Regieren ohne Abgeordnetenimmunität?
Das tschechische Abgeordnetenhaus hat der Polizei ermöglicht, weiter gegen Premier Andrej Babiš zu ermitteln. Was bedeutet dies aber für die Regierungsbildung hierzulande?
Grund für die Aufhebung der Immunität ist der Betrugs-Fall „Storchennest“ um das gleichnamige Luxus-Ressort in Mittelböhmen, in den beide Ano-Politiker verstrickt sein sollen. Dies sieht jedenfalls die tschechische Polizei so, die um die Aufhebung der Immunität gebeten hat. Und auch ein Bericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung legt das nahe. Jana Klímová ist politische Beobachterin des Tschechischen Rundfunks. Sie fasst die Erkenntnisse der Ermittler zusammen:
„Olaf, also das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, ist praktisch zu denselben Ergebnissen gekommen wie die tschechische Polizei, mit der es kooperiert hat. Und zwar besteht demnach der starke Verdacht auf Betrug sowie auf Verstöße gegen weitere EU-Vorschriften etwa durch den Missbrauch europäischer Fördergelder. Der Grund ist, dass die Leitung des Luxus-Ressorts einen Antrag auf Förderung in Höhe von 50 Millionen Kronen für kleine und mittlere Unternehmen gestellt hat. Zugleich soll sie verschwiegen haben, dass Andrej Babišs damaliger Konzern Agrofert für die Darlehen der Firma in Höhe mehrerer Hundert Millionen Kronen gebürgt hat. Außerdem seien die tatsächlichen Eigner des Ressorts verschwiegen worden.“Denn zunächst gehörte die Farm zum Agrofert-Konzern. Dann aber kam das „Storchennest“ in die Hände von Babišs Frau und Kindern. Doch laut den Ermittlungen soll Babiš selbst die Gelder für den Kauf der „Storchennest“-Aktien an sein Unternehmen Agrofert überwiesen haben.
Die Schlüsse der Ermittler bezeichnen Babiš und Faltýnek jedoch als „erlogen“. Dies haben sie auch am Freitag bei der Sitzung im Abgeordnetenhaus wiederholt. Allerdings hatten beide am Dienstag bereits zugestimmt, dass ihre Immunität aufgehoben werden kann. Sie hoffen, dass sie sich im Laufe der weiteren Ermittlungen rehabilitieren werden.Das alles geschieht jedoch in dem Moment, da in Tschechien um die Regierungsbildung gerungen wird. Das Minderheitskabinett von Premier Babiš hat am Mittwoch nicht das Vertrauen des Abgeordnetenhauses erhalten. Nun will Babiš als Wahlsieger über eine mögliche Koalition verhandeln. Die Ermittlungen seien dabei ein einschränkender Faktor, betont Jana Klímová:
„Derzeit besteht für Babiš am meisten Hoffnung auf eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Diese lehnen aber einen Premier ab, gegen den ermittelt wird. Dasselbe gilt für die Christdemokraten. Schon früher hat auch die Partei ‚Freiheit und direkte Demokratie‘ dies abgelehnt. Ihr Chef Tomio Okamura hat aber nun nach ersten Gesprächen mit Babiš gesagt, dass man sich nicht über die polizeilichen Ermittlungen unterhalten habe. Die Kommunisten stören sich wiederum dezidiert nicht daran. Bestimmte Karten liegen also auf dem Tisch. Vielleicht wird es nun auch darauf ankommen, wie sich der Staatspräsident zu der Frage stellt.“Präsident Miloš Zeman – oder eventuell sein Nachfolger – muss überlegen, ob er Andrej Babiš tatsächlich einen zweiten Versuch zur Regierungsbildung einräumt. Vor einer Woche jedenfalls hatte er dies noch einmal bestätigt; Zeman gilt als Unterstützer von Andrej Babiš und umgekehrt.