Semily – ein Brutkasten für Erfinder

Museum von Semily (Foto: Martina Schneibergová)

Sie haben ihre Spuren in der ganzen k. u. k. Monarchie sowie im zarischen Russland, in den Labors der Physiker sowie in der Welt des Glückspiels hinterlassen: die Erfinder aus dem Riesengebirgsvorland. Sie haben sich nämlich in den vergangenen zwei Jahrhunderten in mehreren Bereichen durchgesetzt. Was alles dazugehört, das zeigt eine Ausstellung im Museum von Semily / Semil. Konkret handelt es sich um Erfindungen aus der Gegend der Stadt. Die Schau hat Tomáš Chvátal zusammengestellt. Martina Schneibergová hat mit dem Historiker über die Ausstellung gesprochen.

Museum von Semily  (Foto: Martina Schneibergová)

Tomáš Chvátal  (Foto: Martina Schneibergová)
Herr Chvátal, wir betreten den Ausstellungssaal, in dem gerade schwungvolle Musik erklingt. Hat sie etwas mit den Exponaten zu tun?

„Es ist eine Polka von Eduard Strauss. Sie heißt Hektograph. So nannte sich eine der ersten Kopiermaschinen, und sie ist in Semily entstanden.“

Wer war der Erfinder?

„Es waren zwei Männer aus Semily: der Apotheker Rudolf Husák und sein Freund Vinzenz Kwaysser, der sich in einer hiesigen Tuchdruckerei mit Farben beschäftigt hat. Kwaysser stellte die Erfindung in einer Kneipe zum ersten Mal der Öffentlichkeit vor. Er meinte aber, das sei nur ein Spaß. Rudolf Husák sah dies aber und sagte, das sei doch eine Erfindung. Das war in den Jahren 1877 bis 1878. Husák hat Kwaysser aufgefordert, mit ihm gemeinsam eine Firma zu gründen und Patente zu erwerben. Zwei, drei Jahre später feierten beide mit dem Hektographen Erfolg. Sie haben das Patent nicht nur in Österreich-Ungarn, sondern auch in Deutschland, England, in den USA und in den britischen Kolonien angemeldet. Damals war es nicht schwierig, ein Patent zu erwerben, sondern eher es zu verteidigen.“

František Adam Petřina
Woher stammen alle diese Exponate – von den kuriosen Gegenständen bis zu den Dokumenten?

„Darauf gibt es zweierlei Antwort. Die erste lautet: Sie stammen aus Semily, denn entweder sind sie in der Stadt direkt entstanden, oder ihre Erfinder wurden in Semily geboren. Die andere Antwort lautet: Die Exponate haben wir von verschiedenen Institutionen geliehen. Nur einige stammen aus den Sammlungen unseres Museums. Wir zeigen Gegenstände aus dem Prager Museum für tschechische Musik, aus dem Nationalmuseum für Technik, aus dem Archiv von Semily und aus privaten Sammlungen. Unser Ziel war es, all diese Erfindungen an einem Ort zusammenzutragen und den Besuchern zu erläutern, wozu sie gedient haben. Dafür stehen auch einige Videos zu Verfügung.“

Wer war František Adam Petřina, der vermutlich gleich mehrere Erfindungen auf seinem Konto hat?

„Er war der Begründer der modernen tschechischen Elektrophysik und des Elektromagnetismus. Der Physiker befasste sich mit den wichtigsten Aufgaben seiner Zeit: mit Elektromotoren und Dynamo. Es gibt einen Bericht darüber, dass er etwas erfunden hat, das als elektronische Harmonika bezeichnet wurde. Es war vermutlich so etwas wie heute der Synthesizer.“

Šedifon  (Foto: Martina Schneibergová)
Sie zeigen hier recht ungewöhnliche Blasinstrumente. Wurden sie auch von Orchestern benutzt?

„Es sind kombinierte Instrumente, darunter befinden sich beispielsweise Blasinstrumente mit zwei Schalltrichtern. Am interessantesten ist das sogenannte ,šedifon‘. Die Bezeichnung wurde vom Namen des Erfinders – Josef Šediva – abgeleitet, genauso wie das Saxophon nach seinem Erfinder Adolphe Sax benannt wurde. Obwohl die Instrumente ungewöhnlich aussehen, wurden die meisten von ihnen in Massenproduktion hergestellt. Dies geschah jedoch nicht in Böhmen, sondern in Odessa in Russland, weil Šediva dort eine Fabrik hatte. Er war ein bekannter Hersteller von Musikinstrumenten vor allem für Blas- und Militärkapellen.“

Spielautomat  (Foto: Martina Schneibergová)
Ist Šediva in Russland geblieben, oder kehrte er nach Böhmen zurück?

„Er ist Ende des 19. Jahrhunderts nach Russland ausgewandert. Fachleute waren dort damals gefragt und wurden sehr geschätzt. Er war ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Bis zu seinem Tod lebte er in Russland. Während der Russischen Revolution wurde seine Fabrik jedoch zerstört.“

Hochinteressant scheinen auf den ersten Blick auch die Exponate in dem Saal über den Erfinder Josef Vaněk. Womit hat er sich beschäftigt?

„Vaněk hatte verschiedene unternehmerische Aktivitäten, setzte sich aber vor allem in den 1920er und 1930er Jahren in der Automatenproduktion durch. Er stellte beispielsweise Münzautomaten für Süßigkeiten her, aber vor allem produzierte er Spielautomaten. 1925/26 stellte er seinen Spielautomaten Forbes vor. Zur selben Zeit präsentierte sein Konkurrent Josef Mach den Spielautomaten Mars. Die beiden Unternehmer waren davon überzeugt, dass sie die ersten Hersteller von Automaten gewesen sind.“

Kann man einen der ausgestellten Automaten noch benutzen?

„Ja, man kann hier beispielsweise mechanisches Roulette spielen.“

Kamera für Panoramaaufnahmen  (Foto: Martina Schneibergová)
Welches Schicksal hatten beide Erfinder?

„Vaněk und Mach waren zwar Konkurrenten, aber während der Besetzung des Landes durch die Nationalsozialisten haben beide am Widerstandskampf teilgenommen. Josef Vaněk wurde verhaftet und am 22. Februar 1943 in Plötzensee hingerichtet. Josef Mach überlebte das KZ, kehrte aber schwer krank zurück und starb bald darauf.“

In der Ausstellung werden auch Exponate aus den 1980er Jahren gezeigt. Wer war der Erfinder?

„Das war Miroslav Matěcha. Er ist vor drei Jahren gestorben. Matěcha war nicht nur Erfinder, sondern ebenfalls ein Widerstandskämpfer. Aktiv hat er sich gegen das kommunistische Regime aufgelehnt. Ich glaube, er war der einzige Mensch in der Gegend von Semily, der die Charta 77 unterschrieben hat. Er wurde selbstverständlich von den Kommunisten verfolgt. Matěcha hat in seiner Werkstatt beachtenswerte Sachen konstruiert wie beispielsweise einen Schneider für Glaswolle, verschiedene magnetische Geduldspiele und vor allem eine Kamera für Panoramaaufnahmen. Nach der Wende von 1989 war er einer der ersten selbständigen Unternehmer in Semily. Damals stellte er eine Alarmanlage her, die er ,Nekradex‘ nannte. Sie war damals sehr gefragt.“

Die Ausstellung mit dem Titel „Vynálezci a šikulové ze Semil a okolí“ (Erfinder und Bastler aus Semil und Umgebung) ist noch bis 26. Mai dieses Jahres zu sehen. Das Museum ist täglich außer montags von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 16 Uhr geöffnet. Im Juli und August ist es täglich von 9 bis 17 Uhr zugänglich.

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