Saaz feiert 1000 Jahre seines Bestehens
Spricht man den Namen der nordböhmischen Stadt Zatec aus, fällt wohl jedem Tschechen der Hopfen ein, der in der gesamten Region seit Jahrhunderten angebaut wird. Diese Stadt kann sich aber auch mit höchstinteressanten kulturhistorischen Traditionen rühmen. Kurzum: Der Geschichte begegnet man hier auf Schritt und Tritt. Aus Anlass eines recht runden Jubiläums der Hopfenstadt berichtet Jitka Mladkova über eine literarische Begegnung mit Saaz in unserer nun folgenden Sendereihe Begegnungen:
Der Ackermann aus Böhmen ist besonders aus zwei Gründen bedeutend: Es handelt sich um die erste neuhochdeutsche Prosadichtung und um einen der frühesten humanistischen Texte nördlich der Alpen. Über Johannes von Saaz, Leiter der Saazer Lateinschule, späteren Notar und Stadtschreiber der Prager Neustadt, weiß man nicht viel. Der Originaltext seines Werkes Der Ackermann aus Böhmen ist nicht erhalten. Die ältesten 16 Handschriften bzw. 16 Drucke stammen aus den Jahren 1450 -1550, aus einer Zeit etwa 50 Jahre nach dem Tod des Autors. Mit dem Inhalt seines Werkes, das heute noch verblüfft, hat er den Nerv der Zeit getroffen:
"Der Ackermann aus Böhmen" ist die in 34 Kapiteln gegliederte Klage eines Ackermanns gegen den personifizierten Tod. Und zwar anlässlich des schmerzlichen Verlustes seiner jungen Frau Margaretha. Der Ackermann beschimpft dabei den Tod als schädlichen Urfeind aller Welt, als schändlichen Mörder aller Menschen, verflucht ihn ewiglich und fordert Gott auf, ihn aus der Schöpfung zu tilgen. Der Tod nennt ihn dafür töricht, denn alle irdischen Kreaturen müssen notwendigerweise zunichte werden. Er selbst, der Herr Tod, sei lediglich Gottes Hand, ein gerecht arbeitender Mäher."
Der Dialog zwischen Ackermann und dem Tod ist geführt in strenger Form der Rede und der Gegenrede, wohl dem Gerichtsprozess entlehnt:
"Der Autor bezeichnet sich als Ackermann, dessen Pflug vom Vogelkleide stammt, also die Schreibfeder ist. Als Gegenspieler des tödlichen Spielers, des Schnitters Tod, muss man sich den Ackermann als Säer denken, der die Saat auf den Acker bringt und für das Wachsen der Frucht sorgt. Es sind also Leben und Tod, Welt uns Jenseits, die gegeneinander argumentieren."Saaz war nachweislich eine deutsch geprägte Stadt. Sie hatte einen deutschen Bürgermeister und deutsche Stadtschreiber. Johannes von Saaz schrieb seinen Ackermann für gebildete Deutsche in der Stadt. Der erste neuhochdeutsche Text war aber keine Übersetzung oder Nachdichtung einer lateinischen Vorlage. Dazu Andreas Kalckhof:
"Das erschien für Böhmen so überraschend, dass die Forschung lange Zeit nach einer solchen Vorlage gesucht hat. Bisher ohne Ergebnis."
Der Referent Andreas Kalckhof führte in diesem Zusammenhang auch einige Beispiele literarischer Werke an, u.a. aus England oder Frankreich, in denen auch der Tod als Advocatus mundi - Anwalt der Welt - figuriert, und fügte hinzu:
"Die Thematik und die literarische Form des Ackermann lagen also in der europäischen Luft. Dabei kam in Böhmen natürlich nicht nur die deutsche Sprache zu literarischen Ehren, sondern auch die tschechische. Wenige Jahre nach dem Ackermann erscheint eine ganz ähnliche tschechische Dichtung: der Tkadlecek, das Weberlein, aus der Feder eines sonst unbekannten Ludwig. Darin klagt der von seiner Geliebten verlassene Weber in hohem rhetorischen Stil das grausame Schicksal an und hebt dabei das eher komödienhafte Thema auf die philosophische Ebene von menschlichem und göttlichem Willen."
Im 19.und 20. Jahrhundert haben sich die Blickwinkel wesentlich verändert:
"Im 19. und 20. Jahrhundert ist dieses Erwachen der Volkssprachen im 14. Jahrhundert nationalistisch gedeutet worden, wobei man offensichtlich ganz übersehen hat, dass es bereits seit dem Frühmittelalter volkssprachliche Literatur gibt."
Zweckbedingte Interpretationen, die historische Fakten bzw. Gestalten zu verzerrten Bildern umwandeln, hat bekanntlich das kriegerische 20.Jahrhundert mit sich gebracht. Da passte auch Der Ackermann aus Böhmen ins Konzept:
"Der nationale Kult, den die Sudetendeutschen seit dem 1.Weltkrieg um Johannes von Saaz und den Ackermann aus Böhmen aufführten, muss deshalb ein großes Missverständnis genannt werden. 1924 etwa bezeichnete Josef Nadler dieses Werk als größte und schönste Schöpfung des mitteldeutschen Siedlungslandes und des ganzen neudeutschen Ostraums. In der Folge wurde der Ackermann zum Identifikationstext der so genannten Grenzdeutschen. 1933 wurde in Karlsbad die Zeitschrift ´Der Ackermann aus Böhmen. Monatsschrift für das geistige Leben der Sudetendeutschen´ gegründet. Darin wird der Ackermann als deutscher Mensch gefeiert, der sich gegen das Schicksal auflehnt. Gedacht war dabei auch an das politische Schicksal der Deutschen in Böhmen. Die Tschechen reagierten 1935 auf diese Politisierung dieses Ackermanns, indem sie die erst 1921 angebrachte Gedenktafel für Johannes von Saaz von der Stirnwand des Rathauses entfernten."