus, und was da passiert, ist kein Spaß. Da erleben wir, was der Krieg aus Menschen macht. Wir sind auf einmal gar nicht mehr so sicher, auf welcher Seite wir stehen sollen bei den Kriegsverbrechen, die da ablaufen. Aber mitten in dieser Gewaltorgie, im Auge des Orkans, entsteht Liebe. Und sie verliebt sich in ihren Feind und das ist so der Kernpunkt des Stückes.“

Inszenierung der Oper Šárka | Foto: Zdeněk Sokol,  Oper des Nationaltheaters

Die Premiere von Zdeněk Fibichs Oper „Šárka“ findet am Donnerstag, 7. November, im Prager Nationaltheater statt. Die Vorstellung beginnt um 19 Uhr. Es gibt noch Restkarten.