Reinhard-Heydrich-Stiftung Prag: Wissenschaft im Dienste der NS-Ideologie

Les troupes allemandes entrent à Prague le 15 mars 1939

Überall in Tschechien wird derzeit der 70. Jahrestag des Attentats auf den damaligen stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren Reinhard Heydrich begangen. Mit dem Namen Heydrich wird oft auch die geplante Germanisierung Böhmens verbunden. Dazu wollte er sogar eine Forschungseinrichtung gründen. Umgesetzt wurde dieser Plan aber erst nach dem Tod des SS-Obergruppenführers - und die Institution erhielt ihm zu Ehren den Namen Reinhard-Heydrich-Stiftung. In unserem aktuellen Kapitel aus der tschechischen Geschichte von und mit Marco Zimmermann stellen wir ihnen Ergebnisse aus der Forschung vor.

Einmarschierung der deutschen Truppen in Prag
Am 14. März 1939 marschierten deutsche Truppen in die Tschechoslowakei ein und schufen das Protektorat „Böhmen und Mähren“. Die deutschen Behörden planten zunächst die wirtschaftliche Ausnutzung der tschechischen Industrie und ihrer Arbeiter für die deutsche Kriegsindustrie, langfristig aber sollte das Protektorat in das deutsche Reich eingegliedert werden. Dazu sollte die tschechische Bevölkerung, wenn möglich, germanisiert werden. Andreas Wiedemann ist Historiker. Seine erste Publikation erforscht die Reinhard-Heydrich-Stiftung, die genau diese Germanisierung vorbereiten sollte:

Wilhelm Saure
„Die Reinhard-Heydrich-Stiftung hat natürlich eine gewisse Vorgeschichte. Die ersten Ideen zur Gründung einer solchen Stiftung oder eines Instituts, natürlich erst einmal ohne den Namen, die sich mit deutsch-tschechisch-slawischer Bevölkerung beschafft, gab es im Rahmen der NS-Politik schon seit 1940.“

Wilhelm Saure war seit 1940 Rektor der „Deutschen Karls-Universität Prag“ und seit September 1940 auch „Sonderbeauftragter des Reichsprotektors für die slawischen wissenschaftlichen Einrichtungen in Prag“. Das bedeutete, er verwaltete die am 17. November 1939 nach Unruhen geschlossenen tschechischen wissenschaftlichen Einrichtungen in Böhmen und Mähren. Seine Vision war eine Stiftung zur „wissenschaftlichen Erforschung der geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und den verschiedenen slawischen Völkern“. Diese sollte sich vor allem mit den Fragen der Germanisierung der böhmischen Länder beschäftigen, an der Saure ein besonderes Interesse zeigte. Dann aber wurde Heydrich stellvertretender Reichsprotektor. Andreas Wiedemann:

Andreas Wiedemann
„Heydrich kam nach Prag und interessierte sich von Anfang an sehr für die deutsche Universität. Er war auch der Meinung, die deutsche Universität muss eine Aufgabe in der Gesamtkonzeption übernehmen, die man für diesen Raum plant. Das Fernziel war die Germanisierung. Er interessierte sich auch für das Stiftungsmodell und unterstellte die Planung direkt dem Reichssicherheitshauptamt.“

Saure wiederum war Repräsentant des Rasse- und Siedlungshauptamtes – dessen Einfluss aber wollte Heydrich eindämmen und unterstellte die Stiftungsplanungen deshalb dem Reichssicherheitshauptamt. Saure verließ in der Konsequenz Prag, passender Ersatz war aber schnell gefunden:

„Heydrich war auch dafür verantwortlich, diesen Hans Joachim Beyer nach Prag zu holen. Er war der geistige Kopf der Stiftung und trieb die Gründung voran.“

Hans Joachim Beyer
Hans Joachim Beyer hatte Geschichte, öffentliches Recht und Volkstumswissenschaften studiert. Er trat 1933 in die SA, 1936 in die NSDAP und 1938 in den Sicherheitsdienst (SD) der SS ein. 1940 wurde er zum SS-Obersturmführer befördert und wurde 1941 Berater der Einsatzgruppe C, mit der er am 23. Juni 1941 in Galizien einmarschierte. Er erstellte Listen von polnischen Intellektuellen und nahm an Erschießungen teil. Im Februar 1942 übernahm Beyer in Prag den Lehrstuhl für Volkslehre und Nationalitätenkunde Osteuropas. Sein Förderer Heydrich aber sollte die Gründung der Stiftung nicht mehr miterleben:

„Natürlich hieß diese Stiftung nicht von Anfang an Reinhard-Heydrich-Stiftung. Auch Heydrich selber hatte nicht die Idee, diese Stiftung nach seinem Namen zu benennen. Er unterstützte diese Stiftungsidee und nach seinem Tod, nach dem Attentat, hat Karl Hermann Frank diese Idee aufgenommen und fortgeführt. Im Juni 1942 wurde dann sofort beschlossen, als über verschiedene Namen gesprochen wurde, zum Beispiel deutsch-slawische Stiftung etc, das Ganze Reinhard-Heydrich-Stiftung zu nennen.“

Deutsche Universität in Prag  (Foto: Archiv AKG)
Der organisatorische Aufbau der Stiftung zog sich noch über das gesamte Jahr 1942 hin. Für seine Arbeit am Aufbau der Stiftung wurde Beyer im September 1942 zum SS-Hauptsturmführer befördert und 1943 erhielt er das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse. Erst durch die Ernennung der Institutsdirektoren am 27. Mai 1943, am Jahrestag des Attentats auf Heydrich, war der Aufbau der Stiftung abgeschlossen.

„Diese Stiftung war ja praktisch eine Doppelkonstruktion. Alle Institutsleiter, die Stiftung hatte insgesamt acht Institute zu verschiedenen Bereichen, waren auch Dozenten an der deutschen Universität in Prag. Es war von vorneherein so gedacht, dass die Dozenten an der Uni lehren und in der Stiftung forschen und dann ihre Ergebnisse publizieren und den Behörden in Prag und in Berlin zur Verfügung stellen.“

Eduard Winter
Hans Joachim Beyer war zwar nicht formal der Chef der Heydrich-Stiftung, er übernahm aber das Amt des wissenschaftlichen Leiters und war für die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit zuständig. Daneben stand er dem Institut für Völkerkunde und Völkerpsychologie vor. Weitere Institute der Stiftung waren das Institut für osteuropäische Geistesgeschichte unter der Leitung von Eduard Winter, ein Institut für deutsches Recht in Ostmitteleuropa unter der Leitung von Wilhelm Weizsäcker sowie fünf weitere Institute, die sich auch um Volkswirtschaft und Musik kümmerten.

Die Zentrale der Heydrich-Stiftung wurde in Prag auf der Kleinseite im ehemaligen Augustinerkloster St. Thomas Quartier eingerichtet. Reichsprotektor Karl Hermann Frank hielt zur Eröffnung eine Rede, in der er die Aufgabe der Stiftung definierte:

Karl Hermann Frank
„Wir müssen zunächst wissen: Wie ist die blutmäßige und rassische Zusammensetzung einer bestimmten Menschengruppe? Dann müssen wir versuchen, in das seelische Gefüge dieser Menschen einzudringen, müssen ihre Gesinnung, ihre Beeinflussbarkeit, ihre weltanschaulichen Bindungen und ähnliche seelische Tatbestände erforschen.“

Historiker Wiedemann erklärt, wie dabei vorgegangen werden sollte:

„Man hatte zum Beispiel die Idee, den ganzen berühmten Persönlichkeiten der tschechischen Geschichte, also diesen nationalen Erweckern aus dem 19. Jahrhundert, nachzuweisen, dass sie alle deutsche Vorfahren, oder wie es hieß, deutsches Blut in den Adern haben. Eine Linie war es dabei: Die wichtigsten Köpfe der tschechischen Geschichte waren fähige Personen, weil sie diesen deutschen Einfluss gehabt hätten.“

Reinhard Heydrich  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1969-054-16 / Hoffmann,  Heinrich / CC-BY-SA / Wikimedia Commons 3.0)
Um den tschechischen Nationalgedanken zu verdrängen, sollten diese führenden tschechischen Persönlichkeiten nur noch als „große Meister dieses Raumes“ bezeichnet werden. Das Konzept wurde „Entnationalisierung durch Enthistorisierung“ genannt. Bereits 1940 wurden die Grundgedanken dieser Theorie in den Planungszimmern der SS im Reichssicherheitshauptamt in Berlin formuliert. Zur Vorbereitung sollten der „nationale Gedanke“ der Tschechen auf einen „folkloristischen Heimatgedanken“ reduziert und regionalistische Tendenzen gefördert werden.

„Das diente alles dem Fernziel, das Heydrich bereits im Oktober 1941 formuliert hatte: Der Germanisierung des Raumes und der Menschen. Dazu sollte die Heydrich-Stiftung Vorarbeiten leisten, Material sammeln und Legitimationsschriften verfassen.“

Die Wissenschaftler arbeiteten an ihren Konzepten und Forschungen im Laufe der gesamten Kriegszeit eng mit dem Sicherheitsdienst der SS zusammen. Dieser zeigte besonderes Interesse an so genannten Umvolkungstheorien, aber auch an Arbeiten über das Protektorat hinaus. Erkennen lässt sich das am Kriegsende:

„Gegen Ende des Krieges wurden einige Institute geschlossen, einige konnten aber weiterarbeiten. Es sollten die Arbeiten für die Fernzielplanungen der Germanisierung zunächst eingestellt werden. In den Dokumenten heißt es aber immer wieder, kriegswichtige Arbeiten durften fortgesetzt werden. In den letzten Jahren der Stiftung befasste sie sich nämlich nicht nur mit Böhmen und Mähren, sondern Eduard Winter befasste sich zum Beispiel mit der orthodoxen Kirche. Das hat man sich wohl zumindest angeschaut für die Besatzungs- und Unterdrückungspolitik in der Ukraine.“

Ehemalige Pädagogische Hochschule in Flensburg  (Foto: Archiv von Flensburg Online)
Die Beteiligung an den Umvolkungs- und Germanisierungsplänen sollte den Forschern aber nach dem Krieg nicht zum Verhängnis werden, betont Andreas Wiedemann:

„Die meisten Mitarbeiter sind nach dem Krieg nach Deutschland gegangen. Dort waren sie weiter an Hochschulen und in der Wissenschaft tätig. Hans Joachim Beyer arbeitet dann später an der pädagogischen Hochschule in Flensburg. Dort war er ordentlicher Professor und ist Anfang der 1970er Jahre verstorben. Karl Valentin Müller, einer der sudetendeutschen Mitarbeiter der Stiftung, geboren in Děčín/Tetschen, ist nach dem Krieg nach Nürnberg gegangen und war dort Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften. Er ist 1963 gestorben. Also fast alle setzten nach dem Krieg ihre Karrieren fort.“

Es gelang dem Sicherheitsdienst, die aktivsten Volkstumskämpfer in Prag zu versammeln. Ihre Arbeiten wurden mehrheitlich zwar nicht umgesetzt, Ergebnisse und Materialen zu einer möglichen Germanisierung lieferten sie trotzdem. Dass sie nach dem Krieg übergangslos ihre Karrieren weiter verfolgen konnten, zeigt einmal mehr die Kontinuitäten von NS-Eliten in der frühen Bundesrepublik Deutschland.


Die Arbeit von Andreas Wiedemann „Die Reinhard-Heydrich-Stiftung in Prag (1942-1945)“ ist im Jahr 2000 in der Schriftenreihe des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung erschienen und lässt sich auf der Homepage des Instituts kostenlos als PDF herunterladen.