„Farbenfroh und wunderschön“: Dirigent Robert Jindra über die Musik von Smetana, Dvořák und Co.
Das Jahr 2024 wird als das „Jahr der tschechischen Musik“ begangen. Der Grund sind mehrere runde Jubiläen namhafter tschechischer Komponisten. Mit dem Musikdirektor des Prager Nationaltheaters, Robert Jindra, hat Martina Schneibergová nicht nur über die tschechische Musik, sondern auch die jüngste Opernpremiere im Prager Nationaltheater gesprochen.
Herr Jindra, dieses Jahr gilt als das „Jahr der tschechischen Musik“. Was verbirgt sich denn hinter dem Begriff „tschechische Musik“? Kann man das irgendwie definieren?
„Smetana ist ein Komponist, der ein großes Musikdrama im Stil von Wagner schreiben wollte – aber echt tschechisch, mit tschechischer Musik.“
„Das ist sehr schwer zu sagen. Bedřich Smetana ist natürlich ein Fundament der tschechischen Kultur, vor allem im Opernbereich. Seine Inspiration kam unter anderem von Richard Wagner. Smetana ist ein Komponist, der ein großes Musikdrama im Stil von Wagner schreiben wollte – aber echt tschechisch, mit tschechischer Musik. Man kann nicht behaupten, sein Werk biete viele Parallelen zu Wagner. Aber trotzdem ließen sich generell alle großen tschechischen Komponisten der Zeit wie Zdeněk Fibich oder auch Antonín Dvořák von einer großen Persönlichkeit wie Wagner mindestens im Bereich der Oper inspirieren. Ich denke, das Typische an der tschechischen Musik ist, dass sie so schön und farbenfroh ist. Vor allem die Instrumentation bei Dvořák ist absolut genial. Und Smetana kam mit neuen Ideen, was die Handlungen seiner Opern anbelangte. Er orientierte sich an der Mythologie wie in der Oper ,Libuše‘, aber auch an Alltagsgeschichten wie in der ,Verkauften Braut‘ oder in der Oper ,Der Kuss‘. Das ist wirklich etwas Besonderes und weltweit wirklich einzigartig. Ich finde, unsere Musik ist ganz speziell und außergewöhnlich, und ich liebe diese Musik.“
Bei einigen Opern von Smetana hat man den Eindruck, die Handlung sei etwas naiv – wie in den Opern „Der Kuss“ oder „Das Geheimnis“. Versteckt sich dahinter aber nicht doch etwas Ernsthafteres?
„Die Oper ,Das Geheimnis‘ beispielsweise ist nur ein Symbol. Würde man das ganz klassisch inszenieren, könnte es der moderne Zuschauer fast schon für kitschig und überholt halten.“
„Diese Frage höre ich in letzter Zeit ganz oft. Ja, es könnte dem so sein. Man muss jedoch einen Schlüssel finden, um es heute so zu inszenieren. Die Oper ,Das Geheimnis‘ beispielsweise ist nur ein Symbol. Würde man das ganz klassisch inszenieren, könnte es der moderne Zuschauer fast schon für kitschig und überholt halten. Ich bin davon überzeugt, dass es nur die Frage ist, wie es heute zu inszenieren ist. Denn die Handlung ist interessant und symbolisch zugleich.“
Gerade Smetanas Oper „Das Geheimnis“ wird nach Jahren bald wieder in Prag aufgeführt. Studieren Sie das Werk mit dem Ensemble ein?
„Ja, ich studiere die Oper ein. Übrigens war bereits vor vielen Jahren meine erste Premiere im Nationaltheater auch ,Das Geheimnis‘. Damals war ich als zweiter Dirigent dabei, jetzt studiere ich die neue Inszenierung gemeinsam mit dem Regisseur Ondřej Havelka ein. Und ich finde das Werk genial, vor allem den ersten Akt. Auch die Handlung finde ich interessant.“
Mit einem Regisseur wie Ondřej Havelka kann man sich vielleicht auf eine einfallsreiche und lustige Inszenierung freuen…
„Ja, er kann den richtigen Schlüssel dazu finden. Ich finde das Stück super und mit Ondřej Havelka wird es hundertprozentig toll.“
Kommen wir auf die beiden wohl bekanntesten tschechischen Komponisten Smetana und Dvořák zu sprechen. Dvořák spielte Bratsche im Orchester im Prager Prozatímní divadlo, das Smetana geleitet hat. Smetana war 17 Jahre älter als Dvořák. Kann man da auch von einem Einfluss sprechen?
„Ich denke, die beiden Komponisten kann man nicht miteinander vergleichen. Smetana hatte ganz andere Ideen. Dvořáks Instrumentation ist völlig anders als die bei Smetana. Dvořák hatte gegenüber Smetana Respekt, aber er hat völlig neue Wege gefunden. Aber sie sind beide außerordentlich große Komponisten.“
Es gibt jedoch auch tschechische Komponisten, die nicht so oft gespielt werden und fast vergessen wurden. Sie haben vor kurzem mit den Prager Rundfunksymphonikern Musik von Zdeněk Fibich (1850–1900) gespielt. Was ist der Grund, dass er eher selten gespielt wird?
„Fibich ist meiner Meinung nach ein toller Komponist und seine Musik ist speziell. Wenn sie erklingt, weiß man nach ein paar Takten: ,Das ist Fibich.‘“
„Das ist eine gute Frage. Fibich ist meiner Meinung nach ein toller Komponist und seine Musik ist speziell. Wenn sie erklingt, weiß man nach ein paar Takten: ,Das ist Fibich.‘ Vielleicht bestand das Problem darin, dass Smetana eine große Persönlichkeit war und alle nach ihm ein wenig in seinem Schatten standen. Fibich hat viel mehr als die anderen von Wagner übernommen. Und das war vermutlich auch ein Argument für diejenigen, die behaupteten, das sei keine tschechische Musik, das sei vielmehr Wagner. Das stimmt jedoch nicht. Fibich ist ein toller Komponist, und ich liebe seine Musik. In der nächsten Spielzeit möchte ich seine Oper ,Šárka‘ aufführen. Es war schon lange mein Wunsch, das Werk im Nationaltheater einzustudieren. Ich möchte auch noch weiter gehen und ein noch weniger bekanntes Stück aufführen. Derzeit kann ich den Namen jedoch noch nicht verraten.“
Fibich verbindet hierzulande jeder Musikliebhaber mit dem Genre des Melodrams. Er hat gleich mehrere Melodramen geschrieben. Sind sie auch im Ausland bekannt oder sind diese Werke eher eine tschechische Spezialität?
„Fibich hat neben kleinen Melodramen eine große Trilogie mit dem Titel ,Hippodamie‘ geschrieben. Dies ist etwas Besonderes, niemand hat etwas Vergleichbares komponiert. Es ist so etwas wie Wagners ,Ring des Nibelungen‘. Das Melodram besteht aus drei Teilen, sodass es an drei Abenden gespielt wird. In der Welt kennt es niemand. Schade ist auch, dass es im Nationaltheater jahrzehntelang nicht inszeniert wurde. Ich denke, dass das Werk vor allem in Deutschland Erfolg haben könnte.“
Das Problem mit einer Inszenierung im Ausland ist bestimmt auch die sprachliche Barriere. Der Text des Dichters Jaroslav Vrchlický müsste in diesem Fall übersetzt werden…
„Ja, natürlich. Das wäre unrealistisch, ein dreistündiges Melodram auf Tschechisch im Ausland zu inszenieren. Aber mit einer Übersetzung – warum nicht? Fibichs Musik hat mit Wagner zu tun. Aber eine Übersetzung des Texts wäre die Grundvoraussetzung für die Aufführung.“
Kommen wir von der tschechischen Musik zur jüngsten Premiere im Nationaltheater – zur Neuinszenierung von „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss. Sie haben die Oper mit dem Ensemble einstudiert. Das Echo war, soweit ich weiß, recht positiv. Was finden Sie an der Oper am spannendsten?
„Die Oper ist toll. Richard Strauss ist ansonsten durch eine riesengroße, gigantische Orchesterbesetzung bekannt, aber dieses Stück ist sehr speziell, denn es ist eigentlich Kammermusik. Alle im Orchestergraben spielen Solo. Es sind 37 Musiker. Das Orchester und der Klang sind nicht so groß wie bei ,Elektra‘ oder ,Salome‘. Ich mag das Werk, aber es ist für alle Beteiligten sehr schwer. Das gilt auch für die Sängerinnen und Sänger.“