Plakate, Filme und Gemälde: Ausstellung zu Kafka und bildender Kunst in Pilsen
Wie haben visuelle Kultur und bildende Kunst das Leben von Franz Kafka geprägt? Mit dieser Frage setzt sich eine neue Ausstellung in der Westböhmischen Galerie in Plzeň / Pilsen auseinander. Zu sehen sind Filme, Gemälde und etwa Drucke, die Kafka rezipierte, aber auch Zeichnungen, die der Schriftsteller selbst anfertigte.
„Mit Kafkas Augen. Zwischen Bild und Sprache“ – unter diesem Titel steht die neue Ausstellung, die derzeit in der Westböhmischen Galerie in Pilsen zu sehen ist. Marie Rakušanová leitet das Institut für Kunstgeschichte der Prager Karlsuniversität und hat die Ausstellung kuratiert. Wie es zu dem Projekt kam, hat sie im Studio von Radio Prag International verraten:
„Das kam 2020. Zuzana Jürgens, die Direktorin des Adalbert Stifter Vereins, und Roman Musil, der Leiter der Westböhmischen Galerie in Pilsen, sprachen mich an, ob ich nicht Lust hätte, diese Ausstellung zu kuratieren.“
Anfang Juni dieses Jahres wurde die Schau nun eröffnet. Der dafür gewählte Zugang sei durchaus speziell, sagt Rakušanová:
„Wir wollten eine Ausstellung machen, die sich deutlich von den anderen Projekten zum Thema Kafka und bildende Kunst unterscheidet. Denn an vielen Orten in Europa und Prag werden derzeit die Arbeiten von Künstlern gezeigt, die auf Kafka und seine Texte reagieren.“
So ist im Prager Zentrum für zeitgenössische Kunst DOX derzeit etwa die Ausstellung „Kafkaesque“ zu sehen, die künstlerische Reaktionen auf das Werk des Prager deutschen Schriftstellers präsentiert. In Pilsen aber ist der Zugang ein anderer:
ZUM THEMA
„Wir wollten uns anschauen, wie das historische Phänomen der Visualität und die bildende Kunst Kafka umgeben haben. Das bedeutete, seine Texte, Briefe und Tagebücher durchzulesen. Es war eine interessante Arbeit, die viele Ansätze zu Tage gefördert hat, wie Kafkas besondere Bildsprache entstanden ist. Denn alle Kafka-Liebhaber werden wohl zustimmen, dass seine sprachlichen Bilder ihrer Zeit voraus waren. Aber sie hingen eben auch eng mit dem Entstehungskontext zusammen.“
Diesen Zusammenhang zu untersuchen, ist das Ziel der Ausstellung in Pilsen. Rakušanová sagt:
„Wir zeigen den Besuchern, dass die Bilder, denen Kafka in seinem Prag begegnete, verschiedenste Stile aufwiesen. Dabei ziehen wir eine Parallele zur Mehrsprachigkeit. Denn wenn Kafka durch Prag ging, hörte er das Deutsch der intellektuellen Oberschicht, aber auch das Kuchelböhmisch – also ein Tschechisch mit starkem deutschen Einfluss, das etwa von Köchinnen und Dienern gesprochen wurde. Nach 1914 kam noch Jiddisch hinzu, das die Flüchtlinge aus dem Osten mitbrachten. Zudem experimentierte Kafka mit dem Hebräischen, das wegen der zionistischen Bewegung immer wichtiger wurde. Die Sprachlandschaft war also vielfältig, und ebenso vielfältig waren die Bilder, die zu Kafka sprachen.“
Mit der Straßenbahn an Plakatwänden vorbei
In der Ausstellung werden viele Ausschnitte aus Kafkas Briefen und Tagebucheinträgen zitiert, die seine visuelle Wahrnehmung illustrieren. Gleich zu Beginn hängt etwa ein Teil eines Briefes an Felice Bauer vom März 1913 an der Wand. In ihm schwärmt Kafka über seine Vorliebe für die Prager Plakatwände.
„Meine Zerstreutheit, mein Vergnügungsbedürfnis sättigt sich an den Plakaten von meinem gewöhnlichen innerlichsten Unbehagen, von diesem Gefühl des ewig Provisorischen ruhe ich mich vor den Plakaten aus, immer wenn ich von den Sommerfrischen, die ja schließlich doch unbefriedigend ausgegangen waren, in die Stadt zurückkam, hatte ich eine Gier nach den Plakaten und von der Elektrischen, mit der ich nachhause fuhr, las ich im Fluge, bruchstückweise, angestrengt die Plakate ab, an denen wir vorüberfuhren.“
Franz Kafka
Um diesen Eindruck zu verdeutlichen, beginnt die Schau dann auch mit der Filmaufnahme einer Straßenbahn und einer Wand voll von Postern, die um die Aufmerksamkeit des Passanten – beziehungsweise des Museumsbesuchers – buhlen.
Viele der Plakate werben dabei für Kunstausstellungen, die Kafka beeinflusst haben. Dazu zählen Veranstaltungen mit den Werken von Edvard Munch oder Auguste Rodin im Kunstverein Mánes genauso wie eine Ausstellung der Wiener Neukunstgruppe im Klub deutscher Künstlerinnen. „Wir zeigen, wie die Ausstellungen ausgehen haben, die Kafka entweder mit Sicherheit oder höchstwahrscheinlich besucht hat“, so die Kuratorin.
In den Fokus gerückt wird aber auch, wie Filme das Werk des Schriftstellers beeinflusst haben…
„Kafka ging relativ viel ins Kino. Wir zeigen deshalb Ausschnitte aus drei Filmen, die er bewiesenermaßen gesehen und auf die er reagiert hat. Einer davon ist ‚Die weiße Sklavin‘. Diesen Film hat er zum einen in seinen Briefen und Tagebüchern erwähnt. Aber auch in dem Roman ‚Richard und Samuel‘, den er gemeinsam mit Max Brod geschrieben hat und der nie beendet wurde, wird darauf verwiesen.“
Kafkas schwarz-weiße „Kritzeleien“
Kafka rezipierte also rege Kunst und Film. Er hatte aber auch Kontakte zu den Künstlern – vor allem zu denen der 1907 gegründeten Gruppe Osma. Diese zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass sie tschechische, deutsche und jüdische Künstler in einem Kollektiv zusammenbrachte.
„Kafka kannte einige Mitglieder der Gruppe Osma relativ gut. Der deutschsprachige Künstler Max Horb war sein Kommilitone im Jurastudium. Mit Friedrich Feigl besuchte er das Altstädter Gymnasium. Und dank Max Brod machte er auch Bekanntschaft mit Willi Nowak.“
Kafka zeichnete zudem selbst. Sein Vertrauter Max Brod drängte ihn dazu, sich der Gruppe Osma anzuschließen. Dazu kam es jedoch nicht. Und ebenso ein weiterer von Brods Versuchen, Kafka als bildenden Künstler zu etablieren, schlug fehl:
„Als Brod bei Axel Juncker eine Gedichtsammlung veröffentlichte, wollte er den Verleger überreden, eine Zeichnung Kafkas für das Cover zu verwenden. Aber das geschah schlussendlich nicht.“
In der Ausstellung in Pilsen ist eine der simpel gehaltenen, schwarz-weißen Kafka-Zeichnung im Original zu sehen. Weitere Bilder, die der Autor anfertigte, werden auf einem Monitor präsentiert. Wie Kritzeleien muten sie an. Wie Marie Rakušanová ausführt, sei die Editionsgeschichte dieser Darstellungen sehr interessant:
„Es sind etwa 150 seiner Zeichnungen erhalten. Der Großteil davon wurde erst vor fünf Jahren entdeckt, denn sie waren lange in einem Banktresor in Zürich verschlossen. Dieses Konvolut hatte ein dramatisches Schicksal. Max Brod war nicht nur Verwalter des literarischen Nachlasses Kafkas, sondern auch der Bilder. Er vermachte sie seiner Sekretärin. Die wiederum vererbte die Bilder ihren Kindern. Es kam dann zu einem Erbschaftsstreit zwischen ihnen und der Nationalbibliothek Israels, der erst vor fünf Jahren beigelegt wurde. Auf Grundlage des Urteils gelangten die Bilder in die Bibliothek nach Israel.“
Später wurden die Zeichnungen digitalisiert und in Buchform herausgebracht.
Kunst an Kafkas Zimmerwand
Bleibt nur noch die Frage: Hatte Kafka auch zuhause Kunst an der Wand hängen? Natürlich, sagt Rakušanová. So habe vermutlich der Abguss eines antiken Reliefs das Zimmer des Schriftstellers geschmückt. Über ein weiteres Kunstwerk könne zudem der Roman „Zauberreich der Liebe“ von Max Brod Aufschluss geben, fährt die Kuratorin fort. Darin tritt nämlich ein gewisser Richard Garta auf – das Alter ego Franz Kafkas. Der Erzähler beschreibe das Zimmer von Garta, in dem noch ein weiteres Kunstwerk an der Wand hängen würde, so Rakušanová:
„Es handelt sich um einen Druck von Hans Thoma mit dem Namen ‚Der Pflüger‘. Thoma war ein deutschsprachiger Künstler, der heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Vor allem wurde er durch die Zeitung ‚Kunstwart‘ bekannt, die Kafka las. Sie vertrat eher konservative künstlerische Werte, und Thoma war dann auch alles andere als fortschrittlich. Er widmete sich eher traditionellen Landschaftszeichnungen.“
Später, um das Jahr 1911 herum, kaufe Kafka zudem zwei Drucke von Willy Nowak. Identische Exemplare dieser Kunstwerke dürfen dann auch in der Ausstellung in Pilsen nicht fehlen. Sie hängen relativ am Ende der Schau, im vorletzten Raum. Schräg gegenüber werden die Illustrationen von Kafkas Büchern und seine Skepsis dahingehend thematisiert.
„Er hatte das Gefühl, dass Illustrationen nicht die interpretative Offenheit seiner Texte beschränken dürfen. Kafka schrieb wirklich zeitlose Literatur, die sich jedem Versuch einer eindeutigen Auslegung widersetzt. Die Texte sind immer offen. Als dann die Veröffentlichung der ‚Verwandlung‘ anstand, schrieb Kafka seinem Verleger, dass das Insekt keinesfalls bildlich dargestellt werden dürfte – auch nicht aus der Ferne.“
Folglich kommt dann auch der letzte Raum der Ausstellung gänzlich ohne Bilder aus. Er enthält keine Statue, kein Gemälde, keinen Druck und auch kein sonstiges Kunstwerk. Ganz leer ist der Raum aber nicht. Denn auf die weißen Wände hat das Ausstellungsteam einen Text schreiben lassen. Er bilde gewissermaßen die Pointe der Ausstellung, sagt Marie Rakušanová mit einem Schmunzeln:
„Über die gesamte Ausstellung verteilt sieht der Besucher eine große Menge von Bildern. In diesem Raum aber findet er kein Bild, das mit einem Pinsel oder mit Tusche gemalt wurde. Stattdessen ist dort ein Bild, dass Franz Kafka mit seinen Worten erschaffen hat.“
Die Ausstellung „Mit Kafkas Augen – Zwischen Bild und Sprache“ ist noch bis zum 28. Oktober in der Westböhmischen Galerie in Pilsen zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 90 Kronen (3,60 Euro).