Schülermusical aus deutsch-tschechischer Geschichte
„Tisá – Eine Liebe ohne Grenzen“ heißt das Musical, das kurz nach seiner Premiere in Bayern vorige Woche auch in Tschechien aufgeführt wurde. Entstanden ist die Aufführung als deutsch-tschechisches Schülerprojekt, an dem das Schyren-Gymnasium aus Pfaffenhofen und das Gymnasium aus dem nordböhmischen Děčín beteiligt waren.
Rund 100 Gymnasiasten aus Pfaffenhofen und 40 aus Děčín beteiligten sich an der Inszenierung. Gesungen und gesprochen wurde deutsch, tschechisch und englisch. Die Musik stammte von einer Band aus deutschen Schülern. Es war eine Zeitreise durch ganz verschiedene Stile.
Das Orchester leitete Stefan Daubner. Er hat das Musical geschrieben. Seit 2003 ist er Musiklehrer am Schyren-Gymnasium in Pfaffenhofen. Seit Jahren befasst er sich mit den tschechisch-deutschen Beziehungen und interessiert sich sehr für die Kultur des Nachbarlandes. Während der Generalprobe in Děčín ist das folgende Gespräch mit dem Komponisten und Musiker entstanden:
Herr Daubner, was hat Sie dazu bewegt, dieses Musical zu schreiben?
„Das war ein langer Prozess, der 30 Jahre gedauert hat. Meine Mutter wurde als Sechsjährige 1945 vertrieben, meine Oma ist in Tyssa geboren. Ich bin im Fichtelgebirge, 30 Kilometer von Cheb entfernt, aufgewachsen. Mich hat dieses Land schon immer interessiert. Das Elternhaus meiner Mutter steht in Martiněves bei Jílové. Wir sind 1990 hingefahren, ich habe damals eine Flasche Sekt mitgenommen und einen Satz Tschechisch gelernt: ,Moje matka se zde narodila.‘ (Meine Mutter ist hier geboren. Anm.d. Red.) Die Leute saßen im Garten und sind nach innen geflüchtet. Diese Geschichte haben wir auch in das Musical miteingebaut. Es erklingt dort das Lied ,Byli tady vaši Němci?‘(Waren eure Deutschen schon da? Anm. d. Red.) Wir sind dann immer wieder nach Tschechien gereist. Im Jahre 2000 haben wir beispielsweise Děčín mit dem renovierten Schloss besucht und erzählt, die Mutter sei hier geboren. Es kam die erste Reaktion: ,Schön, dass Sie wieder da sind.‘ 2010 sind wir nach Tyssa gefahren. Das Haus, das einst meinen Urgroßeltern gehörte, war renoviert und es hing dort eine Granittafel, auf der stand: ,Kletterklub Lokomotive Teplice‘. Ich habe auf der Homepage in der Rubrik Geschichte ein Bild des Hauses mit meinen Urgroßeltern gefunden. Das Foto wurde auch im Programmheft abgedruckt. Das war ausschlaggebend dafür, dass ich mich da gemeldet habe. Ich habe Gerhard Tschunko, einen 80-jährigen Bergsteiger, getroffen. Er hat dieses Haus in eigener Regie gekauft und mit seinem Verein in Stand gesetzt. Er hat uns viele Geschichten erzählt. Ich fand das immer spannend, die Wurzeln zu erforschen. In Tisá ist der Verein ‚Spolek pro Tisou‘ aktiv. Er begann schon 2010 Dokumentationstafeln über die Geschichte und auch die Vertreibung aufzustellen. Man hat gemerkt, dass sich die Menschen für das Thema interessieren. Meine Oma hat immer erzählt, wie schön die Tyssaer Wände sind, aber welche Probleme es bei der Vertreibung gab, darüber hat sie nie gesprochen. Erst vor ihrem Tod hat sie seltsame Geschichten erzählt, wo man vermuten konnte, es seien schlimme Sachen passiert, aber das hat sie mit ins Grab genommen.“Sie haben die Musik geschrieben, Ihre Frau hat das Libretto zusammengestellt. Haben Sie sich auch daran beteiligt?„Der Weg zum Libretto war lang. Ich habe beispielsweise den führenden Librettisten in Deutschland Michael Kunze angeschrieben. Er meinte, das Thema sei speziell, aber interessant. Ich wollte einen tschechischen Librettisten haben, um die historischen Fakten und alles ausgewogen zu haben. Ich habe die Schriftstellerin Kateřina Tučková und auch Jaroslav Rudiš angeschrieben. Mit Tučková bin ich immer noch in Kontakt. Es blieb uns schließlich nichts anderes übrig, als uns am Abend eine Flasche Wein aufzumachen und Song für Song, Szene für Szene zu entwickeln.“
Wie haben Sie mit den Schülern beider Gymnasien geprobt?
„Wir haben im Februar dieses Jahres begonnen, mit einigen der tschechischen Darsteller in Pfaffenhofen zu proben. Dann kam die Regisseurin Jaroslava Leufenová dazu, ohne sie wäre es nicht möglich gewesen. Sie spricht beide Sprachen und ist eine erfahrene Theaterfrau.“Die Schüler mussten nicht nur schauspielerisch begabt sein, aber auch gut singen zu können. War es nicht schwer, passende Darstellerinnen und Darsteller zu finden?
„Schon vor etwa zwei Jahren gab es eine Art Casting bei uns. Denn das Ganze hat einen langen Vorlauf. Man schreibt den Kindern und auch dem Orchester die Partien auf den Leib. Den tschechischen Partnern haben wir die Männerrollen zugeschoben, was vielleicht ein wenig ungerecht war, denn in tschechischen Chören singen nicht viele Jungen. Aber Jiří Holubec von der Universität in Ústí hat uns Kontakte zu seinen früheren Schülern vermittelt. Die sind jetzt mit dabei gewesen.“ Das Musical schildert die Liebe zwischen dem deutschen Mädchen Sabine und dem tschechischen Jungen Tomáš. Sie treffen sich an den Tyssaer Wänden zum Klettern. Auch wenn der Krieg schon verloren ist, muss sich Sabine die Nazi-Parolen ihres Vaters anhören. Als das Nazi-Regime zusammenbricht und der Krieg auch in Nordböhmen endet, müssen alle Deutschen das Land verlassen. Tomáš und Sabine bleiben in Kontakt und wollen endlich gemeinsam auswandern. Die Mutter der jungen Frau vernichtet jedoch das entscheidende Telegramm von Tomáš und die Verbindung bricht ab. 1968 kommt Sabine als Journalistin nach Prag und trifft dort auf die große Liebe ihrer Jugend, doch beide haben mittlerweile eine Familie gegründet. Erst 2005 taucht Oma Sabine wieder in Tisá auf.
Die Rolle der Seniorin Sabine übernahm Anneliese Schutte. Nach der Vorstellung entstand das folgende Gespräch:Ist es für dich schwierig, eine ältere Dame zu spielen?
„Ich finde es ziemlich schwer. Ich stehe gerade, aber wenn ich auf der Bühne bin, muss ich mich kleinmachen und kleine Schritte machen, Aber ich glaube, dass es mir gelingt, die Oma zu spielen.“
Was findest du am eindrucksvollsten an dem Stück?
„Ich finde die Geschichte sehr krass. Ich hoffe, dass wir sie gut rüberbringen können. Eine Freundin von mir erzählte bei der ersten Aufführung, sie habe einige Mal Tränen in den Augen gehabt. Viele Leute haben uns gesagt, dass es ihnen gefallen habe.“
Die männliche Hauptrolle, den Tomáš, singt Jakub Houdek. Er studiert Musikerziehung an der Universität in Ústí nad Labem / Aussig. Welche der Szenen findet er besonders stark?„Es ist vor allem der Teil über die Vertreibung. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte eine deutsche Partnerin und sie müsste auf einmal weg… Das muss für die Menschen besonders schwer gewesen sein, ihre Liebe, ihre Nächsten verlassen zu müssen. Ich finde es mutig von Herr Daubner, dass er sich für dieses Thema entschieden hat. Denn es ist schwierig, ein Musical zu schreiben, das sowohl vom Publikum in Deutschland als auch in Tschechien akzeptiert wird.“
Jakub Houdek hat auch bei den beiden Aufführungen des Musicals in Deutschland gesungen.
„Das deutsche Publikum hat uns sogar mit Standing Ovations belohnt. Bei der Vertreibungs-Szene habe ich bemerkt, dass die Zuschauer Tränen in den Augen hatten.“Die Musik findet Jakub Houdek zwar sehr schön, aber schwierig.
„Was die Sängerpartien anbelangt, mussten wir lange mit dem Korrepetitor üben. Für die Mehrheit der Darsteller waren die Sängerrollen sehr schwer, da sie als Gymnasiasten noch kaum Erfahrungen damit hat. Mir gefällt zudem, wie sich die Musikstile bei der Darstellung der einzelnen Epochen ändern – von 1945 über 1968 bis in die Gegenwart. Zudem gibt es Leitmotive, die sich durch das ganze Stück ziehen. Stefan hat es sehr gut geschrieben.“
Die Zuschauer im ausverkauften Stadttheater in Děčín belohnten das Ensemble mit großem Beifall. Am Samstag wurde das Musical noch an seinem eigentlichen Schauplatz aufgeführt – in der Gemeinde Tisá. Auch dort war das Publikum begeistert. Vorläufig ist keine weitere Vorstellung geplant, falls ein Veranstalter Interesse an dem Stück hat, kann er sich an Stefan Daubner und das Schyren-Gymnasium in Pfaffenhofen wenden.