Schauplatz Wahlen: Minderheitenpolitik

In der letzten Sonderausgabe des Schauplatzes zu den tschechischen Abgeordnetenhauswahlen 2002 wird sich Olaf Barth mit einem sogenannten Randthema der hiesigen politischen Szene beschäftigen: Nämlich mit der Minderheitenpolitik.

Obwohl dieser Themenbereich sicherlich zu den wichtigeren innenpolitischen Fragen zählt, kann er sich hierzulande weder einem größeren Medieninteresse noch einer ausgedehnten politischen Diskussion erfreuen. Und das obwohl es in der Tschechischen Republik neben der Roma-Minderheit noch zahlreiche nationale Minderheiten gibt: Slowaken, Polen, Deutsche, Ukrainer und Vietnamesen, um nur einige zu nennen.

Die Soziologin Tatjana Siskova engagiert sich seit Jahren in Organisationen, die sich der Minderheitenproblematik verschreiben, so u.a. im Tschechischen Zentrum für Konfliktprävention und -lösung und ist Herausgeberin mehrerer Bücher zu dieser Thematik. Sie beschreibt, dass die tschechische Gesellschaft vor allem den ethnischen Minderheiten gegenüber nicht besonders positiv eingestellt sei. Einen Grund sieht sie darin, dass man zu lange in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt habe. Die Mehrheitsgesellschaft habe ihre Normen und wer in diese nicht passe, werde leider oft als unnormal angesehen. Frau Siskova beschreibt die Situation hierzulande:

"Nach 1989 entstand eine neue gesellschaftliche Situation, doch die Politiker reagieren insgesamt viel zu langsam. Dennoch wurden schon ein paar wichtige Gesetze realisiert: Demnach ist Diskriminierung strafbar und es gibt Gesetze zur Verfolgung rassistisch motivierter Delikte. Die Haltung der Bürger einerseits und der Richter, Polizisten, Lehrer etc. andererseits hat sich noch nicht so sehr verändert - man tut sich mit der Vielfalt der Welt noch schwer."

Wie setzen sich denn die politischen Repräsentanten mit dieser Problematik auseinander, was hat sich da in den vergangenen Jahren getan, wollte ich von Frau Siskova wissen?

"Die Minderheitenthematik wird von den Politikern zwar nicht mehr marginalisiert, aber immer noch nicht ernst genug genommen. Jetzt im Wahlkampf propagieren die extremeren rechten Parteien natürlich ihre banalen Lösungen, ansonsten tut sich nicht viel. Und das verabschiedete Minderheitengesetz ist eher eine formelle Angelegenheit und kaum einer kennt es."

Das angesprochene Minderheitengesetz war Ausdruck einer der wenigen politischen Bemühungen, nationale Minderheiten, wie Deutsche, Polen, Slowaken usw. zu unterstützen.

Was bedeutet dieses Gesetz für die deutsche Minderheit, fragte ich die Vorsitzende der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, Irene Kunc. Vor allem betreffe es die Deutschen kaum, da sie in der ganzen Republik verstreut seien, meint Frau Kunc und führt aus:

"Von dem Minderheitengesetz sind vor allem die (Familien-/Anm. d. Red.) Namen wichtig, die deutschen Namen, die man früher anders geschrieben hat. Das kann man nach dem neuen Gesetz jetzt auch in Muttersprache schreiben. Es bringt aber gerade für die ältere Generation nicht sehr viel, weil man zu viel ändern müsste. Dann gibt es die Möglichkeit, das man doppelte Ortschilder haben kann, wenn sich die Leute dazu entschließen."

Auch die Gesetzespassagen zur Schule seien wegen der Zersplitterung der Deutschen laut Kunc nicht relevant. Und wie beurteilt sie die Rolle ihrer Minderheit - gibt es eine Zusammenarbeit mit der politischen Szene hierzulande?

"Wir haben zwei Vertreter in dem Minderheitenrat und einen im Kulturministerium. Aber weil das eigentlich alles Gesellschaften sind, die nicht politisch wirken, haben wir keine Möglichkeit die Politik zu beeinflussen. Wie alle anderen Minderheiten auch, können wir nur über diesen Rat Bemerkungen und Vorschläge machen, sonst haben wir keine politische Vertretung im Parlament oder in der Regierung."

Ein wichtiger Punkt, nämlich eigene Selbstverwaltungsorgane, wurde im Minderheitengesetz letztlich nicht berücksichtigt. Was Frau Kunc für die Deutschen auf Grund ihrer Zersplitterung als wenig bedeutsam ansieht, kritisiert hingegen Markus Pape vom Europäischen Zentrum für Romarechte und somit Vertreter einer bedeutenden ethnischen Minderheit in Tschechien. Ansonsten stellt Pape der derzeitigen Regierung aber ein durchaus positives Zeugnis aus:

"Was die Roma betrifft, denke ich, dass es in den letzten 4 Jahren zu einer Umorientierung gekommen ist, dass die Regierung versucht, durch Gesetzesnovellen oder auch durch die Unterstützung bestimmter Projekte den Roma zu helfen, dass sie aber auf den Widerstand von Institutionen und Einzelpersonen stößt, da eben das öffentliche Klima immer noch anti-Roma geprägt ist."

Die Expertin für Minderheitenpolitik, Tatjana Siskova, hat in ihrer Stellungnahme betont, dass sich die Parteien im allgemeinen dieser Problematik viel zu wenig widmen. Sieht Markus Pape bei den Parteien irgendwelche brauchbaren Konzepte?

"Also ich kenne keine Partei, die ein spezielles Programm für Minderheitenpolitik propagiert. Die Minderheitenproblematik ist nicht zum Thema des Wahlkampfes geworden, nur die ODS hat versucht, Ausländer und Einwanderer als Verursacher von gesellschaftlichen Problemen zu markieren und dadurch Wählerstimmen zu gewinnen. Dazu muss man sagen, dass das schädlich ist für die allgemeine Atmosphäre in der Gesellschaft. Ansonsten denken wahrscheinlich die Parteien, falls sie das Wort Roma in den Mund nehmen, könnten sie Wählerstimmen verlieren."

Der angesprochene Teil der ODS - Wahlpropaganda richtete sich gegen die, beinahe ausschließlich vietnamesischen Straßenhändler und sprach außerdem von einem Zuwanderungsproblem in Tschechien. Frau Siskova hatte auf diese Art von Wahlpropaganda der Bürgerdemokraten gegenüber Radio Prag kürzlich wie folgt reagiert:

"Das ist selbstverständlich Populismus. In Wahlkampfzeiten werden eben häufig Dinge gesagt, die sonst niemand äußern würde. Man ist sich seitens der ODS wohl bewusst geworden, dass die offenen Grenzen von manchen Leuten ausgenutzt werden und dass man dies möglicherweise wahlkampftaktisch ausschlachten kann."

Den Politikern gibt Frau Siskova noch einen wichtigen Ratschlag mit auf deren Weg zu einem effektiven minderheitspolitischen Konzept:

"Ich denke, man sollte die Minderheitengesetze grundsätzlich in Zusammenarbeit mit den betroffenen Gruppen gestalten. Sonst bleibt es ein Programm der Mehrheit für die Minderheit. Wissen sie, Nationalisten gibt es in jedem Land, man muss sich Ihnen aber entgegenstellen und da wünsche ich mir von unseren Politikern noch mehr Initiative."

Und wie könnte das konkret aussehen, was muss noch getan werden, möglicherweise auch außerhalb der politischen Landschaft?

"Die Massenmedien sollten z.B. eine größere Rolle spielen. Sie sollten vielmehr positive Beispiele des multikulturellen Lebens präsentieren. Eine weitere Möglichkeit sind Projekte und Schulungsprogramme für Polizisten, Beamte und andere öffentliche Angestellte. Man muss Ihnen erklären, wie sie sich verhalten sollen, damit es nicht zu Diskriminierungen kommt und auch, warum das notwendig ist. Außerdem muss man noch mehr auf die Umsetzung der bereits bestehenden Gesetze achten."

Autor: Olaf Barth
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