So nah, so fern: Tschechische und österreichische Historiker über das Leben am Eisernen Vorhang
„So nah, so fern. Menschen im Waldviertel und in Südböhmen 1945 – 1989“. Das ist der Titel eines neuen Buches, das sich mit dem Alltagsleben im Schatten des Eisernen Vorhangs beschäftigt. Vergangene Woche wurde der Band im Österreichischen Kulturforum in Prag vorgestellt.
„Wir haben nicht über die Dörfer geforscht, sondern in den Dörfern“, sagt Mitautor Niklas Perzi, der die Idee zu der Publikation hatte. Dorfchroniken, Fotoarchive, lebensgeschichtliche Interviews: Aus einer Vielzahl unterschiedlicher Materialien setzten die Historiker das Bild vom Alltag an der Grenze zusammen, an der für die meisten Menschen die Welt zu Ende war. Freiwillige Feuerwehr und Maiaufmarsch, Handwerk und Landwirtschaft, Schule und Dorfgasthaus. All das bestimmte die Lebenswelten der Menschen vor dem Hintergrund der Weltpolitik. Niklas Perzi:
„Österreich hat 1947 den Marshallplan angenommen und damit klar in Richtung Westorientierung gesteuert. Die Tschechoslowakei konnte und durfte den Marshallplan nicht annehmen. Stattdessen ist es im Februar 1948 zur totalen kommunistischen Machtübernahme gekommen, wobei die Kommunisten sich aber nicht als Vorreiter einer stalinistischen Revolution präsentiert haben, sondern als konsequenteste Fortsetzung des nationalen und sozialen Weges, den man bereits 1945 eingeschlagen hat.“Nach 1948 setzte in der Tschechoslowakei dann die totale Kollektivierung ein. Die landwirtschaftliche Produktion wurde in die neu gegründeten Staatsgüter verlagert, private Bauernhöfe verloren ihre Funktion, private Handwerks- und Gewerbebetriebe verschwanden. Auch in Österreich sind viele traditionelle Betriebe der technischen Entwicklung zum Opfer gefallen. Viele hätten jedoch auch die erfolgreiche Transformation geschafft, sagt Perzi:
„Zum Beispiel der Wagner, der früher Räder für Pferdefuhrwerke hergestellt hat und nun Automechaniker wurde. Hier wurden auch die Grundlagen für sehr erfolgreiche lokale Unternehmerdynastien gelegt.“Auf tschechischer Seite ist das Leben überdies geprägt von der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Neubesiedlung ganzer Landstriche. Die Spuren sind bis heute erkennbar. In der Landschaft, in der Wirtschaft, und manchmal auch in den Köpfen. Auch der tschechische Präsidentschaftswahlkampf, aus dem Miloš Zeman als Sieger hervorgegangen ist, war überschattet von der Diskussion über die Vertreibung. Zemans Kontrahent Karel Schwarzenberg hatte das Prinzip der Kollektivschuld an den NS-Verbrechen kritisiert, aus dem Zeman-Lager waren daraufhin vermehrt nationale Töne zu hören. Zur Sprache kam auch Schwarzenbergs Verhältnis zu Österreich, wo er viele Jahre im Exil verbracht hatte.
Niklas Perzi ist Mitglied der „Ständigen Konferenz österreichischer und tschechischer Historiker zum gemeinsam kulturellen Erbe“. Wie schätzt er die künftige Rolle des neuen Präsidenten in den bilateralen Beziehungen ein?„Zeman ist ein sehr kraftvoller und machtbewusster Politiker, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Ähnlich wie sein Vorgänger Václav Klaus wird er seine Präsidentenrolle wahrscheinlich eher politisch auslegen, und weniger das Zeremonielle betonen. Ich denke also, das er sich bei geeignetem Anlass durchaus in die Debatten mit Österreich oder Deutschland einbringen wird.“