Siegfried-Premiere in der Staatsoper in Prag – Dirigent Kent Nagano im Gespräch
Die Dresdner Musikfestspiele präsentieren am 1. April in der Prager Staatsoper die Premiere einer konzertanten Aufführung von Richard Wagners Oper „Siegfried“. Martina Schneibergová hat über das bevorstehende Konzert mit Dirigent Kent Nagano gesprochen.
Herr Nagano, nach der „Walküre“ im vergangenen Jahr wird am kommenden Dienstag eine konzertante Aufführung von Wagners „Siegfried“ die Premiere erleben. Das Werk wurde im Rahmen eines mehrjährigen Projekts mit dem Namen „The Wagner Cycles“ einstudiert. Gespielt wird die Oper vom Dresdner Festspielorchester und dem Ensemble Concerto Köln. Das Besondere daran ist die historisch informierte Aufführungspraxis. Wie kam diese Idee zustande?
„Die Frage war, ob Tradition das ist, woran wir uns aus der Vergangenheit erinnern oder ob Tradition etwas mit der Vision des Komponisten zu tun hat.“
„Die Idee ist ganz am Anfang in der Zusammenarbeit mit dem Concerto Köln entstanden, mit dem ich fast 25 Jahre lang verbunden bin. Unsere Kooperation stützt sich auf die Tradition, Forschungen durchzuführen und die Ergebnisse bei historisch informierten Performances mit den entsprechenden Musikinstrumenten zu nutzen. Wir haben darüber diskutiert, dass es vielleicht interessant wäre, das Repertoire in den Wagner-Bereich zu erweitern. Damals wurde viel darüber diskutiert, was mit Tradition gemeint ist. Die Frage war, ob Tradition das ist, woran wir uns aus der Vergangenheit erinnern oder ob Tradition etwas mit der Vision des Komponisten zu tun hat. Aus der Diskussion ist das zehn Jahre dauernde Forschungsprojekt hervorgegangen. Dieses wurde zudem mit den Dresdner Musikfestspielen und dem Dresdner Festspielorchester kombiniert. Wir haben nach den Recherchen inzwischen schon fünf Bücher veröffentlicht. Und all das ist dieses Projekt ,The Wagner Cycles‘.“
Wo haben Sie Informationen darüber gefunden, wie sich Wagner vorstellte, dass seine Werke aufgeführt werden sollen?
„Das Ziel war, sich möglichst dem zu nähern, was Wagner selbst für ästhetisch ideal hielt.“
„Eine Quelle sind natürlich die Manuskripte. Aber viel mehr haben wir aus Materialien erfahren, die Wagner selbst geschrieben hat. Wichtig war zudem, was die Assistenten des Komponisten in ihren Partituren darüber notierten, was der Komponist während der Uraufführung in Bayreuth gesagt hat. Wir wissen, was Wagner selbst geschrieben hat, was er für ideal hielt – über die Stimmen sowie darüber, wie das Orchester spielen soll. Das alles sind schriftliche Quellen, die direkt mit dem Komponisten zusammenhängen. Zudem haben wir viel über Leute recherchiert, die unter Wagners Leitung gespielt haben. Unser Ziel war es jedoch nicht, zu sagen, wie man Wagner interpretieren soll. Das Ziel war, sich möglichst dem zu nähern, was Wagner selbst für ästhetisch ideal hielt.“
Soviel ich weiß, wurden für die Aufführungen sogar spezielle Musikinstrumente hergestellt. War es für die Musiker anspruchsvoll, sich daran zu gewöhnen?
„Das ist eine sehr gute Frage, darüber haben wir gestern Abend sehr lebendig diskutiert. Dieses Orchester, das auch in Prag spielen wird, besteht aus Mitgliedern des Dresdner Festspielorchesters und des Orchesters Concerto Köln. In beiden Ensembles sind viele Musikwissenschaftler, die hochbegabt sind und verschiedene Musikinstrumente spielen. Die jüngste Diskussion betraf die Kontrabasstuba, die in den ersten Takten des ersten Akts zu hören ist. Die berühmten Fafner-Motive sind mit der tiefen Kontrabasstuba verbunden. Es war ein sehr interessanter Klang, den uns der Tubist vorstellte. Ich habe so etwas zuvor nicht gehört, auch wenn ich ,Siegfried‘ bereits viermal dirigiert habe. Es war eine Transparenz, ein Pianissimo, ein unglaubliches Spektrum von Farben, ein expressiver Charakter. Ich habe den Musiker nach dem Instrument gefragt. Er hat gesagt, er habe viel recherchiert und entdeckt, dass so ein Musikinstrument zu Wagners Zeiten gespielt worden sei. Ich habe mir die Tuba näher angeschaut. Sie ist so konstruiert, dass sie sich sehr stark von einer modernen Kontrabasstuba unterscheidet. Der Musiker erklärte mir, wie schwer es ist, diese Tuba zu einem meisterhaften Klang zu bringen. Denn er muss ständig andere Fingersätze finden und das Instrument verstehen. Dieses Gespräch hat mir einen faszinierenden Blick auf die Blechblasinstrumente der damaligen Zeit geboten. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Zeit der industriellen Revolution, der technische Fortschritt war sehr schnell. Die Musikinstrumente, die wir für ,Siegfried‘ benutzen, sind deshalb nicht immer dieselben, die wir bereits beim ,Rheingold‘ verwendet haben.“
Wie waren in den vergangenen zwei Jahren die Reaktionen auf die beiden ersten Opernaufführungen, das „Rheingold“ und die „Walküre“? Dabei meine ich eher die musikinteressierte Öffentlichkeit als die Musikkritiker.
„Für uns war es eine unvergessliche Erfahrung, in diesem Theater zu spielen.“
„Die Reaktionen waren positiv. Positiv zu sagen, ist vielleicht allzu einfach. Laut dem Feedback, das wir bekommen haben, war das eine Entdeckung, eine wirklich neue Perspektive. Das sage ich ein wenig ironisch, denn es ist ja sozusagen die Originalperspektive. Ich würde sagen, dass das auch mit dem Opernhaus in Prag zusammenhängt. Für die Musiker war es eine sehr starke Erfahrung, dort zu spielen. Das Orchester, meine Kollegen und ich waren davon beeindruckt, nicht nur wie schön das Haus ist, sondern auch wie es dort klingt und wie nah wir dem Publikum sein können – fast wie bei einem Kammerkonzert. Für uns war es eine unvergessliche Erfahrung, in diesem Theater zu spielen.“
Hinzu kommt vielleicht die Tatsache, dass sich im Gebäude der heutigen Staatsoper ursprünglich das Neue Deutsche Theater befand. Und dort gab es eine lebendige Wagner-Tradition…
„Ich muss sagen, nicht nur Wagner. Das Theater hat auch sehr viel mit unserem weiteren heutigen Hauptrepertoire zu tun.“
Die Premiere der konzertanten Aufführung von Richard Wagners „Siegfried“ findet am Dienstag, den 1. April, in der Prager Staatsoper statt. Das Konzert beginnt um 18 Uhr. Es gibt noch Restkarten. Nach der Premiere in Prag wird Wagners „Siegfried“ unter der Leitung von Kent Nagano am 4. April in der Philharmonie in Paris, am 10. April in der Kölner Philharmonie, am 15. Juni bei den Dresdner Festspielen und am 12. September beim Festival Lucerne aufgeführt.