„Russische Demokratiebewegung braucht Unterstützung“ – Michail Chodorkowski beim Forum 2000 in Prag

Foto: ČTK

Am Mittwoch geht das Forum 2000 zu Ende. Wie jedes Jahr diskutierten Politiker, Menschenrechtler und Aktivisten aus aller Welt über drängende Fragen. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine stand ganz oben auf der Agenda. Einer der Hauptredner in diesem Jahr war Michail Chodorkowski. Der Unternehmer, der nach zehn Jahren Haft im vergangenen Jahr aus dem Gefängnis entlassen wurde, appellierte an die Öffentlichkeit, Russland mit Putin nicht alleine zu lassen.

Michail Chodorkowski  (Foto: ČTK)
Michail Chodorkowski war aus der Schweiz zur Konferenz angereist. Die Teilnehmer widmen sich in diesem Jahr insbesondere dem Zustand der Demokratie 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Dazu war mit Michail Gorbatschow einer der damaligen Hauptprotagonisten eingeladen, wegen gesundheitlicher Probleme sagte er jedoch die Teilnahme ab. Michail Chodorkowski, der für das postsowjetische und kapitalistische Russland steht, erinnerte in Prag an die Samtene Revolution und an Václav Havel als Gründer des Forum 2000:

Michail Gorbatschow  (Foto: Bernd_vdB,  Wikimedia CC SA 1.0)
„Ohne Havel und Dubček hätte es nie den Gorbatschow gegeben, den wir kennen. Ohne Gorbatschow hätte es keine Perestroika gegeben, ohne die Perestroika hätte es das russische Tauwetter der 1980er nicht gegeben, das die Samtene Revolution erst möglich gemacht hat. Der frische Wind, der in Prag im fernen Jahr 1968 wehte, kam 20 Jahre später zurück und veränderte die Welt für immer. Der Prager Frühling brachte die Ära der Dissidenz zurück. Er brachte Helden hervor, die nicht im Gleichschritt mit der Masse marschieren wollten.“

Von der Ära der Dissidenz schlug Chodorkowski den Bogen zum Russland von heute. Der Kremlkritiker konstatiert einen Rückfall fast in sowjetische Zeiten. In seinem Heimatland kämpfen Dissidentengruppen erneut – oder immer noch – für ein demokratisches System. Chodorkowski registriert aber auch Anfänge einer umfassenden Zivilgesellschaft:

Forum 2000  (Foto: ČTK)
„Es gibt eine soziale Schicht in Russland, die im Allgemeinen am politischen Wandel interessiert ist. Diese ist auch in der Lage, die historische und politische Herausforderung zu meistern, den russischen Staat auf der demokratischen Basis zu reformieren. Doch aus politischer Sicht ist das immer noch eine Proto-Klasse, die sich bislang selbst auf einen Zustand des politischen Schlafs reduziert.“

Groß ist laut Chodorkowksi die Kluft zwischen Politaktivisten und Dissidenten auf der einen Seite und der politisch interessierten, aber inaktiven Masse auf der anderen Seite. Beide Gruppen müssten sich aufeinander zubewegen:

„Die politische Avantgarde muss die Umstände anerkennen, in denen die Masse lebt, und sie muss auch in der Lage sein zu erkennen, inwieweit die Bevölkerung bereit ist für den politischen Wandel. Auf der anderen Seite müssen Millionen der sogenannten versteckten Demokraten, die im tiefsten Inneren den Totalitarismus nicht unterstützen, aber dies nur zu Hause am Küchentisch bekennen, die politische Avantgarde unterstützen und respektieren. Dies sind diejenigen, die bereit sind, ihr bequemes Konsumentenleben, ihre Freiheit und manchmal auch ihr Leben für die Zukunft Russlands zu opfern.“

Foto: Archiv des Generalkonsulats der Russischen Föderation in Edinburgh,  Wikimedia CC BY-SA 2.0
Von der Weltgemeinschaft erhofft sich Chodorkowski große Impulse für die Entwicklung der russischen Demokratie. Wirtschaftssanktionen als einziges Mittel hält der Unternehmer jedoch für kontraproduktiv. Im schlimmsten Fall führten sie zur Isolation und zur Solidarisierung mit den russischen Machthabern.

„Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft sollten sich nicht gegen Russland richten. Vielmehr sollte eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die Elite des Regimes moralisch isoliert wird, und der Korruption und der beispiellosen Geldwäsche vorgebeugt wird. Die russische Demokratiebewegung braucht die intelligente und überlegte Unterstützung, keine Konfrontation zwischen dem Westen und Europa.“