Sprachrohr der tschechischen Minderheit in Wien: Zeitung Vídeňské svobodné listy erhält Auszeichnung
Am 17. November begeht Tschechien alljährlich den Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie. Anlässlich dieses Staatsfeiertages hat Außenminister Jan Lipavský (parteilos) auch in diesem Jahr wieder die Medaillen für Verdienste um die Diplomatie verliehen. Eine davon ging an die Zeitung Vídeňské svobodné listy (Wiener Freie Blätter), das zentrale Medium der tschechischen Minderheit in Wien. Radio Prag International hat die derzeitige Chefredakteurin, Dagmar Toufarová, vors Mikrophon gebeten.
Frau Toufarová, die Vídeňské svobodné listy haben am Sonntag die Verdienstmedaille des tschechischen Außenministers bekommen. Herzlichen Glückwunsch dazu! Sie sind die Chefredakteurin der Zeitung…
„Danke sehr! Ja, ich bin seit zwei Jahren die Chefredakteurin. Die Medaille hat uns viel Freude gemacht und bestätigt, dass wir gute Arbeit leisten und sozusagen auf dem richtigen Weg sind. Bei der Übergabe war auch die ehemalige Chefredakteurin Hana Herdová dabei. Sie hat die Zeitung 18 Jahre lang geleitet.“
Die Vídeňské svobodné listy wurden schon 1946 gegründet. Was war der Entstehungshintergrund? Warum brauchte es eine tschechischsprachige Zeitung in Wien?
„Es ging darum, dass man irgendwie Informationen an die tschechische Minderheit herantragen musste. Den Vídeňské svobodné listy kam damals eine zentrale Rolle zu, denn in Wien lebten sehr viele Tschechen.“
Heute erscheint die Zeitung alle zwei Wochen. Das ist eigentlich recht häufig…
„Ganz am Anfang erschien die Zeitung sogar jede Woche. Nun ist es der zweiwöchige Rhythmus, aber auch er bedeutet harte Arbeit und verlangt viel Zeit.“
Wer ist Ihre Zielgruppe?
„Die Zielgruppe ist sehr breit. Vor allem sind es Menschen, die schon seit Generationen oder mehreren Jahrzehnten in Wien leben. Wir wollen aber auch jüngere Menschen erreichen, weshalb wir die Themen teilweise anpassen. Es kommen immer wieder neue Leute nach Wien, für die das dortige tschechische Milieu neu ist. Sie brauchen Informationen, wo sie in der Stadt mit Landsleuten Sport treiben, singen oder ins Theater gehen können.“
Kann man also sagen, dass Sie das zentrale Medium für die tschechische und die slowakische Minderheit in Wien sind?
„Ja und nein. In Österreich gibt es sechs anerkannte autochthone Volksgruppen. Dazu gehören die Tschechen und auch die Slowaken. Jede der Gruppen hat ein Leitmedium. Für die Slowaken ist das die Zeitschrift Pohľady (Ansichten). Sie erscheint aber nur viermal pro Jahr. Deswegen haben wir uns entschieden, mit den Slowaken zusammenzuarbeiten, da wir eben alle zwei Wochen erscheinen. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, auch über ihre Veranstaltungen zu berichten beziehungsweise dazu einzuladen.“
Ich finde es beim Lesen Ihrer Zeitung spannend zu beobachten, wann ein tschechischer und wann ein slowakischer Artikel kommt. Der Leitartikel etwa ist mal in der einen, mal in der anderen Sprache verfasst. Wie entscheiden Sie, was überhaupt in die Zeitung hineinkommt? Gibt es viele Themen, über die Sie berichten könnten?
„Oft schreiben die Vereine selbst Artikel von ihren Veranstaltungen. Die Autorenschaft ist ehrenamtlich. Wir sind eine kleine Redaktion. Je nachdem, wieviel Platz bleibt, ergänzen wir die Zeitung um größere Beiträge oder Interviews. Wir wollen jedem etwas anbieten, deshalb bieten wir Texte aus Politik, Kultur, Wirtschaft, Philosophie und Feuilleton. Außerdem haben wir einen Veranstaltungskalender für die kommenden Wochen. Er findet sich auch online auf unserer Website. Wir informieren dort über Events in tschechischer, slowakischer und manchmal auch in deutscher Sprache, die in Wien stattfinden.“
Wie finanziert sich Ihre Zeitung? Vermutlich existiert dieses Medium nur, weil die tschechische und die slowakische Minderheit in Österreich anerkannt sind?
„Ja. Das ist unser Glück, denn das meiste Geld bekommen wir vom österreichischen Bundeskanzleramt. Denn das Land hat sich verpflichtet, die autochthonen Volksgruppen und deren Sprache und Kultur zu unterstützen. Ein Teil der Mittel erhalten wir aber auch von der tschechischen Seite. Und ein bisschen verdienen wir durch Anzeigen und die Abonnements.“
Gedruckte Zeitungen werden heute immer weniger, digitale Medien nehmen zu. Wollen Sie in Zukunft auch online publizieren?
„Viele Leute sagen uns, dass es schön ist, alle zwei Wochen die Vídeňské svobodné listy im Briefkasten zu finden. Vor allem für die ältere Leserschaft ist das wichtig. Gleichzeitig wollen wir auch jüngere Menschen erreichen, und das auch über die Grenzen Österreichs hinaus. Wir gehen das Ganze deshalb derzeit an und hoffen, dass wir schon sehr bald auch online erscheinen.“
Haben Sie bereits darüber nachgedacht, die Zeitung oder einzelne Artikel auch auf Deutsch herauszubringen? Ich könnte mir vorstellen, dass manche Menschen in Österreich zwar tschechische Wurzeln haben, aber kein Tschechisch verstehen. Und womöglich könnten sich ja auch Österreicher, die kein Tschechisch können, für die bilateralen Beziehungen interessieren…
„Mit solchen Ansichten werden wir ab und zu konfrontiert. Diejenigen, die die Zeitung kündigen, sind etwa oft die Nachfahren von Tschechen, die die Sprache selbst nicht mehr sprechen. Wir haben schon überlegt, einige Artikel online zu veröffentlichen und sie maschinell übersetzen zu lassen. Eine andere Idee ist, einmal im Vierteljahr oder alle sechs Monate eine Zusammenfassung auf Deutsch zu publizieren. All diese Gedanken sind derzeit noch nicht aktuell. Aber wir hoffen, dass wir so etwas künftig realisieren können.“
Gibt es in Wien heute überhaupt eine große tschechische Community? Und wie ist sie organisiert?
„Der Minderheitsrat ist eine Dachorganisation für 18 Vereine. Das sind aber nicht alle Vereine, die etwas mit Tschechien und der Slowakei zu tun haben. In Wien gibt es zudem viele tschechische Studenten oder etwa Expats, die für Firmen arbeiten. Wie viele Tschechen in Österreich leben, ist schwer zu sagen, aber Schätzungen gehen von 15.000 bis 20.000 Menschen aus. Es können jedoch auch mehr sein.“
Sie haben Tschechisch in China und Russland unterrichtet. Was hat sie persönlich nach Wien geführt?
„Ich habe Tourismus und Sprachen studiert und später Tschechisch für Ausländer an der Prager Karlsuniversität unterrichtet. Dadurch wurde ich als Lehrerin zunächst nach Peking und dann nach Jekaterinburg entsandt. Für mich war das eine spannende Erfahrung, vor allem China war sehr exotisch. Ich kann nur jedem raten, für eine gewisse Zeit ins Ausland zu gehen. Wenn man nach Europa zurückkommt, schätzt man einige Dinge ganz anders, etwa Freiheit und Demokratie. Mit Wien lebe ich nun sehr nah an meiner Heimat, der Region Vysočina. Meine Familie und die Verwandtschaft freuen sich, denn nun trennen uns nicht mehr 8000 oder 4000, sondern nur noch 250 Kilometer. So können wir uns öfter sehen.“
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Vídeňské svobodné listy?
„Natürlich hängt vieles von den Finanzen ab. Wenn wir ein bisschen mehr Geld hätten, könnten wir besser planen und auch weitere Projekte angehen, etwa Audio- und Videoinhalte oder einen Podcast. Wir könnten auch unsere Social-Media-Präsenz verstärken. Dazu fehlen uns aktuell aber Zeit und Personal. Und ich wünsche mir, dass wir nicht so enden wie die Prager Zeitung, die Lidové noviny, die Wiener Zeitung oder auch die Sprachlernzeitschrift Freundschaft – sie konnten irgendwann alle nicht mehr als Printmedium erscheinen. Wir wollen zumindest noch ein paar Jahre gedruckt erscheinen und auch den Sprung zum Online-Medium meistern.“