Slavias Ngadeu lebt seinen Traum: Von der Bezirksliga zum Afrikameister

Michael Ngadeu Ngadjui (Foto: Archiv Slavia Prag)

In der ersten tschechischen Fußball-Liga hat sich der Traditionsverein Slavia Prag seit Ende Februar an die Tabellenspitze gesetzt. Mit Simon Deli und Michael Ngadeu Ngadjui gehören auch zwei Afrikaner zu den Leistungsträgern des Tabellenführers. Verteidiger Ngadeu hat noch dazu erst vor einem Monat mit Kamerun den Afrika-Cup gewonnen. Und überhaupt: Der 26-Jährige hat in den zurückliegenden Jahren einen kometenhaften Aufstieg genommen. Radio Prag hat sich darüber mit dem Deutsch sprechenden Kameruner unterhalten.

Michael Ngadeu Ngadjui  (Foto: Archiv Slavia Prag)
Michael, Sie spielen jetzt die sechste Saison in Europa, aber erst die dritte Saison in einem Erstligaverein. Seit dem letzten Sommer spielen Sie für Slavia Prag, und seit dem 18. Spieltag sind Sie Tabellenführer hier in Tschechien. Wie fühlt sich das an, Spitzenreiter einer ersten Liga zu sein?

„Das ist wunderbar! Ich habe so etwas noch nie erlebt. Man spürt die tolle Atmosphäre schon in der Kabine, im Umgang mit dem Trainer. Alles ist sehr seriös, und wir sind voll konzentriert, weil wir die Punktspiele auch an der Spitze beenden wollen. Unser Ziel ist es, Meister zu werden.“

Aber jetzt sind Sie erst einmal Spitzenreiter. Erfüllt sich damit auch ein Traum, den Sie in Afrika geträumt haben?

„Mein Traum war es immer, Fußball zu spielen. Dahinter verbirgt sich natürlich auch der Gedanke, dass man viele Titel gewinnen will. Ich bin mit Kamerun bereits Afrikameister geworden, und wenn es jetzt noch gelingt, mit Slavia Prag tschechischer Meister zu werden, wäre dies für mich ein wahrhaft wunderschönes Fußballjahr.“

Um Ihren Traum zu leben, auf einem hohen Level Fußball zu spielen, haben Sie 2010 Ihr Land verlassen. Ist es tatsächlich so, dass man sich als Afrikaner nur in Europa wirklich weiterentwickeln kann?

„Ich habe Kamerun ursprünglich nicht verlassen, um Fußball zu spielen, sondern weil ich studieren wollte. Als ich dann in Deutschland war, habe ich hier die Chance ergriffen, um Fußball zu spielen. Gott sei Dank hat es geklappt. Ansonsten ist es ja so, dass die Talentspäher vieler Clubs in Afrika ständig Ausschau halten, um hoffnungsvolle Spieler mit guten Angeboten nach Europa zu locken. Bei mir war es anders. Doch ich sage mir immer: Wenn man an sich glaubt und hart trainiert, dann kann man auch viel erreichen.“

Was genau und wo haben Sie studiert?

„Ich habe Kamerun ursprünglich nicht verlassen, um Fußball zu spielen, sondern weil ich studieren wollte. Als ich dann in Deutschland war, habe ich hier die Chance ergriffen, um Fußball zu spielen. Gott sei Dank hat es geklappt.“

„Ursprünglich wollte ich Wirtschaftsinformatik studieren. Ich habe dann aber in Mannheim ein Jahr Informationstechnik studiert, bevor ich nach Nürnberg umgezogen bin.“

Sie haben dann auch Fußball gespielt in Deutschland, und zwar in den zweiten Mannschaften des SV Sandhausen und des 1. FC Nürnberg? Wie ist es dazu gekommen?

„Als ich 2010 nach Dortmund gekommen bin, habe ich dort in einer Mannschaft der Bezirksliga (Kirchörder SC, Anm. d. Red.) gespielt. Dort war ich sechs Monate und mein Trainer wollte mich auch gerne behalten. Ich wollte aber nicht bleiben, und so hat er mir zu einem Probetraining bei Borussia Dortmunds zweiter Mannschaft verholfen. Ich war auch in Karlsruhe zum Probetraining, habe mich dann aber für Sandhausen entschieden und dort ein Jahr gespielt. Die erste Mannschaft des SVS ist dann in die Zweite Bundesliga aufgestiegen. Dafür wollte man mir aber keinen Profivertrag geben, obwohl ich sehr gut gespielt habe. Man hat mir gesagt, der Sprung zwischen Verbandsliga und Zweiter Liga sei zu hoch, man könne dieses Risiko nicht eingehen. Daraufhin bin ich nach Nürnberg gewechselt und habe dort zwei Jahre gespielt. Aber auch in Nürnberg hat man mir keine Chance gegeben. Daraufhin habe ich dann die Möglichkeit genutzt, nach Rumänien zu wechseln.“

Michael Ngadeu Ngadjui in Botoșani  (Foto: Knjh2000,  CC BY-SA 4.0)
Warum wechselten Sie nach Rumänien? Hatten Sie ein Angebot, oder war die Zeit reif dafür?

„Ich glaube, die Zeit war einfach reif dafür. Es gab kein gutes Angebot, ich habe jedoch einen super Typ in Deutschland kennenglernt, er heißt Raimund Meier (Maier). Er hat mich in Rumänien für ein Probetraining empfohlen. Ich habe gleich zugesagt. Ich hatte zwar auch Angebote in Deutschland, aber es waren nur welche aus den Regionalligen und aus der dritten Liga. Ich wollte aber mehr. Da bin ich das Risiko eingegangen und habe in Botoșani ein Probetraining absolviert. Nach einer Woche hat man dort entschieden, dass man mich haben will.“

In Rumänien haben Sie das erste Mal in einer ersten Liga gespielt, unter anderem gegen solche Traditionsvereine wie Steaua und Dinamo Bukarest. Konnten Sie sich damit auch für höhere Aufgaben empfehlen? Oder hatten Sie vor dem Wechsel zu Slavia auch noch andere Angebote?

„Vor dem Wechsel nach Slavia hatte ich bereits ein Angebot von Steaua. Die Bukarester wollten mich schon in der Winterpause haben, aber Botoșani wollte mich noch nicht abgeben. Im Frühjahr lagen dann die Angebote von Slavia und Steaua vor.“

Und was gab den Ausschlag für die Prager? Wollte Botoșani Sie nicht an einen Ligakontrahenten abgeben, oder hat Slavia einfach ein besseres Angebot gemacht?

„Ich bin überragend zufrieden bei Slavia! Ich spiele in der ersten Liga, wir sind Erster, haben eine tolle Mannschaft und tolle Trainer. Und die Fans sind überwältigend - es ist Wahnsinn, was ich hier erlebe.“

„Ich glaube, Slavia hat einfach das bessere Angebot gemacht. Steaua hat zudem zu lange gezögert und Zeit verloren. Slavia hat indes ein konkretes Angebot gemacht, Botoșani war einverstanden und der Wechsel kam zustande. So bin ich heute hier in Prag.“

Wie zufrieden sind Sie bei Slavia, jetzt nach einem halben Jahr Spielpraxis?

„Ja was soll ich sagen? Ich bin überragend zufrieden hier! Ich spiele in der ersten Liga, wir sind Erster, haben eine tolle Mannschaft und tolle Trainer. Und die Fans sind überwältigend - es ist Wahnsinn, was ich hier erlebe.“

Foto: ČTK
Wie schätzen sie das ein: Ist die tschechischen Liga das bisher höchste Level, das Sie bisher gespielt haben? Und klopfen Sie mit Slavia Prag nun auch an die Tür zur Champions League oder Europa League an?

„Ja, warum nicht? Mit dieser Mannschaft können wir durchaus das Ziel erreichen, Europa League oder Champions League zu spielen. Wir müssen dazu nur noch etwas reifer werden. Mit den Erfahrungen, die wir sammeln, können wir es schaffen. Doch ich bin mir sicher, dass wir uns am Ende der Saison zumindest für die Vorrunde der Europa League qualifiziert haben werden.“

Ist es sehr wichtig, in Europa zu spielen, damit auch der Nationaltrainer Kameruns auf einen aufmerksam wird? Wie hat er Sie eigentlich entdeckt?

Foto: Taken,  Pixabay / CC0 Public Domain
„Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie der Nationaltrainer auf mich aufmerksam geworden ist. Ich weiß nur, wie alles begann. Ich saß einmal mit einem Kumpel im Hotel, dann klingelt mein Handy, und wer ist dran – der Trainer der Nationalmannschaft! Er sagte mir, er hätte von mir gehört, dann Videos von mir gesehen, und jetzt wolle er nach Prag kommen, um mich im Spiel zu beobachten. Dann hat er mich gefragt, ob ich nicht in der Nationalmannschaft spielen will. Natürlich wollte ich, denn wer will denn nicht in der Nationalmannschaft seines Landes spielen! Ich habe also zugesagt. Daraufhin hat er mir die Chance gegeben, gegen Gabun und gegen Gambia zu spielen. Die Partie gegen Gabun war ein Freundschaftsspiel, die Begegnung mit Gambia ein Qualifikationsspiel für den Afrika Cup. Wir waren indes schon qualifiziert. Der Trainer hat somit neuen Spielern eine Chance gegeben, und ich habe sie genutzt. Heute bin ich froh und glücklich, in dieser Mannschaft spielen zu können.“

Kamerun ist zum fünften Mal Afrikameister  (Foto: Ben Sutherland,  CC BY 2.0)
Ist das nicht eine märchenhafte Entwicklung für Sie? Das muss doch ein freudiger „Schock“ nach dem anderen für Sie gewesen sein: Zunächst der Anruf des Nationaltrainers, dann sind Sie in Kameruns Nationalmannschaft für den Afrika Cup nominiert wurden, und dann haben Sie dieses Turnier auch noch gewonnen. Ist das nicht alles wie ein großer Traum für Sie?

„Auf jeden Fall. Ja, manchmal glaube immer noch, ich träume, und kann es gar nicht glauben, dass wir das wirklich geschafft haben. Vor dem Afrika Cup hat schließlich niemand so recht an uns geglaubt. Selbst im eigenen Land hat keiner nur annähernd gedacht, dass wir zumindest das Halbfinale erreichen können. Von daher hatten wir das Ziel, es allen zu zeigen. Wir wollten, dass sich unsere Namen in die Geschichte des Kameruner Fußballs eintragen. Nach dem ersten Spiel haben wir dann schon gesehen, dass wir als Mannschaft gut zusammenspielen. Und die Solidarität in der Mannschaft hat uns schlussendlich den Erfolg gebracht.“

Was bedeutet Ihnen dieser Titel, Afrikameister zu sein?

„Das ist etwas, was ich kaum in Worte fassen kann. Man muss das nur erleben. Es gibt Spieler, die während ihrer ganzen Karriere nicht einen Titel gewinnen. Ich aber bestreite meinen ersten Afrika Cup und werde sogleich kontinentaler Meister! Das kann man nicht beschreiben.“

„Manchmal glaube immer noch, ich träume, und kann es gar nicht glauben, dass wir das wirklich geschafft haben. Vor dem Afrika Cup hat schließlich niemand so recht an uns geglaubt.“

Sind Sie in Kamerun nun auch ein Star oder ein Held?

„Die 23 Spieler, die in Gabun den Afrika Cup gewonnen haben, werden jetzt in Kamerun wie Engel gesehen. Wir werden wie Stars behandelt. Überall, wo wir hinkommen, erhalten wir Gratulationen, die Leute sind einfach stolz auf uns. Ich muss aber nochmals sagen: Vor dem Turnier waren viele sehr skeptisch, wir wurden sogar beschimpft und beleidigt. Uns wurde gesagt, dass wir nichts können und dass wir schon nach der ersten Runde wieder nach Hause fahren. Aber wir wollten diesen Leuten zeigen, dass wir besser sind als unser Ruf.“

Wo sehen Sie die Gründe für den Erfolg?

„Der Hauptgrund war, dass wir einfach ein gutes Team waren. Wir hatten keinen wirklichen Star in der Mannschaft, aber wir hatten gute Spieler, eine gute Mentalität, den Siegeswillen und die Solidarität untereinander. Es war wirklich das erste Mal, dass ich so etwas in einer Mannschaft erlebt habe. Wir waren wie eine Familie. Auch diejenigen, die auf der Bank Platz nehmen mussten, waren immer ein wichtiger Teil der Mannschaft. Der Zusammenhalt war unsere Stärke.“

Bei Slavia haben Sie Vertrag bis 2019. Was wollen Sie mit dem Verein bis dahin alles erreichen?

„Das erste Ziel ist es, dieses Jahr Meister zu werden. Zunächst wollen wir dieses Ziel erreichen, und dann schauen wir weiter.“

Autor: Lothar Martin
schlüsselwort:
abspielen