Slezská Ostrava - von einer selbständigen Gemeinde zur größten Bergbaustadt der jungen Tschechoslowakei
Die drittgrößte Stadt Tschechiens und Verwaltungshauptstadt der Mährisch-Schlesischen Region Ostrava/Ostrau ist seit jeher als Zentrum der heimischen Montanindustrie bekannt. Ausschlaggebend dafür war die Entdeckung der Kohlevorkommen im 18. Jahrhundert. Auf dem Gebiet des heutigen Ostrava befanden sich damals mehrere Dutzend Orte und eigenständige Gemeinden. Bis sie zu einer Großstadt zusammenwuchsen, sollte es noch lange dauern. Die erste Kohlegrube wurde in Slezská Ostrava / Schlesisch Ostrau erschlossen.
„Auf dem Gebiet von Polnisch Ostrau wurde in den 1760er Jahren Kohle entdeckt. Die österreichische Monarchie sah sich allerdings in den darauffolgendenen 20 bis 30 Jahren dadurch nicht veranlasst, in einem größeren Umfang Kohle zu fördern. Das änderte sich erst nach 1780, als ein Kohlelager am gegenüberliegenden Ufer der Oder in der preussischen Gemeinde Petřkovice / Petershofen erschlossen wurde. Im Unterschied zu Österreich baute Preußen sofort eine Grube aus, die heute unter dem Namen Anselm bekannt ist. Erst dann übte Österreich Druck auf Johann Wilczek aus, seine bisher sehr begrenzte Kohleförderung zu erweitern. Allerdings noch nicht in der Form, wie man sie heute kennt. Die Kohle wurde überwiegend im Winter gewonnen.“
Der Grund dafür lag auf der Hand. Die Bewohner aus der Umgebung arbeiteten in den Sommermonaten in der Regel auf den umliegenden Feldern. In den Wintermonaten hatte man mehr Zeit für die Kohleförderung, die in der Anfangszeit noch nicht in tiefen Gruben durchgeführt wurde. Historiker Majliš zufolge gab es noch einen anderen Faktor, der die Förderung hemmte. Die Angst vor der Kohleheizung sei damals weit verbreitet gewesen. Allgemein üblich waren zu dieser Zeit nämlich Holzöfen. Die Menschen befürchteten, dass sich die Verbrennung von Kohle schädlich auf die Gesundheit auswirken könnte. Diese Angst verflog jedoch bald. Auf dem Gebiet des heutigen Ostrava, das nach wie vor ein Konglomerat von selbständigen mährischen und schlesischen Gemeinden war, wurde bald eine Kohlegrube nach der anderen eröffnet. In den 1820er Jahren traf der österreichische Geologe, Eisenbahn- und Hüttenfachmann, Franz Xaver Riepl, in der Region ein. Im Auftrag des Olmützer Erzbischofs Rudolf von Habsburg sollte er im nahe gelegenen Berglandgebiet der Beskiden (Beskydy) kleinere Eisenhüttenwerke modernisieren, die sich im Besitz der Kirche befanden. Riepls Präsenz erwies sich bald als sehr wichtig für die ganze Region. Tomáš Majliš:„Außer Kohle entdeckte er vor Ort auch eine andere wichtige Energiequelle - das Wasser im Fluss Ostravice. Riepl entschied sich, in der Nähe des Flusses einen Puddelofen zu bauen. Dort sollte das im Hochofen hergestellte Roheisen in Schmiedeeisen umgewandelt werden. Dieser Puddelofen war der allererste in der Habsburger Monarchie. Die Gründungsurkunde von 1828 signierte der Olmützer Erzbischof.“
Mit hohem Einsatz engagierte sich Riepl auch für die Idee, eine Eisenbahnlinie von Wien in die mährisch-schlesischen Kohlenminen zu bauen. Erfahrungen im Eisenbahnbau hatte er in England gesammelt. 1837 begann der Bau der sogenannten Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, die zehn Jahre später bis in das polnische Bochnia/Salzberg bei Krakau reichte. Es war die erste Dampfeisenbahn in Österreich-Ungarn. Für die weitere Entwicklung von Mährisch-Schlesien war sie von substantieller Bedeutung. Der Historiker Majliš:„Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Polnisch Ostrau eine neue Kohlenmine eröffnet und nach ihrem Begründer und Besitzer Johann Maria Wilczek benannt. Die sprunghaft gestiegene Nachfrage für Kohle zwang ihn, die Kohleförderung wesentlich zu erweitern. Der im nahe gelegenen Dorf Vítkovice/Vitkowitz entstandene Puddelofen brauchte viel Kohle für die Eisenproduktion. Außerdem konnte die Kohle nun mit der Eisenbahn zu Abnehmern in ganz Europa transportiert werden.“
Mit der schnell voranschreitenden Industrialisierung kamen immer mehr Arbeitnehmer in die Gegend und der Bedarf an Unterkünften stieg. In der Nähe der Grubenfelder entstanden Bergarbeitersiedlungen. Ihre Untermieter führten in gewissem Sinn ein autarkes Leben und versorgten sich selbst. Die kleinen Häuser verfügten in der Regel über Gärten, in denen sie Kartoffeln oder Gemüse anbauten. Zum Teil hielten sie dort auch Hühner und Schweine, doch die Gruben- und Grundstücksbesitzer versuchten dies zu unterbinden und reagierten mit einem Verbot. Majliš:„Die Bergarbeiter kamen überwiegend aus Agrarregionen, insbesondere aus Galizien. Die meisten von ihnen waren ursprünglich Landwirte und wollten ihren Lebensstil nicht schlagartig ändern. Für die ersten Bergbauunternehmer, die eine Wohnsiedlung für ihre Arbeitnehmer gebaut hatten, war die Tierzucht ein Stein des Anstoßes. Sie orientierten sich in der Folge an den hochentwickelten Industrieregionen Europas wie England, Sachsen oder dem Ruhrgebiet, wo es nicht geläufig war, neben einem Bergarbeiterhaus auch eine kleine Landwirtschaft zu betreiben. Viele Zuwanderer, die erst vor Ort erfuhren, dass Tierzucht verboten war, suchten einen Ausweg. Sie begannen, die Nutztiere direkt bei sich im Haus zu halten. Um dies wiederum zu vermeiden, bauten die Grubenbesitzer ungefähr ab den 1860er Jahren auch kleinere Gebäude für die Tierhaltung neben die Wohnhäuser.“
Nicht selten entstanden auf dem Gelände der werkseigenen Wohnsiedlungen auch Gemeinschaftsgebäude. Dort konnten sich die Grubenarbeiter Mähdrescher zur Ernte ihrer kleinen Felder ausleihen. Mancherorts gab es auch Backöfen.Zu den ältesten Bergarbeiternkolonien in Polnisch Ostrau wie auch im gesamten Gebiet von Ostrava zählt die einstige Wohnsiedlung Hranečník. Dort erblickten auch einige bekannte Persönlichkeiten das Licht der Welt. Zum Beispiel der Großvater des späteren tschechoslowakischen und Tschechischen Präsidenten Václav Havel, Hugo Vavrečka:
„Er wurde in den 1880er Jahren in einem der Bergarbeiterhäuser von Hranečník geboren. Hugo Vavrečka hat es beruflich weit gebracht. Er war Diplomat, Direktor in den Baťa-Schuhwerken und insgesamt eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit. Im gleichen Haus wie Vavrečkas lebte der gleichaltrige Josef Kotas, der spätere Oberbürgermeister von Mährisch Ostrau. Ihre Wege trennten sich, als Kotas in die Lehre ging und auch einige Jahre in einer Mine arbeitete. Vavrečka verließ wegen des Studiums Hranečník für immer.“
Allein die kontinuierlich steigende Einwohnerzahl in der Hranečník-Kolonie dokumentiert das Wirtschaftswachstum in der mährisch-schlesischen Region. 1843 lebten dort knapp eintausend Menschen. 1869 waren es über 4.500 und 1910 schon 23.000. Der Gemeinderat von Polnisch Ostrau schlug im Jahr 1904 vor, die Gemeinde in „Schlesisch Ostrau“ umzubennen. Eine Reihe bekannter Persönlichkeiten äußerte jedoch ihre Ablehnung und in der Folge entschied auch das Innenministerium in Wien gegen die Umbenennung. Erst nach der Gründung der Tschechoslowakei wurde die Namensänderung gebilligt. 1920 wurde Schlesisch Ostrau zur Stadt erhoben, die sich damit als größte Bergbaustadt der Tschechoslowakei etablierte. Zu dem Zeitpunkt lebten auf ihrem Gelände nur rund 20 Prozent Polen und sieben Prozent Deutsche. Reiche und zumeist deutschsprachige Industrielle sowie andere Besserverdienende ließen sich lieber in Mährisch Ostrau nieder. Über die Fusion der beiden Städte zu einer Verwaltungseinheit entschied am 1. Juli 1941 die deutsche Besatzungsmacht. Heute ist Slezská Ostrava/Schlesisch Ostrau ein Stadtteil des über 300.000 Einwohner zählenden Ostrava.