Strategische Partnerschaft in Mitteleuropa
Je näher die Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union rückt, umso mehr stellt sich die Frage, wie sich das Land als künftiges Mitglied verhalten, bzw. welche Positionen es innerhalb der Gemeinschaft einnehmen wird. Wird sich die Tschechische Republik ihre Bündnispartner von Fall zu Fall aussuchen oder wird sie z.B. eng mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten? Vor kurzem hat Tschechiens Nachbarland Österreich die Initiative zur Bildung einer s.g. Strategischen Partnerschaft in Mitteleuropa vorgeschlagen. Diese Initiative ist auch das Thema einer weiteren Folge der Sendereihe SCHAUPLATZ, zu der Sie heute recht herzlich Jitka Mladkova und Robert Schuster begrüßen.
Die Aufnahme der Kandidatenländer aus Mittel- und Osteuropa in die EU wird zweifelsohne die Gewichte innerhalb der Union verschieben. Kein Wunder also, dass die gegenwärtigen EU-Mitgliedsländer bereits begonnen haben, die Positionen der künftigen Neo-Europäer auszuloten und eventuell versuchen Partnerschaften zu schmieden. Als erstes EU-Land hat Österreich vor einigen Wochen seinen Nachbarn in Mittel- und Osteuropa den Vorschlag einer künftigen Partnerschaft in der erweiterten Union unterbreitet. Nach den Vorstellungen der Wiener Regierung könnten die mittel- und osteuropäischen EU- Mitglieder künftig zusammen mit Österreich einen ähnlich eng kooperierenden Block innerhalb der Union bilden wie z.B. Belgien, Luxemburg und die Niederlande.
Der Zeitpunkt, in dem diese Initiative präsentiert wurde, ist nicht zufällig gewählt worden. Im Verlauf des vergangenen Jahres sind nämlich die Beitrittsverhandlungen der jeweiligen Länder derart vorangeschritten, dass eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union um das Jahr 2004 herum als wahrscheinlich angenommen werden darf. Das bestätigt auch Gregor Schusterchitz, Presseattache an der österreichischen Botschaft in Prag:
"In dieser Beitrittsperspektive bietet sich unserer Meinung gerade jetzt der Zeitpunkt an, mit dieser Initiative zu beginnen, damit sie dann, falls unsere Nachbarn dann Vollmitglieder in der EU sind, diese Partnerschaft auch erprobt und operativ sein kann."
Die ersten Reaktionen in den angesprochenen Ländern auf den Vorstoß Österreichs waren jedoch sehr verhalten bis kühl. Lediglich die Regierungen Ungarns und der Slowakei haben die Idee eine Allianz unter den mitteleuropäischen Ländern zu bilden in ihren offiziellen Stellungnahmen begrüßt. Die Regierung in Warschau reagierte hingegen sehr vorsichtig, kühl waren die Stellungnahmem Prags und Laibachs. In der slowenischen Presse war sogar der Vorwurf zu lesen, Österreich wolle auf diesem Weg wieder seine einstige Vormachtstellung im mitteleuropäischen Raum herstellen und wurde daran erinnert, dass die Zeit der K. u K.-Monarchie bereits vor mehr als 80 Jahren zu Ende ging.
Österreichs Außenministerin Benita Ferrero-Waldner hat anlässlich eines Wien-Besuchs des tschechischen Außenministers Jan Kavan Ende März betont, die Strategische Partnerschaft habe nichts mit Geschichte, oder historischen Reminiszenzen, sondern ausschließlich mit der gemeinsamen Zukunft im Rahmen der EU zu tun. Der Presseattache von Österreichs Botschaft ergänzt das noch durch einen weiteren Hinweis:
"Ich glaube, dass allein der Blick auf die demografischen Realitäten zeigt, dass eine solche Führungsrolle gar nicht möglich ist. Wie sollen 8 Millionen Österreicher 50-60 Millionen Mitteleuropäer wirklich dominieren können. Aus diesem Grund hat Österreich von Anfang betont und klargemacht, dass hier an keine Führungsrolle gedacht ist; auch die Benelux-Gruppe oder die Nordische Kooperation kommen völlig ohne eine solche "Lead-Nation" aus."
Ein weiterer Vorwurf im Zusammenhang mit der geplanten Strategischen Partnerschaft wurde insbesondere von tschechischen Politikern ins Spiel gebracht. Warum hat sich Österreich, das vor genau 6 Jahren EU-Vollmitglied wurde, nicht schon weit früher für die Anliegen der Beitrittskandidaten eingesetzt? Gerade die Tschechen hätten nämlich während der letzten Monate das Gefühl bekommen, dass Österreich zu den größten Bremsern einer raschen Mitgliedschaft des Landes gehöre.
Der Grund für diesen Eindruck lag in der immer wiederkehrenden Betonung, wie wichtig vor einem tschechischen EU-Beitritt die Lösung der beiden einzigen noch offenen Fragen der österreichisch-tschechischen Beziehungen ist. Einerseits geht es um die Inbetriebnahme des AKW Temelín, wo Österreich seit Jahren Bedenken wegen der Sicherheit dieses nahe an der Grenze liegenden Kernkraftwerks hat. Andererseits steht aber auch die österreichische Forderung im Raum die s.g. Bene-Dekrete aufzuheben, welche nach 1945 zur Grundlage für die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei nach Österreich wurden.
In den letzten Wochen kamen noch Bestrebungen der Wiener Regierung hinzu, den freien Personenverkehr nach einem Beitritt Tschechiens und der anderen Kandidatenländer bis auf eine Dauer von 7 Jahren einzuschränken, um somit den österreichischen Arbeitsmarkt vor billigen osteuropäischen Arbeitskräften zu schützen. Tschechiens Außenminister Kavan sieht in diesen Forderungen Österreichs, die übrigens in einer ähnlichen Form auch von der deutschen Bundesregierung eingebracht wurden, einen klaren Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz innerhalb der EU. Führende Oppositionspolitiker, wie z.B. der außenpolitische Sprecher der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) Jan Zahradil gingen in ihren Stellungnahmen sogar noch weiter und gaben gegenüber der Regierung bereits zahlreiche Warnschüsse ab, indem sie ankündigten, dass für sie "eine EU- Mitgliedschaft zweiter Klasse" nicht in Frage komme.
Wie will es nun aber Österreich schaffen seine, im Vergleich zu den Kandidatenländern aus Mittel- und Osteuropa, völlig unterschiedlichen Interessen mit dem Projekt einer künftigen Allianz eben mit diesen Staaten unter einen Hut zu bringen? Auf diesen Umstand angesprochen, meint Presseattache Schusterschitz:
"Es ist vollkommen natürlich, dass jeder Staat versucht seine Interessen zu wahren. Das trifft auf Österreich zu aber natürlich auch auf die Tschechische Republik. Das ist hier kein Widerspruch, genauso sollte man auch die Forderungen nach Übergangsfristen weniger erregt betrachten. Was ich in diesem Bereich auch gerne sagen möchte ist, dass die Strategische Partnerschaft auch als eine sehr flexible Partnerschaft sich nicht auf alle Themen erstrecken muss oder kann. Es gibt gewisse Themen, wie grenzüberschreitender Verkehr, Umweltschutz, oder gemeinsame Positionen in Fragen der nächsten Regierungskonferenz. Es wird aber auch Fragen geben, wo die Beteiligten verschiedene Standpunkte einnehmen werden."
Zu den auf der tschechischen Seite am häufigsten geäußerten Bedenken gegenüber der jüngsten österreichischen Initiative gehört der Hinweis auf bereits bestehende regionale Kooperationen in Mitteleuropa, wie die Mitteleuropäische Initiative (CEI), die Visegrad-Gruppe oder die Mitteleuropäische Freihandelszone (CEFTA). Ein neues und zusätzliches Forum könnte somit zu unnötigen Duplizitäten und Effizienz-Problemen führen. Dass es dieses Risiko tatsächlich gibt bestätigt auch der österreichische Presseattache in Prag. Er betont aber auch gleichzeitig, dass keine der bereits bestehenden Initiativen den Grundüberlegungen der neuen Strategischen Partnerschaft gerecht werden.
Die Mitteleuropäische Initiative habe sich laut Schusterschitz mittlerweile nämlich derart geografisch ausgeweitet, dass in ihrem Rahmen eine gezielte und auf die EU-Agenden ausgerichtete Koordination nicht mehr möglich scheint - zumindest, solange Mitgliedsstaaten wie Albanien, Weißrussland oder die Ukraine keine Perspektive auf einen EU-Beitritt haben. Ähnliches gelte auch für die Mitteleuropäische Freihandelszone. Lediglich die Visegrad-Gruppe, welche Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien umfasse, habe gewisse Ähnlichkeiten mit der geplanten Strategischen Partnerschaft, wie sie von Österreich vorgeschlagen wurde. Zu ihren Nachteilen gehöre jedoch der Umstand, dass Österreich und Slowenien nicht Mitglieder in der Visegrad-Gruppe seien.
Eines der erklärten Ziele der Strategischen Partnerschaft zwischen Österreich und den zukünftigen EU-Mitgliedern aus Mittel- und Osteuropa ist die Bildung eines ernstzunehmenden regionalen Blocks innerhalb der Union. Viele Experten, die sich mit der weiteren Entwicklung der Gemeinschaft befassen, halten die Bildung von solchen regional verankerten Kooperationen sogar für die einzige Möglichkeit, wie die Union insgesamt auch bei einer Mitgliederzahl von weit über 20 Ländern handlungsfähig bleiben kann.
Es ist nämlich durchaus vorstellbar, dass beispielsweise die häufig diskutierte und als notwendig erachtete Begrenzung der Zahl der EU-Kommissare auf diese Art und Weise geregelt werden könnte, wenn nämlich die Mitgliedsstaaten dieser regionalen Blöcke unter sich ausmachen würden, wer von ihnen auf das eigene Kommissionsmitglied verzichtet. Daneben lässt aber noch eine weitere Entwicklung innerhalb der gegenwärtigen EU die Notwendigkeit einer stärkeren regionalen Zusammenarbeit und Koordination als wichtig erscheinen, nämlich die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft. Presseattache Schusterschitz meint dazu abschließend:
"Die letzten Revisionen der europäischen Verträge haben gezeigt, dass die Mehrheitsentscheidungen innerhalb der EU immer stärker ausgeweitet werden. Diesen neuen Rahmenbedingungen muss man sich natürlich anpassen, gerade als kleiner Staat. Auch wenn man sich die Zunahme der Mitglieder ansieht, ist es klar, dass eine Stimme unter 15 ein größeres Gewicht hat, als eine unter 21 oder 27 Mitgliedsstaaten.
In Wahrheit ist es ja auch im Interesse aller Staaten der EU, wenn die Entscheidungsabläufe durch vorherige Koordination effizienter gestaltet werden können."