Skeptiker mit grünem Herz: Die Tschechen und die Klimadebatte
„Wenn wir die Tschechen vom Green Deal überzeugen, dann überzeugen wir auch alle anderen.“ Das sagte 2022 der damalige EU-Kommissar für Klimapolitik, Frans Timmermans. Sind die Tschechen wirklich die größten Klimaskeptiker der Europäischen Union? Warum spaltet der Green Deal die tschechische Bevölkerung? Und wie hat sich die dortige Diskussion über den Klimawandel in den letzten Jahren verändert? Diese Fragen stellen wir uns im ersten Teil unseres neuen Podcast „Sechsmal Tschechien“. Der Podcast entsteht in Kooperation mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.
„Sechsmal Tschechien“ – ein Podcast, sechs Folgen, sechs Themen
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Obwohl die Tschechen mitunter als die größten Klimaskeptiker in der Europäischen Union gelten, ist die Realität weitaus komplexer, findet der Umweltpsychologe Jan Krajhanzl. Er ist Gründer und Leiter des Instituts 2050. Die öffentliche Meinung habe sich in den letzten Jahren stark verändert, sagt er:
„In der Mehrheit hält die tschechische Öffentlichkeit den Klimawandel bereits heute für ein ernstes Problem. Verschiedenen Umfragen zufolge sind es etwa 70 bis 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Gleichzeitig wünschen sich rund 70 Prozent der Menschen in Tschechien, dass der Staat im Klimaschutz aktiv ist. Auch wenn diese Zahlen relativ hoch erscheinen, sind wir im europäischen Vergleich immer noch Schlusslicht. Wer also sagt, dass es in Europa nur wenige Nationen gibt, die so zurückhaltend sind wie die Tschechen, hat recht. So hat es ja auch Frans Timmermans einmal gesagt: Wenn wir die Tschechen von der Dekarbonisierung überzeugen können, können wir alle überzeugen. Aber selbst wenn wir in Europa hintenan sind, sind bereits 70 bis 75 Prozent der Menschen hierzulande der Meinung, dass wir grundlegende Schritte unternehmen und in einem viel größeren Umfang aktiv werden sollten als bisher.“
Die Sicht der Tschechen auf den Klimawandel enthält eine Reihe von inneren Widersprüchen – obwohl der Anteil der Menschen, die im Klimawandel ein ernstes Problem sehen, allmählich steigt, ergänzt die Analytikerin Romana Březovská aus dem Klimateam der Assoziation für internationale Fragen (AMO):
„86 Prozent der Menschen wissen, dass der Klimawandel große Auswirkungen auf die Welt hat, das können wir Umfragen entnehmen. Aber nur 40 Prozent von ihnen glauben, dass diese Auswirkungen in ihrem persönlichen Leben zu spüren sein werden. Dieser Widerspruch ist interessant. Vielleicht liegt es daran, dass die Tschechische Republik eine Art Welt für sich ist, von den Nachbarländern durch Gebirgsketten getrennt, die sich praktisch entlang der gesamten Grenze erstrecken. Es ist, als ob wir auf einer eigenen Insel leben.“
Mit anderen Worten: Die meisten Tschechen verstehen, dass der Klimawandel ein drängendes globales Problem ist, aber viele von ihnen glauben immer noch, dass er das Leben der Menschen in ihrem Land nicht gravierend beeinflussen wird...
„Ja, es ist so ein Gefühl der eigenen Großartigkeit und Unantastbarkeit, eine Art Stolz auf die Tatsache, dass wir Teil der Welt sind, aber alles von unserem eigenen Universum aus betrachten können. Das führt aber dann dazu, dass wir nicht bereit sind, zur Lösung des Problems beizutragen, weil wir denken, dass es uns nicht betreffen wird – und wenn doch, dann erst in weiter Zukunft“, so Březovská.
Umweltbewegung zur Zeit der Wende
Wie ist die tschechische Klimaschutzdebatte an diesen Punkt gekommen? Sehen wir uns zunächst einmal an, wie sich das Verhältnis der Tschechen zur Umwelt seit ungefähr 1989 verändert hat. Nach vierzig Jahren Staatssozialismus sei die Umwelt in der Tschechoslowakei stark belastet gewesen, erinnert sich Bedřich Moldan. Er war der erste Umweltminister der Tschechoslowakei nach der Samtenen Revolution.
„Man muss sagen: Es war wirklich sehr schlimm. Vor allem die Luftverschmutzung war katastrophal. Aber auch die Wasserverschmutzung zum Beispiel war sehr gravierend. Die große Mehrheit der überprüften Wasserläufe galt in höchstem Maß verschmutzt. Und natürlich haben die Menschen das mitbekommen. Am schlimmsten betroffen waren die Kohleregionen in Nordböhmen und Ostrau, aber eigentlich alle großen Ballungsgebiete. In Prag beispielsweise wurden einst unglaublich hohe Konzentrationen von Schwefeldioxid gemessen“, so Moldan.
Der schlechte Zustand der Umwelt sei eines der wichtigen Themen gewesen, die die Menschen auf die Straße brachten – und das schon vor dem 17. November 1989, wie Moldan betont.
„Etwa 14 Tage vor der großen Prager Demonstration im November 1989 fand auch in Teplice eine große Demonstration statt. Bei dieser skandierten die Menschen Parolen über saubere Luft und dass sie die enorme Belastung durch die Umweltverschmutzung nicht länger hinnehmen wollten. Der schlechte Zustand der Umwelt war zweifelsohne einer der wichtigsten Faktoren im Gesamtkomplex der Samtenen Revolution“, so der Experte.
Auch dank des großen öffentlichen Interesses blieb das Thema Umweltschutz in den ersten Jahren nach der Revolution eine der wichtigsten Prioritäten – also zu der Zeit, als Bedřich Moldan Umweltminister war:
„Diese starke Aktivität des Ministeriums in der Anfangszeit wurde von der Öffentlichkeit außerordentlich gut mitgetragen. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Situation, als ich als Minister eine Gesetzesvorlage ins Abgeordnetenhaus einbrachte. Das begrüßten die Abgeordneten, und sie beglückwünschten mich, dass wir ein weiteres grünes Gesetz bekommen würden. So etwas kann ich mir heute nicht mehr vorstellen. Damals hat sich dieser Enthusiasmus aber nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch in anderen Lebensbereichen niedergeschlagen. Die gesamte Gesellschaft, einschließlich der Industrie und der Unternehmen, hat sich daran beteiligt.“
In den 1990er Jahren führte dies zu einer deutlichen Verringerung der Luftverschmutzung durch die Industrie und zu einem sprunghaften Anstieg der Luftqualität. Auch im Hinblick auf die Gesetzgebung würden die frühen 1990er Jahre eine Schlüsselperiode darstellen, sagt Jan Krajhanzl:
„Zu Beginn der 1990er Jahre wurden grundlegende Gesetze erlassen, die bis heute den Umweltschutz in der Tschechischen Republik bestimmen. Aber mit dem allmählichen Rückzug der Dissidenten von der Macht und der Übernahme der Technokraten, mit Václav Klaus an der Spitze, kam es auch in der Umweltagenda zu einer Kehrtwende.“
Dieser Kurswechsel hat sich laut dem Umweltpsychologen ebenso in einer veränderten Haltung des Staates zu den Umweltbewegungen gezeigt.
„Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Fertigstellung des Kernkraftwerks Temelín wurden mehrere bekannte, etablierte Umweltverbände als extremistische Organisationen eingestuft und vom Geheimdienst überwacht. Der Staat hat also unter der Federführung von Václav Klaus sein Verhältnis zu Umweltinitiativen um 180 Grad gedreht“, erläutert Krajhanzl.
Es ist kein Zufall, dass der Name von Václav Klaus, der in den 1990er Jahren Ministerpräsident und von 2003 bis 2013 Präsident Tschechiens war, schon zweimal gefallen ist. Analysten zufolge hatten seine klimaskeptischen Ansichten großen Einfluss auf die Einstellung der tschechischen Öffentlichkeit zum Klimaschutz. Jan Krajhanzl:
„Im Laufe der Amtszeit von Václav Klaus als Staatspräsident hat die Wahrnehmung und das Bewusstsein, dass der Klimawandel ein ernstes Problem ist, allmählich abgenommen. Und umgekehrt hat sie wieder zugenommen, als er 2013 aus dem Amt schied. Ich sage nicht, dass es da einen kausalen Zusammenhang gibt, aber eine gewisse Korrelation besteht eindeutig. Mit dem Abgang von Václav Klaus aus der aktiven Politik wurden die Stimmen der Klimaskeptiker also schwächer. Heute sind es nur noch ein Prozent der Tschechen, die Klaus‘ Meinung weiterverbreiten – also, dass es niemals einen Klimawandel gegeben habe und niemals geben werde.“
Wann kommt der Kohleausstieg?
Es ist der 15. September 2023: Eine Gruppe junger Menschen von Fridays for Future hat sich vor dem Umweltministerium in Prag versammelt. Mitte September ist die Zeit, zu der sich viele Menschen auf der ganzen Welt am weltweiten Klimastreik beteiligen. Die tschechische Bewegung Fridays for Future hat sich entschieden, einen Protest in Form eines kleinen Theater-Happenings mit sehr konkreten Forderungen an den Umweltminister und die gesamte tschechische Regierung zu organisieren. Die Demonstranten wollen, dass die Regierung ihre eigene Verpflichtung einhält, bis 2033 aus der Kohle auszusteigen. Derzeit besteht nämlich die Gefahr, dass dieses Limit um zwei Jahre überschritten wird.
Nach Abschluss des Happenings hat Magdalena Středová, eine der Sprecherinnen von Fridays for Future, Zeit für ein Gespräch. War das Happening aus Ihrer Sicht erfolgreich? Es sind ja nur relativ wenige Menschen hergekommen, aber viele Medienvertreter…
„Ich sehe das Happening als Erfolg, denn es war unser erklärtes Ziel, das Thema in die Medien zu bekommen. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass der Abbau im Tagebau Bílina vor kurzem bis ins Jahr 2035 verlängert wurde. Das ist ein Verstoß gegen das Regierungsprogramm, in dem die Beendigung des Abbaus und der Verbrennung von Kohle bis 2033 vorgesehen war“, so Středová.
Warum ist gerade der Tagebau Bílina solch ein großes Problem? Man könnte doch sagen, zwei Jahre hin oder her...
„Wir haben schon in der Vergangenheit mit unterschiedlichen Klima-Aktionen und Streiks auf den Kohleabbau im Tagebau Bílina aufmerksam gemacht. Manch einer wird vielleicht sagen, dass zwei Jahre nichts ausmachen, aber die Klimakrise ist allgegenwärtig. Wir haben den heißesten Sommer aller Zeiten erlebt, Brände und Überschwemmungen, und diese Extreme werden wahrscheinlich noch zunehmen. Es gibt keinen Grund, die Bekämpfung der Klimakrise aufzuschieben. Sie sollte unsere Priorität sein. Das Kabinett hat in seiner Regierungserklärung das Jahr 2033 als Ausstiegsdatum für den Kohlebergbau versprochen, und wir sehen keinen Grund, davon abzuweichen. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, so schnell wie möglich aus der Kohle auszusteigen, erneuerbare Energien auszubauen und einen ausgewogenen Übergang einzuleiten“, ergänzt die Umweltaktivistin von Fridays for Future.
Junge Tschechen kämpfen fürs Klima
Das Happening von Fridays for Future zeigt, dass sich auch in Tschechien die junge Generation zu Wort meldet. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren hätten sich hierzulande eine Reihe neuer Klimabündnisse etabliert, erläutert Jan Krajhanzl:
„Es wächst eine neue Generation heran, die sich viel häufiger für Methoden der direkten Aktion und des zivilen Ungehorsams entscheidet. Inspiriert sind sie zum Beispiel von der deutschen Initiative Ende Gelände, die tschechische Aktivisten besucht haben. Diese Aktivisten lernen nach und nach, wie sie die fossile Infrastruktur der wichtigsten tschechischen Kohlebarone blockieren können. Regelmäßig finden Sommer-Klimacamps und andere Aktionen statt. Wie in Westeuropa sind auch in Tschechien die Bewegungen Fridays for Future, Extinction Rebellion und Last Generation entstanden. Man kann also sagen, dass die Entwicklung der Klimabewegung hierzulande bis zu einem gewissen Grad westlichen Trends folgt. Nur die Reaktionen sind hier etwas anders als in Großbritannien oder Deutschland.“
Warum aber findet die Klimabewegung in Tschechien keine so große gesellschaftliche Resonanz wie anderswo in Europa?
„Wir sind immer noch eher ein Volk von Landschaftsliebhabern und Bachlaufputzern. Dagegen werden öffentliche Aktionen wie Blockaden des Individualverkehrs von der tschechischen Öffentlichkeit eher negativ wahrgenommen. Selbst wenn sie mit Klimaschutz sympathisieren, sind selbst die größten Klimaschutz-Befürworter nicht mit diesen Klimaschützerinnen und Klimaschützern einverstanden. In diesen Fällen ist die Ablehnung sehr groß“, sagt Krajhanzl.
Seiner Ansicht nach gibt es in der tschechischen Klimaschutzdebatte eine Reihe von Besonderheiten. Eine davon ist ein gewisses Misstrauen gegenüber großen Visionen, das aus den historischen Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime herrührt. Deshalb ist die tschechische Öffentlichkeit auch misstrauisch gegenüber den großen Visionen von heute – wie dem Green Deal für Europa oder der deutschen Energiewende, die zudem die Abschaltung funktionierender Atomreaktoren mit einschloss. Dazu Bedřich Moldan:
„Als die Deutschen die Kernkraftwerke durch fossile Brennstoffe ersetzten, spotteten die Tschechen und sagten über sie: ‚Seht nur, und das Ergebnis der ganzen Energiewende ist, dass sie ihre Kohlendioxidemissionen erhöht haben oder sie nicht schnell genug reduzieren, weil sie unsinnigerweise die Atomkraftwerke abgeschaltet haben.‘”
Die Kernenergie sei übrigens ein Thema, bei dem Tschechen und Deutsche gespaltener Meinung seien, sagt Jan Krajhanzl:
„Tschechien steht in der europäischen Debatte um die Kernenergie fast am entgegengesetzten Ende der Skala wie Deutschland. Während Deutschland, auch dank der langen Tradition seiner Umweltbewegung, zu den stärksten Gegnern der Kernenergie gehört, zählt die Tschechische Republik zu den kerntechnologischen Optimisten, die kein Problem mit dieser Art der Energiegewinnung haben. Manche Menschen betrachten die Kernkraft sogar als Teil der tschechischen nationalen Identität. Man ist stolz darauf, wie viel Strom wir produzieren können, um ihn ins Ausland zu exportieren. Denn Tschechien ist immer noch ein Nettoexporteur von Strom.”
Die tschechische Diskussion über die Energiewende zeige, so Krajhanzl und Moldan, wie kurzsichtig die Tschechen manchmal bei der Beurteilung von derart komplexen Strategien seien. Ein ähnlicher Ansatz ist ihrer Meinung nach auch beim Green Deal zu beobachten, der oft auf das Verbot von Verbrennungsmotoren reduziert werde.
In der nächsten Folge unseres neuen Podcasts, die in zwei Wochen kommt, wird es um die Beziehung Tschechiens zu Russland gehen.
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Sechsmal Tschechien
Klima und Umwelt, Europa, Rechte von nationalen und sexuellen Minderheiten, Migration und Beziehungen zu Russland.