Rote Karte für Gewalttäter in der Familie
Ist eine Familienschlägerei Privatsache oder soll sich der Staat einmischen - diese Frage wurde in der tschechischen Öffentlichkeit und im Parlament lange diskutiert. Schließlich setzten sich diejenigen durch, die den Schutz der Opfer fordern. Ein neues Gesetz bestimmt: Seit dem 1. Januar 2007 dürfen Schläger, die ihrer Familie Gewalt antun, für zehn Tage des Hauses verwiesen werden. Renate Zöller erläutert, worum es geht.
Alle wissen Bescheid, die Nachbarn schauen betreten weg, der Polizist mahnt seinen Sportkumpel nur ab, wenn der wieder mal seine Frau verprügelt hat - das ist ein trauriges Bild, das Pavel Kucera vom Obersten Gerichtshof Tschechiens da entwirft. Und leider ist es allzu oft wahr, wie er betont. Jede fünfte Frau in Tschechien ist Opfer häuslicher Gewalt, wie eine Statistik der Forschungsagentur STEM zeigt. Doch sie werden häufig allein gelassen, keiner will sich einmischen.
Deshalb hat Kucera sich sehr für das neue Gesetz eingesetzt und mit dazu beigetragen, dass die Justiz und der Polizeiapparat nun tatsächlich endlich ein Instrument haben, um den Schlägern Einhalt zu gebieten. Zehn Tage Hausverbot im eigenen Heim drohen ab 1. Januar jedem, der Gewalt gegen seine Familie anwendet. Inspiriert wurde das tschechische Gesetz vom österreichischen Vorbild. Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie ist mit der Adaption sehr zufrieden. Sie sagt:
"In einer demokratischen Gesellschaft darf Gewalt in keinem Bereich toleriert werden. Deshalb sind wir sehr froh, dass Tschechien als einer der ersten neuen Mitgliedstaaten der EU diesen Schritt getan hat. Es ist ein sehr wichtiges Signal an diejenigen, die Gewalt ausüben, dass die Gesellschaft sagt: Wir akzeptieren das nicht. Wir sagen immer: Das ist wie eine rote Karte beim Fußball: Wer unfair spielt, muss gehen. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die gefoult werden, das Fußballspiel verlassen müssen. Es ist ein Schock auch für diejenigen, die Gewalt ausüben. Bisher haben sie dass ohne Konsequenzen gemacht und nun plötzlich stehen sie auf der Straße für zehn Tage. Das spürt man dann schon am eigenen Leib. Und das ist eine sehr wichtige Erfahrung."
Knappe zweieinhalb Stunden nachdem das Gesetz am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, konnte dann auch bereits ein 38-jährige Mann aus Chomutov diese Erfahrung machen. Eigentlich hatte das Paar aus Chomutov zusammen Silvester feiern wollen, aber dann kam es zum Streit und der endete mit einer Schlägerei. Die musste der 38jährige, der seine Frau nach Angaben der Nachbarn schon seit Jahren tyrannisierte, nun erstmals büßen. Zehn Tage Hausverbot hat das örtliche Gericht ihm erteilt. Wo er in der Zeit unterkomme, sei seine eigene Sache, sagte der Sprecher der Polizei.
Zehn Tage, die kann er wohl durchaus ausnahmsweise bei den Eltern oder bei Freunden schlafen. Dennoch ist die Organisation ProFem, die aktiv bei der Gestaltung des neuen Gesetzes beteiligt war, zufrieden. Ivana Spoustova von ProFem sagt dazu:
"Gerade weil das kein so langer Zeitraum ist, sind wir der Meinung, dass sie eine relativ kleine Beeinträchtigung für den Gewalttäter bedeuten, gemessen an dem, was er angerichtet hat. Für das Opfer aber sind die 10 Tage wichtig. Die betroffene Person kann in Ruhe die Situation abwägen und selbst entscheiden, ob sie mit dem Täter weiterhin zusammen leben will. Dabei erhält sie Unterstützung von den so genannten Interventionszentren, sozialen Einrichtungen für Gewaltopfer, die in allen Regionen eingerichtet werden. Selbstverständlich dürfen die Zentren auf die Entscheidung keinen Einfluss nehmen. Wenn das Opfer beschließt, dass der Gewalttäter in die Familie zurückkehren kann, werden die Mitarbeiter des Zentrums das selbstverständlich respektieren. Ebenso werden sie dem Opfer psychologische, soziale und auch rechtliche Hilfestellung leisten, wenn der Beschluss gefasst wurde, sich zu trennen. Aber diese Entscheidung muss immer von dem Gewaltopfer selbst getroffen werden."
Die Opfer zu erreichen und ihnen Kraft und Mut zu geben, das erfordert eine professionelle Herangehensweise. Deshalb ist die neue Gesetzeslage nur ein erster Schritt, wie Logar betont. Nun komme es vor allem darauf an, dass der tschechische Staat nicht an den Interventionsstellen spare. Logar erklärt:
"Man muss hier sehr speziell geschult sein, das kann nicht ein allgemeiner Service übernehmen. Gewalt in der Familie hat eine sehr spezielle Dynamik. Die Opfer sind häufig vom Täter abhängig, sie haben Angst oder identifizieren sich mit dem Täter. Diese Identifikation mit dem Aggressor nennt man das Stockholm-Syndrom. Deshalb muss es eine sehr professionelle Einrichtung sein, wenn sie den Opfern wirklich helfen soll. Wir von der Wiener Interventionsstelle bleiben für die Opfer auch nach den zehn Tagen zuständig. Sie können uns jederzeit anrufen, und wir kontaktieren auch die Opfer in regelmäßigen Abständen, um zu fragen, wie es ihnen geht, ob sich wieder eine Krise anbahnt, ob es insgesamt besser ist. Die Interventionsstelle bleibt also für die Opfer zuständig."
Die Fürsorge ist nicht nur für die Bedrohten wichtig. Auch für den Täter kann es heilsam sein, zu sehen, dass sein Opfer nicht alleine dasteht. Rosa Logar sagt:
"Ich hab schon viele "Gefährder", wie sie bei uns im Gesetz heißen, gesehen, die dann wirklich begonnen haben nachzudenken, ob sie diese Konsequenz wollen, was das für ihre Familien bedeutet. Sie sehen dann, dass sie letztlich auch ihre Familie verlieren können. Das hat eine Wirkung, zumindest für ein paar Monate."
Auch der gesetzliche Rahmen, der die einst private Handlung nun kriminalisiert ist daher für die Hilfsorganisationen von großer Bedeutung. Bisher konnten in Tschechien Gewalttäter im besten Fall 48 Stunden ohne richterlichen Beschluss in eine Zelle eingesperrt werden. Dort konnte der Schläger dann seinen Rausch ausschlafen - denn fast immer sind Gewaltexesse mit Alkohol verbunden. Einen Vorwand zur Festnahme lieferte dann beispielsweise bei nächtlichem Lärm der Paragraph zum Hausfriedensbruch. Das eigentliche Problem, dass jemandes Menschenrechte verletzt werden, wurde dann meist unter den Tisch gekehrt. Gerade in den kleinen Orten ist Ignoranz ein großes Problem, wie Spoustova erklärt:
"Mit Sicherheit werden solche Probleme in großen Städten sehr viel leichter gelöst als in kleinen Orten. Auf dem Land kennen die Nachbarn einander und man deckt sich auch gegenseitig. Auch für die Polizisten spielen in kleinen Städten die persönliche Beziehungen eine viel größere Rolle. Profem ist deshalb dafür, dass das neue Gesetz den Polizisten nicht nur die Möglichkeit gibt, den Täter zu bestrafen, sondern, dass sie auch dazu verpflichtet sein sollten. Denn wenn er den Betroffenen gut kennt, kann das durchaus dazu führen, dass der Polizist die vorgefundene Situation ein wenig anders einschätzt, als ein neutraler Beobachter."
Damit die Gesetzesvorgabe nicht nur eine leere Hülse bleibt, betreibt ProFem daher seit Jahren auch massive Öffentlichkeitsarbeit. Spoustova sagt:
"Unsere Organisation will das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Problematik schärfen. Neben konkreter Unterstützung für Betroffene bieten wir spezielle Schulungen für Sozialarbeiter und Polizisten an. Wir haben schon im vergangenen Jahr mit der Unterstützung des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshof der Tschechischen Republik, Pavel Kucera, Fachseminare für Richter und Richterinnen veranstaltet. Darin ging es gerade um häusliche Gewalt und den Umgang der Gerichte damit, wobei auch auf Fehlentscheidungen von Richtern in der Vergangenheit eingegangen wurde. Und zur Information geben wir Broschüren und Fachliteratur für die Menschen heraus, die in diesem Bereich arbeiten."
Und das hat offenbar Erfolg. Rosa Logar jedenfalls ist zufrieden:
"Es hat lange Zeit so ausgesehen als ob es in Tschechien keine Entwicklung gebe, als ob hier viele Vorurteile und Beharrungsvermögen existieren. Dann plötzlich kam die Sache in Gang. Innerhalb der letzten zwei bis drei Jahre hat sich schließlich doch in Tschechien das Blatt gewendet."