Samtene Revolution und Kafka: Jubiläen im Münchner Kulturzentrum
Der Sturz des Kommunismus im Jahr1989 dominiert das Programm der tschechischen Kulturzentren im Ausland in diesen Tagen. In München wird das 25. Jubiläum der Samtenen Revolution zum Anlass, um die Ereignisse von damals zu reflektieren und das Vierteljahrhundert seit der Wende zu bilanzieren. Außerdem wird mit mehreren Veranstaltungen an den 90. Todestag Franz Kafkas erinnert. Mehr zu diesen und anderen Programmpunkten hören Sie im folgenden Gespräch mit Ondřej Černý, dem Leiter des Tschechischen Zentrums in München.
Wir haben uns gesagt, dass wir das Jubiläum der Samtenen Revolution in dem Sinne feiern möchten, dass wir dieses einzigartige Ereignis in einen mittel- und osteuropäischen Kontext bringen. Das machen wir mit unseren Partnern durch zwei Konferenzen. Die eine heißt ‚25 Jahre Wandel im östlichen Europa‘. Die Konferenz mit einem Gesprächspanel und mit Vorlesungen findet im Haus des Deutschen Ostens statt. Die tschechische Seite wird durch den Philosophen, Prof. Jan Sokol, repräsentiert. Die zweite Veranstaltung ist das so genannte ‚Forum München‘, ausschließlich zum Thema Herbst 1989 in Ost-, Mittel- und Südeuropa. Der Hauptorganisator ist die Ludwig-Maximilian-Universität in München. Das das ganze Jahr durch feiern wir das Jubiläum auch durch den Zyklus ‚Tschechische Journalisten bilanzieren‘. In diesem Rahmen wird am 13. November im Sudetendeutschen Haus Jiří Peňás eine Bilanz der tschechischen Kultur in den letzten 25 Jahren ziehen. Dabei wird er sich auch die Medien ansehen und die Frage stellen, wie es mit der Unabhängigkeit der Medien in der Tschechischen Republik aussieht.“
Sie nutzen das Jubiläum also nicht nur, um zu feiern, sondern auch als Anlass, eine Bilanz zu ziehen. Stimmt das?„Natürlich. Ich finde, es sich eine wichtige Sache. In Deutschland mag man Jubiläen und Jahrestage sehr. Und man nutzt sie, um Dinge zu reflektieren.“
Anlässlich des 25. Jubiläums zeigt auch das Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee in der Oberpfalz eine thematische Ausstellung, an deren Vorbereitung sich das Tschechische Zentrum beteiligt hat. Sie heißt "Stimmen der Freiheit - Radio Free Europe im Kalten Krieg". Was beleuchtet die Ausstellung?
„Diese Ausstellung entstand eigentlich schon vor zwei oder drei Jsvobodna evropaahren, als ein Jubiläum von Radio Free Europe gefeiert wurde. Sie wandert seitdem durch Bayern und Baden-Württemberg. Ab 17. November wird sie eben in Schönsee zu sehen sein. Die Ausstellung zeigt die Persönlichkeiten und die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte von Radio Free Europe. Wir haben auch für die Zukunft große Pläne damit. Wir verhandeln derzeit mit der Ludwig-Maximilian-Universität und möchten die Ausstellung künftig als eine ständige Ausstellung in dem Gebäude unterbringen, in dem einst Radio Free Europe ansässig war. Damit würden auch Studenten der Universität erfahren, dass in dem Gebäude in der Oettingenstraße dieser wichtige Sender seinen Sitz hatte. München war für Mittel- und Osteuropa schließlich einer der wichtigsten Orte, von dem die Stimmen der Freiheit in die kommunistischen Länder gesendet wurden.“Neben dem 25. Jahrestag der friedlichen Revolution in Europa ist auch der 90. Todestag des Prager Schriftstellers Franz Kafka ein Schwerpunkt im Programm des Tschechischen Zentrums. Am Freitag wird dazu eine Ausstellung bei Ihnen eröffnet. Was wird dort gezeigt?„Wir haben uns gesagt, dass wir den Todestag Franz Kafkas teilweise mit Humor und teilweise sehr ernst wahrnehmen möchten. Diese Ausstellung gehört zu den humorvollen Veranstaltungen. Zu sehen sind Graphiken und Karikaturen von Jiří Slíva mit dem Namen ‚Graphiken mit Pointe‘. Diese Graphiken sind in einer neuen Ausgabe von Kafkas Erzählung ‚Die Verwandlung‘ veröffentlicht. Es ist eine neue tschechisch-englische Ausgabe, wir zeigen das Buch auch im Rahmen der Ausstellung. Jiří Slíva stellt nicht nur seine Kafka-Graphiken, sondern auch Bilder zum Thema Sigmund Freud und auch zu seinem beliebten Thema Wein aus. Slíva ist aber nicht nur Illustrator, Maler und Graphiker, sondern auch ein Musiker. Deswegen freuen wir uns sehr, dass er zur Vernissage am Freitag persönlich kommt. Er hat versprochen, dabei selbst Jazzmusik zu spielen.“
Um ein weiteres Werk Kafkas, den Roman „Prozess“, geht es bei einer Diskussionsrunde am 1. Dezember. Marie Vachenauer ist dabei zu Gast im Tschechischen Zentrum, sie hat ein Buch über Kafkas Prozess verfasst. Worum geht es genau in Vachenauers Buch und bei der Diskussion?„Kafkas Werk ist eigentlich übervoll mit verschiedenen Interpretationen. Die Pragerin Marie Vachenauer hat in ihrem Buch einen ganz neuen Blick auf Kafkas ‚Prozess‘ geworfen. Sie versucht durch eine detaillierte Analyse, den ‚Prozess‘ in eine ganz konkrete Topographie Prags von damals zu setzen. Sie vertritt die Meinung, dass alle Stellen, alle Orte in Kafkas ‚Prozess‘ ganz konkrete Orte in Prag seiner Zeit seien. Das ist die eine Sache. Und zweitens versucht sie in ihrem Buch zu belegen, dass Kafka in seinem Roman ganz konkrete historische Ereignisse wie zum Beispiel den Kriminalfall ‚Causa Abeles‘ präsentiert. Die Geschichte des Josef K. soll ihrer Interpretation nach eine Abrechnung mit dem jahrhundertealten Unrecht und Antisemitismus sein. Für die Moderation der Diskussionsrunde haben wir den Prager Journalisten und Publizisten mit jüdischen Wurzeln Petr Brod gewonnen. Er wird sozusagen ein Advocatus diaboli zu Marie Vachenauer sein.“
Worauf möchten Sie im Programm des Tschechischen Zentrums im November und Dezember noch hinweisen? Vielleicht ließen sich auch Veranstaltungen außerhalb Münchens erwähnen…„Ich möchte zwei Veranstaltungen nennen. Die eine ist ein Konzert von Musica Florea, einem renommierten tschechischen Barock-Ensemble unter der Leitung von Marek Štryncl, das im Rahmen des Musikfestivals Europa Musicale im Kloster Rinchnach spielt. Die zweite einzigartige Veranstaltung ist die Aufführung von ‚Der Ackermann und der Tod‘. Das ist ein Streitgespräch, das vor 600 Jahren von Johannes von Saaz verfasst wurde. Es ist eines der wichtigsten literarischen Werke aus Böhmen, die damals veröffentlicht wurden. Die Theatervorstellung findet in Schwäbisch Gmünd statt, und das Tschechische Zentrum ist auch dabei. Und last but not least möchte ich mit großer Freude noch auf eine Lesung von Rainer Kunze hinweisen, einem bedeutenden Dichter und Übersetzer tschechischer Poesie. Diese Lesung findet am 9. Dezember im Lyrik-Kabinett in München statt. Rainer Kunze wird mit dem tschechischen Literaturwissenschaftler Roman Kopřiva über Jan Skácel sprechen und auch Gedichte, Briefe und Feuilletons von Skácel in seiner Übersetzung lesen. Skácel ist eigentlich auch ein tragischer Jubilar dieses Jahrs. Er starb ein paar Monate vor dem Ausbruch der Samtenen Revolution und konnte die Euphorie von damals leider nicht mehr miterleben.“