„Schwarzenberg wird zurücktreten“ – Politologe Schuster zum Streit um die Fiskalunion

Karel Schwarzenberg

Auf den Tag genau vor einer Woche weigerte sich Tschechiens Regierungschef Petr Nečas beim EU-Gipfel in Brüssel dem geplanten Fiskalpakt der Europäischen Union beizutreten. Die Tschechen sind damit, neben den Briten, die einzigen, die dem Abkommen fern bleiben. Während allerdings London schon früher sein Nein signalisiert hat, sorgte die Haltung Prags für ziemliches Unverständnis. Was in Europa Kopfschütteln hervorrief, entfachte in Tschechien einen neuen Konflikt innerhalb der ohnehin schon fragilen bürgerlichen Regierungskoalition. Außenminister Karel Schwarzenberg griff Regierungschef Nečas öffentlich scharf an, indem er ihn bezichtigte, “dem national-sozialistischen Flügel” in seiner eigenen Partei nachgegeben zu haben. Nečas schoss wiederum ebenso scharf zurück und bezeichnete die Äußerungen des Außenministers als “Gerede, wie auf einem ländlichen Tanzfest”. Nichtsdestotrotz wollen beide Spitzenpolitiker am Dienstag zusammenkommen und über ihre unterschiedlichen Standpunkte diskutieren. Den Konflikt um die tschechische Europapolitik analysiert unser Mitarbeiter, der Politikwissenschaftler Robert Schuster:

Petr Nečas  (Foto: ČTK)
Regierungschef Petr Nečas galt lange als Pragmatiker und Politiker, der in vielen Bereichen der Politik eher vorsichtig bis zögernd agierte. Warum hat er gerade jetzt auf den Tisch gehauen?

„Ja, das war sicherlich eine Überraschung, Dem Naturell von Petr Nečas hätte es eher entsprochen zu sagen, dass man momentan dem Fiskalpakt nicht beitreten wolle, sich aber die Möglichkeit offen halte, dies später doch noch zu tun. Aber er hat ja ziemlich deutlich klar gemacht, dass in dieser Legislaturperiode, also bis 2014, keine Regierung unter seiner Führung diesem Fiskalpakt beitreten werde. Da spielen wahrscheinlich vor allem zwei Motive eine besondere Rolle. Das erste ist innenpolitisch motiviert: Es ging in den letzten Monaten immer wieder um die Selbstbehauptung von Petr Nečas und zwar um seine Selbstbehauptung im bürgerlichen Lager, in dem mit der Partei Top 09 unter der Führung Karel Schwarzenbergs ja ein sehr starker Gegner aufgetaucht ist, der das bürgerliche Wählerspektrum anspricht und damit auch im Wählerreservoir der ODS von Petr Nečas’ “fischt”. Das andere Motiv ist eher innerparteilich, und zwar hat Petr Nečas in den letzten Monaten seine Position in der rechtsliberalen Bürgerpartei ODS recht stark konsolidiert. Er ist jetzt unangefochten der starke Führer, der er vorher nicht war, es ist ihm gelungen, viele Konflikte in seiner Partei zu schlichten. Jetzt versucht er eben, diese Stärke auch nach außen zu zeigen, und da ist die Europafrage, die die ODS spaltet, natürlich ein ziemlich gefundenes Fressen, wenn man das so sagen kann.“

Foto: Europäisches Parlament
Wie wahrscheinlich ist es, dass sich Schwarzenberg und Nečas auf eine gemeinsame Linie einigen werden? Würde Schwarzenberg so weit gehen und tatsächlich die Regierung verlassen?

„Wie ich das beurteile, fehlt momentan der gemeinsame Nenner, auf den sich die beiden einigen könnten. Beide haben Positionen eingenommen. Die sich sehr stark diametral gegenüberstehen. Schwarzenberg ist für den Fiskalpakt, Nečas klar dagegen. Das heißt, die beiden werden sicherlich nicht sofort eine Einigung oder einen Modus vivendi finden werden. Was die Zukunft Schwarzenbergs angeht: Man darf natürlich nicht vergessen, dass Schwarzenberg vor einiger Zeit als Präsidentschaftskandidat seiner Partei nominiert worden ist und ich kann mir nicht vorstellen, dass er bei den Präsidentschaftswahlen, egal ob es nun Direktwahlen oder Parlamentswahlen sein werden, wirklich bis zum letzten Tag Außenminister bleiben wird. Ich persönlich erwarte deshalb, dass er im Herbst dieses Jahres oder auch schon früher von seinem Amt zurücktreten wird, um sich auf seine Kandidatur für das Präsidentschaftsamt zu konzentrieren.“

Sozialdemokraten
Es ist erstaunlich, dass die Frage des Fiskalpakts das übliche Links-Rechts-Schema in der tschechischen Politik ausgehebelt hat, denn zu den stärksten Befürwortern des Fiskalpakts gehören die oppositionellen tschechischen Sozialdemokraten. Zudem haben in den letzten Tagen auch zahlreiche prominente Wissenschaftler öffentlich an Nečas appelliert, seine Haltung zu ändern. Anzeichen dafür, dass es in der Gesellschaft einen breiteren Konsens für einen Beitritt zum Fiskalpakt gibt?

„Zunächst zu den Sozialdemokraten: Auf der einen Seite erklären sie jetzt, dass sie auf europäischer Ebene diesen Fiskalpakt unterstützen wollen, das heißt die Verpflichtung, mehr zu sparen. Auf der anderen Seite lehnen sie dies aber auf nationaler Ebene, z.B. in Form einer Schuldenbremse ab. Es ist interessant, dass diese Partei eine klare Unterscheidung zwischen nationaler und europäischer Ebene macht. Was die Wissenschaftler und den breiten Konsens angeht: Es geht ja jetzt erst einmal gar nicht um den Fiskalpakt als solchen sondern darum, ob Tschechien sich jetzt innerhalb der EU isoliert oder ob das Land versucht, mit seinen Partnern und Nachbarn zusammenzuarbeiten. Ich denke, dass es im Grunde um diese Frage geht und deshalb ist auch die Unterstützung für die Teilnahme Tschechiens am Fiskalpakt breiter abgesteckt. Sollte es zu einer Volksabstimmung über den Fiskalpakt oder, wie Nečas ankündigte, generell über den Euro kommen, dann denke ich, dass die Ergebnisse bei weitem nicht so klar sein werden. Denn Umfragen zeigen, dass die Tschechen den Euro bzw. die Beteiligung an einem Fiskalpakt größtenteils ablehnen würden. Aber wie gesagt, ein Ergebnis lässt sich dabei wirklich noch nicht vorhersagen. Und um ein mögliches Nein zu verhindern, werden besonders die Eliten Werbung für ein europäisches Tschechien machen.“