Reflexion von Wendezeiten in der Literatur
Spricht man von einer "Wende", dann kann jeder nach Belieben etwas anderes damit assoziieren, doch den meisten von uns - Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts - fallen wohl an erster Stelle die gesellschaftspolitischen Umbrüche ein.Die Interpretation des Begriffs "Wende" kann aber fürwahr in einem wesentlich größeren Kontext betrachtet werden. Darum haben sich vorige Woche die Teilnehmer eines Symposiums im nordböhmischen Usti nad Labem / Aussig bemüht. Jitka Mladkova berichtet:
Das Leitmotto der Konferenz war "Wende - Bruch - Kontinuum". Unter Teilnahme von renommierten Germanisten aus Tschechien, Deutschland und Österreich wandte man sich in Usti dem Bereich der Literatur zu, um die Wenden, Wandlungen und Brüche des 20. Jahrhunderts an konkreten Werken der modernen österreichischen Literatur zu erfassen. So sehr die Referate an sich interessant waren, schätzten viele Konferenzteilnehmer besonders die Gelegenheit für den gegenseitigen Gedankenaustausch. So z.B. Dr. Jaroslav Kovar vom Lehrstuhl Germanistik an der Masaryk-Universität Brno / Brünn:
"Da gibt es wohl noch etwas Wichtigeres, und zwar dass man sich mit Kollegen trifft, die man sonst nur von Namen her durch deren Publikationen kennt, und dass man persönlich miteinander sprechen kann. Die Pausen bei diesen Konferenzen sind fast noch wichtiger, als die eigentliche Konferenz."
Der Gedankenaustausch war für die anwesenden Konferenzteilnehmer sehr wichtig. Man kennt sich oder weiß zumindest gut voneinander, denn die Germanistik, darunter auch die tschechische, weist eine interessante und viel beachtete Geschichte auf. Prof. Dr. Wendelin Schmidt-Dengler:
"Die österreichische und die tschechische Germanistik haben eine ganz alte Tradition, die weit in das 19. Jahrhundert zurückreicht. Ich würde sagen, es gäbe keine österreichische Germanistik ohne eine böhmische Germanistik und im Besonderen ohne die Germanistik aus Prag. Hier war die Germanistik viel früher zu Hause und diese Tradition gilt es heute in einem anderen Sinne wieder zu beleben. Ich glaube, das ist eines der erfreulichen Zeichen nach der Wende, dass gerade Österreich mit den Kollegen in der Tschechischen Republik intensiv zusammenarbeitet, wobei die Themen natürlich andere sind."
Bei einer solchen Konferenz mit hochkarätigen Literaturwissenschaftlern tauscht man sich natürlich auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau aus. Jaroslav Kovar sieht aber damit noch eine andere Dimension verbunden:
"Es gibt auch die interessierte Öffentlichkeit, die sich für die Kultur und die Literatur interessiert und auch - und das ist in unserem Fall, hier in Usti oder anderswo, besonders wichtig - für die Frage der Beziehungen zwischen Deutschen, Tschechen und anderen Nationen in Europa. Das sind Fragen, die die Literatur immer reflektiert hat und auch heute reflektiert."Ähnliche Konferenzen wie die in Usti nad Labem fanden in den vergangenen Jahren schon in Ceske Budejovice / Budweis und in Brno / Brünn statt. Dass diesmal die nordböhmische Jan-Evangelista-Purkyne-Universität ein Germanistentreffen beherbergt und betreut hat, ist kein Zufall. Die Germanistin Dr. Renata Cornejo erläutert:
"Unser Lehrstuhl entstand erst nach dem Jahr 1989. Bis dahin gab es in Usti keine Germanistik, und dies ist also erst durch die Wende möglich geworden. Dieses Jahr, gerade in diesen Tagen, feiern wir unser 15.Gründungsjubiläum. Aus diesem Anlass haben wir auch eine Festschrift herausgegeben, und auch dieses Symposium ist ein Festakt, eine Art Feier und Gelegenheit uns auf wissenschaftlichem Wege zu präsentieren und sichtbar zu machen. Das ist uns, glaube ich, auch gelungen, weil wir wirklich renommierte Persönlichkeiten einladen konnten."
Mehr über den Inhalt des Symposiums in Usti nad Labem / Aussig können Sie in einem der nächsten Ausgaben unserer Sendereihe Kultursalon erfahren.