Radio-Prag-Programmdramaturg Schubert: „Keine gewöhnliche Wahl“

Foto: ČTK

Am Samstag um 14 Uhr wurden in Tschechien die Wahllokale geschlossen. Seitdem werden nach und nach die Wahlkreise ausgezählt. Rund acht Millionen Menschen waren aufgerufen, in vorgezogenen Neuwahlen über ein neues Abgeordnetenhaus abzustimmen. Die Wahlen waren notwendig geworden, nachdem sich das Abgeordnetenhaus im August aufgelöst hatte. Mehr zum Urnengang nun im Gespräch mit dem Programmdramaturg von Radio Prag, Gerald Schubert. (Das Gespräch wurde um 14:15 live gesendet.)

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Gerald, wie wir schon mehrfach berichtet haben, sind es ja vorgezogene Neuwahlen. Das heißt, der Wahlkampf war relativ kurz, knapp zwei Monate lang. Wie hat diese kurze Zeit das Geschehen im Wahlkampf beeinflusst?

„Die Parteien haben versucht, ihre Standpunkte auf den verschiedensten Gebieten klarzumachen, so zum Beispiel in der Steuerpolitik. Die Linke will – wenig überraschend – weg vom derzeitigen einheitlichen Steuersatz und hin zu einer Steuerprogression, also einer höheren Besteuerung der Besserverdienenden. Auch auf anderen Gebieten haben die Parteien sich positioniert, aber wirklich dominierende Themen waren in diesem relativ kurzen Wahlkampf kaum auszumachen. Bei der Bundestagswahl in Deutschland war das etwa ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn, in Österreich unter anderem die Bildungspolitik. In Tschechien gab es so ein Thema nicht. Vielmehr haben die Parteien versucht, sich voneinander abzugrenzen. Der Wahlkampf war auch von den formalen Rahmenbedingungen stark geprägt. Insofern war es kein gewöhnlicher Wahlkampf. Der Weg zur Wahl sah ja so aus, dass im Juni die Mitte-Rechts-Regierung von Petr Nečas über einen Bespitzelungs- und Korruptionsskandal stürzte, der auch international riesige Wellen geschlagen hat. Daraufhin hat Präsident Miloš Zeman seinen Berater Jiří Rusnok zum Premierminister ernannt, ohne für diesen Schritt eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu haben. Infolge dessen hat sich das Abgeordnetenhaus dann aufgelöst. Der Wahlkampf war also kein klassischer Wahlkampf zwischen Regierung und Opposition, die Karten könnten völlig neu gemischt werden. Wohl auch deshalb haben viele Politiker die Wahl als die wichtigste seit der Samtenen Revolution des Jahres 1989 bezeichnet.“

Andrej Babiš  (Foto: ČTK)
Also eine sehr bedeutende Wahl: Wurden denn im Vorfeld schon Koalitionsangebote von der einen oder anderen Seite gemacht? Was wurde dazu während des Wahlkampfes alles gesagt?

„Koalitionsangebote gab es, jedoch ist das Entscheidende, dass die bisher besprochenen Varianten für die Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit im Parlament einfach unzureichend sind. Wenn man auf die Kandidaten der letzten, also gestürzten Regierungskoalition schaut, gibt es durchaus Bestrebungen zwischen der bürgerdemokratischen ODS und der rechts-liberalen Top 09, gemeinsam weiterzumachen. Den Umfragen zufolge werden es diese beiden Parteien alleine aber wohl kaum schaffen. Darüber hinaus existieren rechts der Mitte momentan wenige Varianten. Wir haben in letzten Wochen schon ausführlich über die neue Partei ANO des Unternehmers und Milliardärs Andrej Babiš berichtet. Seiner Partei wurde ein großer Erfolg für die Wahl vorausgesagt, sodass sie als Mehrheitsbeschaffer interessant sein könnte. Jedoch ist ANO inhaltlich politisch sehr schwer einzuordnen. Aus diesem Grund haben sich sowohl ODS als auch die Partei Top09 bisher gegen eine Zusammenarbeit mit ANO ausgesprochen. Ein weiterer Newcomer bei der Wahl ist die Partei Úsvit přímé demokracie, auf Deutsch ungefähr 'Morgendämmerung der Direkten Demokratie'. Auch diese kommt für eine Koalition nicht infrage, zumal Úsvit selbst das gar nicht will. Der Vorsitzende Tomio Okamura sagte in seinem letzten Interview gegenüber dem Tschechischen Rundfunk, dass er in die Opposition gehen und von dort aus ein Gesetz über ein allgemeines Referendum und andere Elemente der direkten Demokratie durchsetzen will. Auf Seiten der Linken gestaltet es sich ähnlich. Die Sozialdemokraten wollen weder mit ODS und Top 09, noch mit ANO zusammengehen. In einem Gespräch bezeichnete der ehemalige sozialdemokratische Premier Vladimír Špidla mir gegenüber ANO als 'Partei ohne Inhalt'. Es käme nur das Modell einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Kommunisten infrage. Bis zuletzt war aber nicht sicher, ob dafür die Mandate ausreichen werden.“

Gerald Schubert  (Foto: Archiv Radio Prag)
Es ist also ziemlich spannend, welche Partei wie viel Prozent der Stimmen bekommt. Wie geht es denn heute weiter am Wahltag?

„Das Tschechische Statistikamt zählt nun aus. Bis 17 Uhr könnten schon 90 Prozent der Stimmen ausgezählt sein. Die Deutsche Redaktion von Radio Prag wird dann auch wieder eine aktuelle Sendung ausstrahlen und über die neusten Ereignisse berichten. Abends um 20 Uhr wird es eine weitere Sendung von Radio Prag geben, dann sollten bereits relativ gesicherte Ergebnisse vorliegen.“