Sammlung im Dunkeln: das Schwarzlichttheater-Museum in Chrudim

Vor 50 Jahren weckte die so genannte Laterna Magika Interesse in dem tschechoslowakischen Pavillon auf der Weltausstellung Expo 58 in Brüssel. So erblickte die Finsternis der Erde das weltweit erste Schwarzlichttheater. Seitdem hat sich diese spezielle Art von Theater in eine Reihe von Ländern verbreitet. Beliebt ist sie zum Beispiel in Lateinamerika, aber natürlich auch weiterhin in Tschechien – und das nicht nur in Prag. Im ostböhmischen Chrudim gibt es seit Mitte Mai das einzigartige Schwarzlichttheater-Museum, nur ein paar Straßen von dem bekannten Marionettenmuseum entfernt.

30 Grad draußen, jeder schwitzt, aber die Theatergruppe Ahoj aus Chrudim zieht sich warme Anzüge an. Sie sehen aus wie ein Gorilla-Kostüm mit warmer Hose, Fußsocken, Handschuhe, Kapuze. Alles ist schwarz. Die Körper der Schauspieler samt Gesichtern verschwinden komplett in den schwarzen Anzügen. Die Zuschauer bekommen während des gesamten Auftritts kein einziges Gesicht der Schauspieler zu sehen. Denn im Schwarzlichttheater sind die Marionetten die Hauptakteure. Die Schauspieler führen sie und verleihen ihnen ihre Stimmen.

Wie das Schwarzlichttheater funktioniert, lernt man am besten in dem zugehörigen Museum in Chrudim kennen. Libor Štumpf ist einer der Gründer und zudem Schauspieler. Er sagt, dass es zwei Arten des Theaters gibt:

„Das Theater mit Lichtgassen und das Lumineszenztheater. Das Lumineszenztheater ist ein bisschen populärer. Es wird mit UV-Lampen beleuchtet, und man kann auf diese Weise viele schöne Tricks machen. Das geht in den Lichtgassen nicht.“

In den Lichtgassen treten im Übrigen neben den Marionetten noch echte Schauspieler auf. Das Museum in Chrudim hat Figuren beider Theater-Typen. Im ersten Saal hängen Poster aller möglichen Schwarzlichttheater-Gruppen aus Tschechien und der ganzen Welt.

„Eigentlich haben alle Schwarzlichttheater, die es gibt, Leute aus Tschechien angestellt oder es arbeiten dort Leute, die in Tschechien studiert haben. Egal ob in Argentinien oder Bulgarien - alle haben ihr Handwerk in Tschechien gelernt. Das Schwarzlichttheater ist eine tschechische Besonderheit“, betont Libor Štumpf, der über jedes einzelne Exponat des Museums mit Begeisterung spricht.

Wir verlassen den Saal, dessen Wände an allen Seiten bunte Poster schmücken. Mit dem ersten Raum verlassen wir auch das Tageslicht. Wir sind ja auch schließlich im Schwarzlichttheater-Museum und Dunkelheit spielt hier die Hauptrolle. Unser Museumsführer schließt die Tür und wir befinden uns plötzlich vor dem Tor eines Palastes. Ein leichtes Umdrehen und schon sind wir am Meer. Einen Blick weiter hat man eine schöne Prinzessin vor Augen. Welche der Marionetten die faszinierendste ist, das lässt sich laut Libor Štumpf schwer sagen. Deswegen zeigt er uns einfach die größte:

„Das hier ist ein echter Golem. Er gehört zum Lumineszenztheater. Es ist eine große Marionette, und in ihr steckt ein Mensch. Es gibt auch noch weitere, die aber gerade auf Tournee sind. Dazu kommen noch Raritäten aus einer Show, die wir gemeinsam mit dem Sänger Václav Neckář in Deutschland gemacht haben. Das Museum wird sich weiter entwickeln.“

Alles was hier zu sehen ist, sind keine toten Exponate, sondern Marionetten, die bei den Vorstellungen gezeigt werden. Deswegen fehlt immer wieder ein Stück und wird durch etwas Anderes ersetzt. Ein wandelfähiges Museum also.

Das Museum ist nicht zufälligerweise in Chrudim entstanden. Seit etwa 20 Jahren spielt in der ostböhmischen Stadt die Theatergruppe Ahoj, die sich unter anderem dem Schwarzlichttheater widmet. Und da kamen eben so viele Marionetten und Requisiten zusammen, dass der Entschluss reifte, einen Teil davon auszustellen. Die Requisiten und Marionetten basteln die Mitglieder der Theatergruppe selbst. Wie lange es dauert, eine Marionette zusammenzustellen, hängt von der konkreten Figur ab.

„Jede Puppe braucht Zeit. Darüber könnte mein Chef Jiří Procházka stundenlang erzählen. Er hat in seinem Leben jede Menge Requisiten nicht nur für das Theater, sondern auch für das Fernsehen hergestellt. Er sagt immer, dies braucht Zeit, die nicht zu berechnen ist und die nie bezahlt wird“, sagt Štumpf lachend.

Libor Štumpf steht neben den Marionetten, die entweder aus Sperrholz oder alten Isoliermatten sind. Isomatten sind flexibel und werden dort benutzt, wo es notwendig ist, die Figur zu biegen. Manche der Marionetten gibt es in zwei Ausführungen: Einmal schauen sie nach links, das andere Mal nach rechts. Die eine benutzen die Schauspieler, wenn die Figur von rechts nach links geht und die andere für den Gang von links nach rechts. Sonst würde es nämlich aussehen, als ginge die Puppe rückwärts. Eine weitere Eigenheit des Schwarzlichttheaters ist, dass nicht ein Schauspieler einen Charakter mimt. Libor Štumpf:

„Es hängt davon ab, wie groß und wie technisch kompliziert die Figur ist. Eine Figur führen ein bis vier Schauspieler. Und das auch bei kleinen Marionetten. Den Kleinen Prinzen zum Beispiel führen im Durchschnitt zwei bis drei Leute.

Wir gehen in weitere Säle und gelangen so von einem Märchen zum anderen. Manchen der Besucher fehlen plötzlich Beine, manchen auch der Oberkörper. Der Grund ist die schwarze Kleidung, die einige tragen, sie ist in dem Museum teilweise unsichtbar. Um komplett unsichtbar zu sein, muss man einen der schwarzen Affenanzüge tragen. Libor Štumpf empfiehlt auch schwarze Unterwäsche – und weder Uhr, noch Ringe, Halsketten oder weiteren Schmuck.

„Natürlich verwenden wir auch schwarze Handschuhe. Ich persönlich trage Karnevalhandschuhe. Auf diese Weise sind wir für die Zuschauer nicht sichtbar. Natürlich dürfen wir die schwarzen Hände nicht vor die Puppe halten, das ist dann zu sehen. Und wir können uns auch nicht vorbeugen, denn obwohl wir im Dunkeln sind, würde uns das weiße Licht dann beleuchten.“

In den dicken Anzügen schwitzt man ziemlich viel. Libor Štumpf behauptet, dass er deswegen während jeder großen Tournee in Deutschland fünf Kilo abnimmt. Die Theatergruppe Ahoj spielt nämlich auch im Ausland.

„Und zwar in ganz Europa. Aber vor allem spielen wir hier in Chrudim. Unsere Theatergruppe Ahoj ist im letzten Jahr vier Wochen lang auch im Lebkuchenhaus bei Pardubice aufgetreten. Bei unseren Auslandsreisen sind wir am häufigsten in Westdeutschland, manchmal auch in Ostdeutschland, der Schweiz, Österreich und Norditalien. Norditalien deswegen, weil wir hauptsächlich auf Deutsch spielen und dort auch Deutsch gesprochen wird.“

Das Schwarzlichttheater aus der kleinen ostböhmischen Stadt erntet Erfolge in ganz Europa. Es gibt aber auch in Prag ein Schwarzlichttheater. Für die Künstler aus Chrudim bedeutet dies jedoch keine Konkurrenz, denn die Nachfrage ist größer als das Angebot.

„Natürlich lockt das die Zuschauer an. Ich würde das so formulieren: Das Schwarzlichttheater in Prag ist eher für Touristen mit Devisen. Für die Leute hierzulande bietet es nicht so viel. Wir sind vor allem auf Kinder fokussiert und spielen ein kürzeres Programm, eine Märchen-Sammlung. Das begeistert neben den Kindern auch Lehrern und Eltern.“

Begeistert sind alle auch nach den Vorstellungen, denn die Schauspieler zeigen üblicherweise, wie das Theater funktioniert. Das neu eröffnete Schwarzlichttheater-Museum ermöglicht jedem, das Funktionieren noch genauer zu erforschen. Doch nun schließt sich der Vorhang. Unsere Führung durch das Museum in Chrudim ist zu Ende.

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