Radrennfahrer Jan Vesely

Jan Vesely, 1955 (Foto: CTK)

Ahoi und herzlich willkommen zum Sportreport von Radio Prag. Am Mikrofon begrüßen Sie Gerald Schubert und Lothar Martin. Wir stehen wieder einmal am Beginn des Wonnemonats Mai. Einem Monat, der hierzulande - in der noch nicht allzu langen Vergangenheit aber auch in Polen und in der ehemaligen DDR - immer mit einer Sportart und dabei mit einem ganz besonderen Rennen verknüpft war und es mit Abstrichen auch wieder ist: dem Radrennsport und dem einst größten Amateurradrennen der Welt, der Internationalen Friedensfahrt. Diese sogenannte Friedensfahrt hat seit ihrer Premiere im Jahre 1948 sehr viele große und kleine Geschichten geschrieben, die von zum Teil nicht minder großen Radrennfahrern produziert wurden. Einer davon war der Tscheche Jan Veselý, der - 1923 im südböhmischen Plástovice geboren - gerade in den Anfangsjahren dem populären Rennen seinen Stempel aufdrückte und der somit einer der ganz besonderen Friedensfahrt-Protagonisten schlechthin war. Wenn ich sage war, dann leider deshalb, weil Jan Veselý am 10. Februar d.J. in Prag im nicht vollendeten 80. Lebensjahr verstorben ist. Auch aus diesem Grunde soll sich unser nachfolgender Sportreport voll und ganz mit der Person dieses einzigartigen Rennfahrers befassen. Also bleiben Sie dran!

Jan Vesely,  1955  (Foto: CTK)
Da ich in der großen Rennfahrerzeit des Jan Veselýs noch gar nicht auf der Welt war, habe ich mich mit einem profunden Kenner der damaligen Radsportszene, dem Journalisten Pavel Kovár verabredet, um mehr über die Einmaligkeit des einstigen Idols zu erfahren. Und Pavel Kovár ließ daran auch keinerlei Zweifel:

"Jan Veselý war der vielleicht größte tschechoslowakische bzw. tschechische Radrennfahrer aller Zeiten. Sicher, er war zwar schon vor rund 50 Jahren aktiv gewesen, so dass sich hauptsächlich nur noch die ältere Generation an ihn erinnern kann. Aber er war in der Tat ein außergewöhnlicher Mensch, in dessen Leben es eventuell sogar die entscheidende Rolle gespielt hat, durch welchen Zufall er überhaupt zum Radsport gekommen ist. Veselý stammte aus einer ärmlichen Familie mit fünf Kindern, die in Südböhmen bei Ceské Budejovice/Budweis lebte. Dort war nicht klar, was er eines Tages machen wird, bis der Vater die Idee hatte, seinen Sohn einem Kameraden anzuvertrauen, der ihn mit nach Prag nahm, damit er das Bäckerhandwerk erlerne. Als Bäckerjunge fuhr man seinerzeit - ähnlich wie in Deutschland - jeden Morgen frisches Brot, Brötchen und andere Backware mit dem Fahrrad und dem Tragkorb auf dem Rücken aus. Und so fing Veselýs Karriere damit an, dass er völlig unerwartet als 17-jähriger Lehrling die Rad-Meisterschaft der Prager Bäckergesellen gewann."

Dank dieses Erfolges begann sich Veselý nun intensiver mit dem Radsport zu befassen. Er schloss sich einem Sportclub auf der Prager Kleinseite an, wo ihm, der kein eigenes Rad besaß, eines zur Verfügung gestellt wurde, da er als ein großes Talent gehandelt wurde. Nach dem Krieg gewann er das traditionelle Radrennen Prag - Karlsbad - Prag. Ein bedeutendes Rennen, bei dem Veselý u.a. auch den in Westeuropa bereits bestens bekannten tschechischen Profi und Tour-de-France-Teilnehmer Ota Rozvoda hinter sich gelassen hatte. Das war damals eine riesige Sensation, aber bald zeigte sich, dass Jan Veselý ein erstaunlich talentierter, kämpferischer und allseitiger Radrennfahrer ist. Er gewann immerhin 27 Meistertitel, und zwar sowohl auf der Bahn, auf der Straße als auch im Radcross. Seine von allen Seiten anerkannte Persönlichkeit brachte Jan Veselý vor allem bei der von mir bereits erwähnten Internationalen Friedensfahrt ein. Auch hier kennt Pavel Kovár die Details:

"Er fuhr die Friedensfahrt von 1948 bis 1957. Veselý war stets der Kapitän der tschechoslowakischen Mannschaft. 1949 gewann er die Friedensfahrt, 1952 und 1955 wurde er jeweils Zweiter. Er gewann 16 Etappen - in dieser Bilanz wurde er nur vom Deutschen Olaf Ludwig übertroffen. Zudem war er viermal Mitglied der siegreichen Mannschaft. Seine letzte Friedensfahrt im Jahr 1957 - Veselý war da nahezu 34 Jahre alt - war allerdings ein unerwartet trauriges, um nicht zu sagen tragisches Rennen für ihn. Veselý war in jene Tour nicht bei bester Gesundheit gestartet, denn er hatte Rückenprobleme. Doch er wurde, wie es seinerzeit in der CSSR üblich war, in einer Art politischen Auftrags dazu verdonnert, bei diesem Rennen anzutreten. Das gleiche galt für Jan Kubr, einem damals famosen Sprinter, der nach einer Operation auch noch nicht wieder voll hergestellt war. Diese zwei sollten etwas reißen, doch sie waren gesundheitlich angeschlagen und so haben beide auf der Etappe nach Leipzig aufgegeben. Ihre Aufgabe wurde damals als etwas politisch nicht Tragbares hingestellt. Demzufolge wurden beide unverzüglich nach Hause geschickt, sie wurden gleich am nächsten Tag frühmorgens vom Hotel zum Bahnhof gebracht, bekamen kein Frühstück und mussten mit dem Zug die Heimreise antreten. Als Jan Veselý später auf diesen Vorfall angesprochen wurde, quittierte er es mit einem Lächeln, doch innerlich fühlte er, dass ihm großes Unrecht widerfahren war, zumal ihm sofort alle Titel aberkannt wurden wie zum Beispiel "Meister des Sports" und "Verdienter Meister des Sports". Veselý musste sich quasi von einem Tag auf den anderen um eine Arbeitsstelle kümmern, da er in seiner bis dahin andauernden Karriere nichts anderes als Rennrad fahren gemacht hatte. Er hatte nur das Bäckerhandwerk erlernt, das er aber nach seinen ersten Erfolgen an den Nagel gehängt hatte. Also begann er als Autofahrer zu arbeiten, und das blieb auch für den Rest seines Berufslebens so."

Im weiteren Gespräch mit Pavel Kovár erfahre ich, dass Veselý zunächst als Taxifahrer tätig war, später dann aber u.a. auch für die Redaktion der Tageszeitung "Ceskoslovenský sport" als Fahrer engagiert wurde. Dadurch war er - wenn auch sozusagen nur in zweiter Reihe - weiterhin ziemlich nah mit der von ihm geliebten Friedensfahrt verbunden. Und er konnte insbesondere seine innige Freundschaft mit einem weiteren Radsportidol, dem in der damaligen DDR sehr populären Gustav Adolf Schur, den man nur als Täve kannte, hegen und pflegen. Zu dieser Freundschaft sagte mir Pavel Kovár:

"Sie waren Kameraden, sie haben sich gegenseitig besucht, wann immer es nur irgendwie möglich war. Sie fuhren gemeinsam mit ihren Familien in den Urlaub und es ist hinlänglich bekannt, dass der erste Sohn von Täve Schur, Jan Schur, nach dessen Freund Jan Veselý benannt worden ist. Beide verband eine wirklich große Freundschaft."

Wie groß ihre Freundschaft war, belegt auch die Episode von Leipzig, als Jan Veselý - wie bereits berichtet - nach seiner Aufgabe unverrichteter Dinge die Heimreise antreten musste. Täve Schur hatte ihn zum Bahnhof begleitet, versucht ihn aufzumuntern, auch wenn dies der Gemütsmensch Veselý eigentlich gar nicht in dem Maße brauchte. Täve soll ihm sogar ein wenig Essen für die Fahrt nach Prag besorgt haben.

Rührende Geschichten, wie wir finden, deshalb bat ich Pavel Kovár zum Abschluss unseres Gesprächs noch einmal um ein Kurzporträt des erfolgreichen Radrennfahrers Jan Veselý, vor allem auf die Frage bezogen: Was war Veselý für ein Mensch?

"Jan Veselý war ein sehr geselliger Mensch, er lachte oft, unterhielt sich und erzählte gern. In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, also im Jahrzehnt nach der politische Wende, hat man ihm dann auch wieder alle Titel zuerkannt. In den letzten Jahren vor seinem Tod war Veselý zudem Mitbegründer einer so genannten Tischgesellschaft geworden. Dies war eine Tischrunde, bei der sich so einmal monatlich mehrere ehemalige und zumeist auch erfolgreiche tschechische Sportler wechselweise in ihren Wohnungen trafen. Als Initiatoren dieser Runde hat sich insbesondere das Ehepaar Emil Zátopek und Dana Zátopková hervorgetan. Bei diesen Treffen erinnerte man sich an die alten Zeiten und bewertete die Gegenwart. Es gab immer viel zu lachen und es ging auch oft musikalisch zu - das war auch eine Domäne der Zátopeks, die Gitarre spielten oder wie Dana Zátopková nicht selten ein Lied anstimmten. Jan Veselý, der zudem eine kleine Datscha im Grünen besaß, hatte somit auch einen ihn ausfüllenden und zufriedenstellenden Lebensabend gehabt. Seine plötzlich auftretende Krebserkrankung war wiederum nur von verhältnismäßig kurzer Dauer, so dass er bis zu seinem Tod nicht lange leiden musste."

Jan Veselý wird der Friedensfahrt fehlen, doch andererseits, da bin ich mir sicher, wird man ihm in einem würdigen Rahmen ganz bestimmt ein ewiges Vermächtnis setzen. Und mit diesen Gedanken beenden wir unseren heutigen Sportreport, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, vom Mikrofon verabschieden sich - Gerald Schubert und Lothar Martin.