Literaturhistorikerin: „Karel Klostermann begründete neue Identität des Böhmerwaldes“

Ausstellung Karel Klostermann a zrod Šumavy

Karel Klostermann ist hierzulande zweifelsohne der bekannteste Böhmerwald-Schriftsteller. In diesem Jahr wurde anlässlich seines 100. Todestags mit vielen Veranstaltungen an den Dichter erinnert. Eine davon ist eine Wanderausstellung, die inzwischen an mehreren Orten Böhmens zu sehen war.

Am 17. Juli sind 100 Jahre seit dem Tod des Schriftstellers Karel Klostermann (1848–1923) vergangen. Zu seinen berühmtesten Werken gehören die Romane „Aus der Welt der Waldeinsamkeiten“ und „Im Böhmerwaldparadies“ sowie die Erzählungen „Böhmerwaldskizzen“. Veronika Faktorová ist Literaturhistorikerin an der Südböhmischen Universität in České Budějovice / Budweis. Anlässlich des Klostermann-Jubiläums stellte sie mit ihrem Kollegen Michal Hořejší eine Wanderausstellung mit dem Titel „Karel Klostermann a zrod Šumavy“ (auf Deutsch etwa: „Karel Klostermann und die Geburt des Böhmerwaldes“) zusammen. Faktorová erklärt den Titel der Schau:

Veronika Faktorová | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wir haben damit gemeint, dass Klostermann dem Böhmerwald neue Bedeutung verliehen hat. Am Anfang steht sein Werk im Fokus. Denn dieses brachte eine attraktive und wirkungsvolle Präsentation des Böhmerwaldes. Der Böhmerwald ist bei Klostermann eine Naturwelt, eine Wildnis, ein Ödland. Der Autor war mit dieser Darstellung bei den Lesern sehr erfolgreich. Dieses Bild des Böhmerwaldes dominierte seitdem und wurde auch in den Werken anderer Autoren weiterentwickelt.“

Zum Erfolg von Klostermanns Romanen hat der Literaturhistorikerin zufolge der Verleger Josef R. Vilímek stark beigetragen.

„Wir sind davon überzeugt, dass Vilímek eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat. Er war ein moderner Verleger, der sich auf den Profit konzentrierte. Er hatte verschiedene Strategien, um das Buch auf den Markt zu bringen. Klostermann ist für ihn zu einem exklusiven Autor geworden, den er sehr gern präsentierte und den Lesern empfahl. Man kann sagen, dass Vilímek Klostermann als Schriftsteller geschaffen hat.“

Mit Klostermanns Wahrnehmung des Böhmerwaldes haben sich während der Zeit einige Lesergenerationen identifiziert. Veronika Faktorová:

Böhmerwald | Quelle: Karel Klostermann,  Básník Šumavy a Zbudovských blat/ČT

„Klostermann schrieb seine Werke in einer Zeit, in der das Interesse für den Böhmerwald sehr intensiv war. Das hing vor allem mit dem Aufschwung des Tourismus zusammen. Der Böhmerwald wurde zu einem beliebten Urlaubsziel. Viele Tschechen reisten dorthin zum Sommeraufenthalt, viele unternahmen auch kürzere Ausflüge in die Gegend. Der Schriftsteller bot ihnen die Möglichkeit, den Böhmerwald zu verstehen und zu erleben. Für die damaligen Besucher stellte diese Region bis dato eher eine öde Landschaft dar, in der es lauter Wälder gab. Dies wird auch in mehreren zeitgenössischen Reportagen zum Ausdruck gebracht. Und Klostermann sagte aber, der Wald sei doch schön und anziehend. Dies hat die Touristen damals vermutlich stark beeinflusst.“

Wildnis im Stadium des Untergangs

1870 wurden Teile des Böhmerwaldes von einem Orkan heimgesucht, es folgte eine Borkenkäferplage. Diese Ereignisse spielen in Klostermanns Werk eine wichtige Rolle.

„Das Bild des Böhmerwaldes, den der Schriftsteller als eine Naturwildnis beschrieb, wird bei ihm um einen weiteren Aspekt erweitert: dass es um eine Wildnis geht, die sich im Stadium des Untergangs befindet. Der Sturm und der Borkenkäfer vernichten dieses Gebiet, als ob es um eine apokalyptische Welt gehen würde. Und diese Bilder waren für die Leser zweifelsohne attraktiv. Auch heutzutage wecken verschiedene Katastrophen und traurige Ereignisse das Interesse der Menschen. Ich denke, dass die literarische Darstellung des Untergangs der früheren Naturwelt sowohl für die damaligen Leser, als auch für die Besucher des Böhmerwaldes sehr anziehend war.“

Böhmerwald | Quelle: Karel Klostermann,  Básník Šumavy a Zbudovských blat/ČT

Die Wildnis des Böhmerwaldes steht also im Fokus von Klostermanns Romanen. Wie werden jedoch die Helden seiner Bücher – die Bewohner dieser bewunderten Gegend – dargestellt?

„Man kann sagen, dass sie der Schriftsteller als eine Art ,Eingeborene‘ wahrnimmt. Es sind Menschen, die einzigartige Bräuche haben, und die sich nicht wie sonst üblich benehmen. Sie haben etwa spezielle Berufe. Unter ihnen sind Holzfäller, Hirten, Förster. Klostermann schuf eine Welt, die sich von dem unterschied, was die Leser aus ihrem Alltagsleben kannten. Die Romanhelden wirken fast exotisch. Die Gegend kann mit ihren Bewohnern an den Wilden Westen, an Alaska oder Yukon erinnern. Es ist eine abenteuerliche Welt.“

Klostermann war ein fleißiger Autor. Neben Romanen und Erzählungen schrieb er auch Artikel für Zeitschriften. Hatte er überhaupt die Zeit, den Böhmerwald zu besuchen?

Vortrag über Klostermann | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Er hielt sich dort meistens im Sommer auf. Er unterrichtete an einer Realschule in Pilsen, während des Jahres war er viel beschäftigt. Während der Schulferien reiste er in den Böhmerwald, meistens nach Kašperské Hory (deutsch Bergreichenstein, Anm. d. Red.). Den Großteil seiner Ferien widmete er sich dem Schreiben. Es sind Briefe erhalten, in denen ihn der Verleger Vilímek mahnt, dass er nicht durch die Umgebung wandern, sondern sich auf das Schreiben konzentrieren soll. Dies hat er jedoch gewissenhaft gemacht.“

Kann man Klostermann als einen Touristen ansehen? Veronika Faktorová schüttelt den Kopf.

„Eher nicht. In seiner Jugend hat er den Böhmerwald kennengelernt, aber man kann nicht sagen, dass er ein Tourist war. Er wurde eher so wahrgenommen, dass er womöglich ein Begleiter der Touristen sein könnte. Aber er selbst verhielt sich nicht wie ein klassischer Reisender.“

Für andere Besucher hat Klostermann doch aber den Böhmerwald als Reiseziel entdeckt. Oder etwa nicht? Die Literaturhistorikerin lächelt.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Es ist interessant, dass Sie gerade das Attribut nutzen, das in der Werbung des Vilímek-Verlags vorkommt. Dort wird er als Dichter, aber auch als Entdecker des Böhmerwaldes bezeichnet. Denn er begründete eine neue Identität, ein neues kulturelles Gedächtnis des Ortes.“

Klostermann-Label

Karel Klostermanns Bücher werden bis heute verkauft. Werden sie aber auch gelesen? Die Expertin:

Karel Klostermann: Ze světa lesních samot | Foto: SNKLHU

„Bestimmt. Er ist einer der wenigen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der weiterhin intensiv gelesen wird. Dies ist kaum jemandem gelungen. Viele der Autoren sind nur Bestandteil des Schulunterrichts geblieben, werden sonst aber kaum rezipiert. Klostermanns Bücher erscheinen derzeit sowohl auf Tschechisch, als auch auf Deutsch. In meinen Seminaren, die ich zur Literatur des 19. Jahrhunderts an der Universität gebe, habe ich die Erfahrung gemacht, dass Klostermanns Erzählungen das Interesse junger Menschen wecken. Das finde ich überraschend.“

Der Schriftsteller Klostermann ist mit der Zeit zu einer Marke geworden. Nach ihm wurde beispielsweise auch eine Biersorte benannt. Aber das sei nur der Anfang, betont Veronika Faktorová:

„Wir können schon fast über ein Klostermann-Label sprechen. Egal worauf Klostermann geklebt wird, macht er eine gute Reklame dafür. Ganz gleich ob es im Bereich des Tourismus ist, oder ob es um Artikel wie Bier oder Souvenirs geht. Zudem ist er mit verschiedenen konkreten Orten verbunden. Es gibt einen Klostermann-Aussichtsturm, einen Klostermann-Pfad, eine Klostermann-Hütte. Dem Namen begegnet man in der Region auf jedem Schritt.“

Karel Klostermann gilt in der Literaturgeschichte als ein tschechischer Schriftsteller. Er hat aber auch deutsch geschrieben. Veronika Faktorová dazu:

Foto: Zrod Šumavy

„Klostermann ist ein interessanter Fall. In der Literaturgeschichte wird er als ein tschechischer Autor wahrgenommen. Dabei wissen wir, dass er seine Karriere mit Texten in deutscher Sprache gestartet hat. Er hat lange deutsch geschrieben. Den letzten Artikel auf Deutsch verfasste er 1910. Damals erreichte seine Karriere den Höhepunkt. Das parallele deutsche und tschechische Schreiben macht aus ihm einen deutsch-tschechischen Schriftsteller. So sehen wir ihn aus literarischer Sicht. Der zweite Aspekt ist die Nationalität. Er wollte sich lange in keiner Form national profilieren. Die nationalen Streitigkeiten hielt er für unangemessen und beunruhigend und sprach sich dagegen aus. Als er während der Zeit zu einem erfolgreichen tschechischen Schriftsteller wurde und davon auch viele Vorteile hatte, profilierte er sich immer mehr als ein tschechischer Autor. Er wurde als ein tschechischer Schriftsteller zu verschiedenen Feierlichkeiten eingeladen und wurde als solcher mit unterschiedlichen Literaturpreisen geehrt. Wie er das persönlich erlebte, ist schwierig einzuschätzen. Ich denke, er blieb im Kern jemand, der sich national nicht einordnen wollte.“

Einen Boom erlebte Klostermanns Werk auch in Deutschland. In den letzten 20 Jahren werden seine Bücher dort verhältnismäßig häufig herausgegeben.

„Es wurden inzwischen zahlreiche Werke neuübersetzt. Auf der anderen Seite der Grenze herrscht nach wie vor ein großes Interesse an Klostermann.“

Michal Hořejší | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Auf die verschiedenen Aspekte von Klostermanns Werk geht die Wanderausstellung ein, die Veronika Faktorová gemeinsam mit ihrem Kollegen anlässlich des 100. Todestags des Schriftstellers zusammengestellt hat. Die Schau mit dem Titel „Karel Klostermann a zrod Šumavy“ war zuerst im Sommer im Infozentrum auf dem Poledník / Mittagsberg zu sehen. Im November wurde sie in Vimperk / Winterberg gezeigt. Und vor kurzem wurde sie in der Südböhmischen wissenschaftlichen Bibliothek in Budweis eröffnet. Vorige Woche erschien zudem ein Bildband zur Ausstellung, der auch eine Zusammenfassung auf Deutsch und Englisch enthält. Veronika Faktorová:

„Wir wären froh, wenn das komplette Buch auf Deutsch erscheinen würde. Wir halten das vor allem aus dem Grund für sinnvoll, wie Klostermann auf der bayerischen Seite des Böhmerwalds wahrgenommen wird. Die Übersetzung ins Deutsche wurde uns auch von den Rezensenten des Bandes empfohlen. Mal sehen, ob dieser Plan aufgeht.“

Die Ausstellung mit dem Titel „Karel Klostermann a zrod Šumavy“ ist in der Südböhmischen wissenschaftlichen Bibliothek in Budweis bis 4. Januar 2024 zu sehen. Die Bibliothek in der Straße Lidická Nr. 1 ist täglich von 8.30 Uhr bis 18 Uhr und am Samstag von 9 bis 12 Uhr geöffnet.

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