Fluchtversuche über Eisernen Vorhang und Naturkatastrophen: Böhmerwaldseminar in Strakonice

Das sogenannte Böhmerwaldseminar gibt es schon seit über 20 Jahren. Immer im Herbst treffen sich dort Tschechen und Deutsche. Am vergangenen Wochenende konnten mehr als 50 Teilnehmer in der südböhmischen Stadt Strakonice / Strakonitz begrüßt werden. Wolfgang Schwarz vom Adalbert-Stifter-Verein hat das Seminar veranstaltet. Martina Schneibergová hat mit ihm anschließend gesprochen.

Herr Schwarz, das regelmäßige Böhmerwaldseminar fand diesmal in Strakonice statt. Was stand im Fokus?

Böhmerwald | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

„Dieses Mal hatten wir zwei Blöcke am ersten Tag: Zum einen ging es um historische Naturkatastrophen in den Böhmischen Ländern. Dazu hat der Fotohistoriker Pavel Scheufler aus Mnichovice einen Beitrag vorgetragen. Er zeigte einige Bilder beispielsweise von Hochwassern, Erdrutschen und anderen Erscheinungsformen von Naturkatastrophen und kommentierte die Fotos. Ergänzt wurde der Beitrag von Matěj Strnad vom Nationalen Filmarchiv mit kurzen Filmaufnahmen. Er hat zudem den Klimawandel in den Kontext bezüglich der Filmkonservierung und der Erhaltung von Bildarchiven gesetzt. Denn sie stehen ebenfalls vor neuen Herausforderungen angesichts des Klimawandels.“

Betrafen die Naturkatastrophen, von denen die Rede war, auch den Böhmerwald?

„Ja, zum Teil schon. Insbesondere ging es um Windstürme. Der Schriftsteller Karel Klostermann hat diese Katastrophen beschrieben. Sie führten dazu, dass sich der Borkenkäfer im 19. Jahrhundert erheblich ausbreitete.“

Während des Seminars wurde des Weiteren ein neuer Dokumentarfilm präsentiert, der im Rahmen des Zeitzeugenprojekts Paměť národa (Memory of Nation) gedreht wurde. Worum ging es in der Dokumentation?

Jan Blažek und Mikuláš Zvánovec  | Foto: Wolfgang Schwarz

„Jan Blažek hat im Auftrag des Vereins Post bellum einen Film mit DDR-Flüchtlingen gedreht, die versucht haben, über den Eisernen Vorhang der Tschechoslowakei in die Bundesrepublik oder nach Österreich zu gelangen. Es ist ein sehr eindrucksvoller Film. Die Flüchtlinge wurden befragt, und aus Ausschnitten der Gespräche wurde der Film zusammengestellt. Gegenstand waren die akribische Vorbereitung auf die Flucht, das Scheitern der Flucht und die Motivation der Flüchtlinge – von der Liebe, über den Freiheitsdrang bis zur Familienzusammenführung. Die Betroffenen mussten ihr ,Vergehen‘ leider mit längeren Freiheitsstrafen im damaligen Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, unter unwürdigen Bedingungen büßen. Der Film zeigt die Unmenschlichkeit des Regimes und auch der Grenzanlagen. Er ist für pädagogische Zwecke geeignet.“

Bei den Böhmerwaldseminaren wird in der Regel auch die Aufmerksamkeit auf die jeweilige Stadt gelenkt, in der sie veranstaltet werden. War das auch bei Strakonice der Fall?

Strakonice | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

„Strakonice wird oft als das Tor in den Böhmerwald bezeichnet. Die Beziehung zur Stadt ist durch zwei Fotoausstellungen des Strakonitzer Fotografen František Zemen entstanden, der leider in diesem Jahr gestorben ist. Es waren Fotos beispielsweise vom Fasching in Südböhmen und von verschiedenen Bräuchen. Die beiden Ausstellungen haben wir zuvor in München gezeigt. Das Seminarprogramm habe ich in der Zusammenarbeit mit Marie Žiláková und Ladislav Řanda vom Kulturzentrum der Stadt Strakonice zusammengestellt. Zwei Beiträge sind dabei besonders zu nennen: der Auftritt des Ensembles Prácheňský soubor písní a tanců (das Lieder- und Tanzensemble von Prácheň, Anm. d. Red.) mit Mitgliedern aller Generationen, die begeisterte Zuschauer hinterließen. Und zweitens zeigte uns Jaroslav Brůžek, der beim Umweltreferat der Stadtverwaltung arbeitet, wie die Stadt mit den Herausforderungen des Klimawandels im Hinblick auf die Blumenbeete und die Bepflanzung der Stadt umgeht.“

Wie groß war das Interesse an dem Seminar?

Irena Novotná vom Museum des mittleren Otavagebiets | Foto: Wolfgang Schwarz

„Das Interesse ist jedes Jahr sehr groß. Wir waren zwei Monate vor Beginn des Seminars fast ausgebucht. Ich würde sagen, dass etwa 65 Prozent der Teilnehmer Deutsche und etwa 35 Prozent Tschechen waren. Es waren alle Generationen vertreten. Viele der Teilnehmer kommen regelmäßig zu den Seminaren.“

Gibt es für diejenigen, die in Strakonice nicht dabei waren, die Möglichkeit, sich einen der Vorträge anzuhören?

„Wir werden auf jeden Fall auf dem Youtube-Kanal des Adalbert-Stifter-Vereins einen oder zwei Vorträge zur Verfügung stellen. Wahrscheinlich betrifft es den Vortrag über die Naturkatastrophen und den Vortrag des Historikers Mikuláš Zvánovec, der über das Schicksal der Flüchtlinge vorgetragen hat sowie über diejenigen, die bei dem Fluchtversuche ums Leben kamen. Ob der ganze Film von Jan Blažek gezeigt werden kann, muss noch besprochen werden.“

Mehr erfahren Sie unter: https://www.stifterverein.de