Sozialleistungen, Steuerflucht und quo vadis, Prag?

Wie lässt sich die Steuerflucht tschechischer Unternehmen bremsen? Und zu guter Letzt: Quo vadis, Prag? Das sind die Fragestellungen, die die tschechischen Zeitungskommentatoren diese Woche beschäftigt haben. Die Antworten gibt es gleich im aktuellen Medienspiegel.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Moderatorin: Im tschechischen Abgeordnetenhaus ging es diese Woche wieder hoch her. Grund war der gemeinsame Vorstoß der Sozialdemokraten und der Kommunisten, einige Sozialleistungen erhöhen zu wollen. Den Bürgerdemokraten und der konservativen Partei TOP 09 gefällt das gar nicht. Auch Premier Jan Fischer warnte davor, Maßnahmen zu beschließen, die den Staatshaushalt weiter belasten. Und sogar Präsident Klaus sagte, er unterschreibe kein Gesetz, dass das Budget weiter strapaziere. Wie hat die Presse auf diese Pläne der linken Parteien reagiert?

Katrin Materna: In den Zeitungen hagelt es ebenfalls überwiegend Kritik an den Erhöhungen. In der Mladá Fronta Dnes heißt es dazu:

“Die Sozialdemokraten wollen eine Sonderrente durchsetzen, außerdem eine Erhöhung des Mutterschaftsgeldes, die Abschaffung der Praxisgebühr usw. Das Haushaltsdefizit könnte sich auf diese Weise um mehr als 10 Milliarden Kronen erhöhen. Dabei besteht die Gefahr, dass wir nicht in der Lage sein werden, diese Schulden zurückzuzahlen. Es lebe das Sparen!"

M: Die Sozialdemokraten jedenfalls sind von der Finanzierbarkeit ihres Vorhabens überzeugt. Sie wollen die "Reichen" stärker besteuern und strengere Regeln für öffentliche Ausschreibungen einführen.

Foto: Barbora Kmentová
K.M.: Die meisten Kommentatoren halten diese Form der Gegenfinanzierung für unrealistisch. In der Wochenzeitschrift Reflex heißt es dazu (Petr Holec):

"Die Steuererhöhung bringt ein paar Milliarden ein, das Sparen im öffentlichen Sektor keine einzige Krone".

Vor allem der Vorsitzende der Partei, Jiří Paroubek, wird im Kommentar bezichtigt, ein falsches Spiel zu spielen und sich am Geld künftiger Generationen zu vergreifen.

"Und wenn es Zeit wird, die Schulden tatsächlich zu begleichen? Dann wird er als fürstlich bezahlter Rentner im Vorstand seiner ´Lieblingsbank´ ČEZ sitzen und uns erklären, warum der Strom wieder teurer geworden ist", meint der Autor des Kommentars.

Und die Wirtschaftszeitung Hospodářské Noviny schreibt:

„Sechzig Prozent der Tschechen sind Idioten, lautete vor vielen Jahren ein weiser Ausspruch von Miloš Zeman. Seiner damaligen Partei scheint er diese Weisheit in die DNA einkodiert zu haben.“

Foto: ČTK
M: Gemeint ist auch hier die Sozialdemokratie, denn Miloš Zeman war ja lange Zeit deren Vorsitzender.

K: Ja, lediglich in der Tageszeitung Právo wird postuliert, dass der Populismus, der vor den Wahlen im Abgeordnetenhaus um sich greift, „nicht nur auf das Konto der politisch linksorientierten Parteien geht, die die Abschaffung der Praxisgebühr propagieren.“

K: In der Zeitung Lidové Noviny wird noch ein anderer Aspekt der linken Strategie herausgestellt: „Die linken Parteien kündigen Steuererhöhungen für Firmen an. Die wiederum flüchten dann zunehmend in Steuerparadiese.“

M: Die Tendenz, dass tschechische Unternehmen zunehmend ins Ausland gehen, um Ihre Steuerbelastung zu senken, soll tatsächlich stark gestiegen sein. Der Agentur Čekia zufolge haben im vergangenen Jahr über 2000 tschechische Unternehmen ihren Firmensitz in eine der so genannten Steueroasen verlegt. Das ist der höchste Wert seit vier Jahren.

K: Ja, die Wirtschaftszeitung Hospodářské Noviny hat die Meldung diese Woche auf der Titelseite gebracht – und einen Kommentar dazu abgedruckt: „Statt sie zu bestrafen sollten solche Bedingungen geschaffen werden, dass die Unternehmen nicht in die Flucht geschlagen werden. Dabei geht es nicht immer nur um die Höhe der Steuern. Das zeigt das Beispiel Skandinaviens, wo die Steuersätze am höchsten sind. Trotzdem lassen sich dort viele Firmen nieder. Dafür braucht es nicht viel: eine kultiviertes unternehmerisches Umfeld, funktionierende Rechtsnormen, einen hohen Liberalisierungsgrad und ein minimales Risiko für Investitionen.“ Das hätte weit wichtigere Konsequenzen auf den Haushalt als die Steuererhöhungen, heißt es da.

M: Der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel hat diese Woche für Gesprächsstoff gesorgt. Er sei „zutiefst beunruhigt“ über die konzeptlose Entwicklung seiner Heimatstadt und die Zustände im dortigen Magistrat, ließ er seine Mitmenschen wissen.

Bau des Prager Tunnels Blanka
K: Ja, diese Aussage fiel mit dem Besuch einer Unesco-Delegation zusammen, die prüft, ob Prag nicht gegen die Regeln des Weltkulturerbes verstößt. Anlass war der Bau eines Autotunnels namens Blanka.

M: Gab es denn dazu Reaktionen in den Meinungsseiten?

K: In der Wochenzeitschrift Respekt meldet sich der Chefredakteur Erik Tabery dazu zu Wort. Er gibt Václav Havel Recht.

„Das Problem der Hauptstadt besteht vor allem darin, dass nicht klar ist, was sie will. Seit Jahren ist ihr Gesicht vom Chaos dominiert. Das äußert sich häufig im sinnlosen Abreißen alter Gebäude oder der Bebauung jeglicher Freiflächen. Grünflächen scheinen im Magistrat oftmals als ungebetener Störenfried gewertet zu werden.“

Bei öffentlichen Ausschreibungen gewinne nicht das beste Angebot, sondern derjenige, der die Handynummer eines der Beamten im Magistrat kennt, glaubt der Autor außerdem.

Pavel Bém
M: Die Zustände im Prager Magistrat bewegen momentan so einige Gemüter. Es hagelt Korruptionsvorwürfe. Im Mittelpunkt der Kritik steht der Prager Oberbürgermeister Pavel Bém.

K: Der jegliche Vorwürfe zurückweist. Václav Havel hat er einen zu großen Sinn für Phantasie unterstellt, der typisch sei für Schriftsteller. Petr Fischer bewertet dies in einem Kommentar für die Zeitung Hospodářské Noviny folgendermaßen:

„Mit Sicherheit sagen lässt sich nur, dass die Abwehrmechanismen des Oberbürgermeisters darauf abzielen, seine Gegner zu schwächen und mit emotional gefärbten Ausdrücken von der eigentlichen Sache abzulenken. Ein Bürgermeister, dem es darum geht, die Wahrheit ans Licht zu bringen, würde geduldig und gelassen Fakten vorlegen. Er müsste nicht auf vermeintlich intellektuelle Weise vorsorglich die Glaubwürdigkeit seiner Kritiker in Frage stellen.“

M: Und damit schließen wir den heutigen Medienspiegel. Bis zum nächsten Mal!