Umweltaktivist Arne Springorum von der Letzten Generation: „Ich wollte mich auf der Prager Magistrale festkleben“

Arne Springorum

Er war eigentlich Unternehmer und hat unter anderem den Autohersteller Škoda in Umweltfragen beraten. Dann wurde Arne Springorum, der ursprünglich aus Deutschland stammt und heute in Prag lebt, zum Vollzeit-Klimaaktivisten. Nachdem er hierzulande Extinction Rebellion mitgründete, hat er nun auch die Letzte Generation nach Tschechien gebracht, die sich hier „Poslední generace“ nennt. Das derzeitige Hauptziel von Springorum und seinen Mitstreitern: Die Höchstgeschwindigkeit in den Straßen von Prag soll auf 30 Stundenkilometer begrenzt werden. Aber warum das Ganze? Ist dieses Ziel realistisch? Und weshalb kleben sich die Aktivisten hierzulande nicht auf den Straßen fest wie in Deutschland? Diese und weitere Fragen hat Radio Prag International Arne Springorum gestellt.

Herr Springorum, wie sind Sie hier in Prag gelandet?

„Ich habe mich in eine Tschechin verliebt. Wir kennen uns seit fast 30 Jahren, und seit 15 Jahren wohne ich in Prag.“

Wie ist es gekommen, dass Sie sich in der Umweltbewegung engagieren und hierzulande Proteste auf die Beine stellen?

Foto: Martina Kutková,  Radio Prague International

„Als 17-Jähriger habe ich das erste Mal in der Schule einen Vortrag über den sogenannten ‚Treibhauseffekt‘ gemacht. Damals sprach man noch nicht von ‚Klimawandel‘ und ‚global warming‘. Später habe ich studiert und bin Geologe geworden. Ich wollte aber nicht in die Erdölindustrie gehen so wie mein Vater, der Erdölgeologe war. Stattdessen bin ich Hydrogeologe geworden. So habe ich mich etwa mit der Reinigung von Ölverschmutzungen im Grundwasser beschäftigt. In diesem Bereich habe ich zehn Jahre lang gearbeitet.“

An welchem Punkt sind Sie zum Aktivisten geworden?

„Ich wurde 50 Mal verhaftet.“

„Wie alle anderen hatte ich den Kopf tief im Sand stecken. Ich dachte, ich könnte als Einzelperson nichts gegen den Klimawandel ausrichten, da das Problem viel zu groß sei. Der Kopf ist mir von Extinction Rebellion herausgezogen worden, die 2018 in England gegründet wurden. Ich dachte mir, dass ich doch etwas unternehmen könnte. Von da an führte ein Schritt zum nächsten. Im Frühjahr 2019 habe ich mich monatelang innerlich darauf vorbereitet, das erste Mal zivilen Ungehorsam zu leisten und verhaftet zu werden. Gemeinsam mit zwei anderen Menschen habe ich mich an ein Baugerüst vor dem Regierungsgebäude gekettet und wurde zum ersten Mal in Haft genommen. Nach ganzen 20 Minuten wurden wir wieder freigelassen. Also dachte ich mir, dass diese Aktionen ja nicht so schlimm sind. Seitdem bin ich in drei verschiedenen Ländern insgesamt ungefähr 50 Mal von der Polizei verhaftet worden. Mittlerweile ist das kein Ding mehr für mich.“

Extinction Rebellion haben Sie in Tschechien mitgegründet, oder?

„Ja, genau. Ich habe außerdem eine Klimaklage gegen die Tschechische Republik initiiert. Beim ersten Treffen von Extinction Rebellion kamen etwa 25 Leute aus unterschiedlichen Klimaorganisationen zusammen. Beim zweiten waren wir dann noch zu fünft, und in dieser Gruppe haben wir Extinction Rebellion hierzulande gegründet. Mittlerweile bin ich dort aber nicht mehr aktiv, sondern bei der Letzten Generation in Tschechien, der ‚Poslední generace‘.“

Diese Bewegung aus Deutschland haben Sie sozusagen nach Tschechien gebracht.

„Ja, richtig.“

Wie ist es für Sie, sich als Deutscher in Tschechien für die Umweltbewegung zu engagieren? Wie werden Sie wahrgenommen? Gibt es nicht auch kritische Stimmen?

„Die gibt es schon. Ich engagiere mich hier allerdings als Tscheche. Denn seit 2018 habe ich die tschechische Staatsbürgerschaft. Für mich macht das durchaus einen Unterschied. Gerade im historischen Kontext wäre das wohl schwieriger, wenn ich hier nur als Deutscher wäre. Aber ich bin eben auch Tscheche, ich wähle hier und zahle meine Steuern – also kann ich mich doch auch dafür einsetzen, dass wir Tschechen eine Zukunft haben!“

Die Letzte Generation setzt sich in Prag aktuell dafür ein, dass die maximale Höchstgeschwindigkeit auf den Straßen auf 30 Stundenkilometer beschränkt wird. Warum?

Einer der Proteste,  der für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in Prag kämpft | Foto: Anna Fodor,  Radio Prague International

„Weil es notwendig ist. Jedes Jahr sterben durch Autos Menschen, und Familien werden zerstört, was völlig überflüssig ist. In vielen westlichen Städten ist ein solches Tempolimit schon gang und gäbe. Die Menschen, die in der Stadt wohnen – und damit meine ich nicht die Fahrer in ihren metallenen Schutzhüllen –, sollen nicht Gefahr laufen müssen, überfahren zu werden. Hinzu kommt, dass eine Reduzierung der Geschwindigkeit Emissionen einspart. Darüber wird in Tschechien gerade unheimlich viel diskutiert. Manche meinen, bei Tempo 30 hätte ein Motor höhere Laufzahlen, weshalb keine Einsparungen möglich seien. Als Klimaaktivist sage ich dazu: Das stimmt. Aber nur bei Laborbedingungen. Da draußen auf der Straße haben wir jedoch keine Laborbedingungen. Bei jeder Ampel bremsen wir etwa ab. Außerdem spart es natürlich Sprit und damit Emissionen, wenn wir nur auf 30 statt auf 50 beschleunigen. Hinzu kommt, dass in Prag sowieso niemand 50 fährt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt wegen der Staus bereits viel niedriger. Wenn nun die Flüssigkeit des Verkehrs erhöht werden soll, müssen wir die Geschwindigkeit heruntersetzen. Das kann Ihnen jeder Verkehrsexperte bestätigen. Die Politiker drucksen jedoch seit Monaten nur herum. Sie wollen keine Wählerstimmen verlieren. Aber in der Gesellschaft wird kontrovers zu einem Tempolimit in Prag diskutiert – und genau das wollten wir erreichen. Tempo 30 wird kommen, davon bin ich überzeugt.“

Glauben Sie das wirklich?

„Tempo 30 wird kommen, davon bin ich überzeugt.“

„Natürlich. Die Politiker haben alle gesagt, dass sie das Tempolimit unterstützen, jedoch haben sie noch einzelne Einwände. Sie bringen etwa vor, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht flächendeckend eingeführt werden soll. Und natürlich: Es wird ein paar Ausnahmen geben, und das ist auch in Ordnung. Meinetwegen kann im Tunnel Blanka ja 50 gefahren werden. Dort sind keine Menschen, es kann dort niemand überfahren werden, und es spielen dort keine Kinder. Aber auf der Magistrale? Auf einer Brücke in der Höhe, wo eine Lärmbelästigung entsteht? Auf der Hauptader zwischen Busbahnhof und Hauptbahnhof? Dort muss Tempo 30 sein! Da kommt eine Fußgängerzone hin. Und das wird sehr schön! Die Menschen werden begeistert sein, wie sehr sie ihre Stadt verbessert haben.“

Wann wird das Ihrer Meinung nach soweit sein?

Arne Springorum | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„So früh wie möglich. Ich begrüße sehr, dass unsere Initiative ‚30 pro Prahu‘, oder auf Deutsch ‚30 für Prag‘, mittlerweile von zehn anderen Organisationen übernommen wurde. Das ist richtig so. Wir sind die, die kontroverse Sachen machen. Jetzt ist der richtige Moment für uns, ein bisschen zur Seite zu treten. So ist etwa eine Petition entstanden, die online unterzeichnet werden kann und auch in Läden ausliegt. Sie wird bald im Magistrat diskutiert werden.“

Sie haben gesagt, Sie machen kontroverse Sachen. Das heißt im Klartext, dass Sie Protestumzüge auf den Prager Straßen organisieren und damit den Verkehr bremsen und zum Erliegen bringen…

„Das ist nicht irgendeine Demo, das ist Tempo 30 für Prag!“

„Unsere Aktionen in Tschechien werden zwar durchaus kontrovers diskutiert, es sind aber völlig legal angemeldete Demonstrationen. Mich stört dabei, dass die Polizei und die Verantwortlichen beim Magistrat die Proteste auf eine Spur beschränkt haben. Das ist verantwortungslos, denn die Autofahrer interpretieren unsere Protestmärsche als persönlichen Angriff auf sie. Es herrscht also ein ganz anderes Risiko. Das ist nicht irgendeine Demo, das ist 30 für Prag! Die Leute reagieren aggressiv, wir sind schon mit Flüssigkeiten besprüht worden, und Autos sind in uns hineingefahren.“

Wie gehen Sie mit dieser Aggression der Autofahrer um?

„Wir haben einen Konsens. Wenn jemand angeschrien wird, winken wir freundlich zurück. Von uns geht keine Gewalt aus. Die meisten von uns sitzen ja manchmal selbst hinter dem Steuer. Ich habe auch einen Führerschein und fahre ab und an mit dem Auto. Das ist überhaupt nicht schlimm. Das Problem ist, dass das Maß voll ist. In Prag gibt es doppelt so viele PKW wie zum Beispiel in Berlin oder Wien. Das relativ kleine Zentrum ist mit Autos nur so vollgestopft. Das gefällt, glaube ich, niemandem. Wir haben dabei geholfen, dass die Menschen sich dessen bewusst werden.“

Ihre Demonstrationen in Prag blockieren nur eine einzige Spur. In Deutschland hingegen kleben sich die Menschen auf der Fahrbahn fest. Ich habe das Gefühl, dass dort nicht nur das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung größer ist, sondern auch die Intensität des Protests. Würden Sie das unterschreiben? Und stört Sie das manchmal?

Dichter Straßenverkehr in Prag | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk

„Ja, das stört mich durchaus. Ich hätte mich gern im Frühjahr auf der Magistrale festgeklebt. Meine Kollegen in der Letzten Generation haben mich jedoch regelmäßig zurückgepfiffen. Und das war auch richtig so. Denn wir haben schon so genug Diskussionen ausgelöst.“

Heißt das, dass sich das Level des Protests der Letzten Generation in Tschechien nicht weiter erhöhen wird?

„Aber natürlich – sowohl in Tschechien als auch in Deutschland. Wir werden das solange machen, bis die Regierung reagiert. Das tut sie in Tschechien derzeit noch nicht, weil wir zu wenig stören. In Deutschland oder England wird dieser Kampf viel intensiver geführt. Die Emotionen liegen dort blank. Daran führt für mich aber auch kein Weg vorbei. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir uns emotional mit der Klimakatastrophe beschäftigen. Denn rational wissen wir schon Bescheid. Wir haben alle die Artikel gelesen, lassen die Fakten aber nicht an uns heran, weil das wehtut. Und das wollen Organisationen wie die Letzte Generation ändern, indem sie unignorierbar die Gesellschaft stören.“

Einer der Proteste,  die für die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in Prag kämpfen | Foto: Anna Fodor,  Radio Prague International

Zu Beginn haben Sie gesagt, dass Sie bereits 50 Mal verhaftet worden seien. Haben Sie keine Angst vor der Polizei? Wie gehen Sie mit dem Gedanken um, als Familienvater im Gefängnis zu sitzen?

„Ich war schon zweimal im Gefängnis. Jeweils für eine Woche, in England. Demnächst gehe ich in Bayern für 30 Tage hinter Gitter. Wir werden 100 Leute sein und dort gemeinsam Straßen blockieren. Bei unserer Verhaftung werden wir angeben, am nächsten Tag wieder protestieren zu wollen. Dann wird ein Gesetz angewendet, durch das wir für bis zu 60 Tage in Polizeigewahrsam kommen. Diese Aktion ist europaweit einzigartig.“

So etwas wäre in Tschechien wohl undenkbar…

„Die Protestmärsche waren nur ein Testlauf.“

„Wir haben so etwas Ähnliches in Tschechien im Frühling letzten Jahres gemacht. Innerhalb von zwei Wochen gab es 78 Zeitungsartikel, was super war. Allerdings waren wir sehr schnell völlig erschöpft und mussten aufhören. Wir haben daraus gelernt, dass wir bei einer nächsten Straßenblockade in Prag – und ich denke, dazu wird es kommen – besser mit unseren Kräften haushalten müssen, sodass wir wochenlang durchhalten. Unsere Protestmärsche, die jetzt im Frühling einmal pro Woche stattfanden, waren für uns gewissermaßen ein Testlauf. Es gab ein großes Medienecho, und das hat Druck auf die Politik aufgebaut. Genau das ist unsere Strategie. Nicht weil es Spaß macht, sondern weil es notwendig ist.“

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