Sondersitzungen und Filibustern: Tschechiens Abgeordnetenhaus tagt so oft und lang wie nie zuvor
In der aktuellen Legislaturperiode wird im tschechischen Abgeordnetenhaus mehr und öfter geredet. Sondersitzungen, stundenlange Debatten über die Tagesordnung und Verhandlungen bis tief in die Nacht sind keine Seltenheit mehr. Schuld sind daran die Obstruktionen der Oppositionsparteien; aber auch die Regierungsparteien rufen immer öfter zu außerordentlichen Sitzungen.
Mit einer Sondersitzung zum europäischen Migrationspakt wurde im tschechischen Abgeordnetenhaus vor Kurzem die Marke von 100 Sitzungen gebrochen. So oft kamen die Politiker bisher in der aktuellen Legislaturperiode zusammen, also in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren. In der gesamten vorherigen vierjährigen Amtszeit gab es dabei 120 Sitzungen. Grund für die derzeit sehr häufigen Zusammenkünfte sind die Sondersitzungen, die unter anderem ein politisches Instrument der Opposition sind. Alena Schillerová ist die Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Partei Ano. Im Interview für den Tschechischen Rundfunk sagt sie:
„Die Sondersitzungen wären für uns gar nicht so ein häufiges Mittel, wenn die Interpellationen ordnungsgemäß ablaufen und auch unsere Programmpunkte auf der Tagesordnung landen würden. Es sollte auch ein, zwei Stunden über unsere Themen gesprochen werden, zu denen die Regierung dann Rede und Antwort stehen muss. Stattdessen herrscht stilles Schweigen, wir werden überstimmt und niedergewalzt. Ich will mich ja gar nicht beklagen, aber angesichts dieses Verhaltens darf sich die Fünferkoalition nicht wundern, dass wir ebenfalls alle Mittel ausnutzen, die uns die Sitzungsordnung gibt.“
Aber auch von den Regierungsparteien wurden zuletzt immer wieder Sondersitzungen einberufen – bisher insgesamt 29 Mal. Warum beantragen die beiden Lager so oft diese außerordentlichen Zusammenkünfte? Das erklärt die Abgeordnetenhausvorsitzende Markéta Pekarová Adamová von der Partei Top 09:
„Bei einer Sondersitzung ist das Programm festgeschrieben und kann nicht mehr geändert werden. Es gibt also keine Diskussion darüber. Abgeordnete mit Vorzugsrecht können sich aber dennoch zu Wort melden. Der Vorsitzende der Sitzung kann sie dann nicht einschränken.“
Pekarová Adamová spricht einen wichtigen Punkt an, denn die Diskussionen über die Tagesordnung haben in der laufenden Legislaturperiode rapide zugenommen. So haben die Politiker der unteren Parlamentskammer in der letzten Amtszeit insgesamt 175 Stunden über die Tagesordnung diskutiert. In den zurückliegenden zweieinhalb Jahren wurden bisher aber schon rund 400 Stunden hinter dem Pult geredet, ehe überhaupt der erste Tagesordnungspunkt eröffnet wurde. Laut Markéta Pekarová Adamová veranschaulichen die Zahlen, wie die Oppositionsparteien Ano sowie „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) die Abstimmung über das Programm für ihre Zwecke missbrauchen:
„Sie haben eine ganz originelle Form der Obstruktion für sich entdeckt, und zwar, bereits die Abstimmung über die Tagesordnung durch Reden hinauszuzögern. In vergangenen Legislaturperioden dauerte dieses Prozedere meist einige Minuten, nun muss immer mit mehreren Stunden gerechnet werden.“
Betrachtet man die gesamte Redezeit in den Sitzungen, ist ebenfalls eine massive Steigerung zu verzeichnen. So dauerten die Sitzungen in der gesamten vorherigen Legislaturperiode zusammengerechnet 1900 Stunden. Seit den vergangenen Wahlen wurde aber bereits jetzt über 1400 Stunden gesprochen. Der Wert aus den früheren Jahren dürfte so aller Voraussicht nach übertroffen werden.