Streifzug durch die Architektur: Fernsehturm Ještěd
Der Fernsehturm auf dem Ještěd gilt als Meilenstein der tschechoslowakischen Architektur. Einer Rakete gleich sticht das Bauwerk von Karel Hubáček in den Himmel über Liberec / Reichenberg. Der Architekt wurde dafür auch international ausgezeichnet und die nordböhmische Stadt wurde durch den futuristisch anmutenden Bau zum Touristenmagneten.
Wer vom Ještěd ins Tal schaut, der versteht die Faszination des Berges. Die Menschen der Gegend hat es daher immer nach oben gezogen. Der Kunsthistoriker Jaroslav Zeman stammt aus Liberec. Er ist beim nationalen Denkmalschutzamt für seine Heimatstadt und ihre Umgebung zuständig.
„Der Ještěd war schon immer die Dominante der Gegend. 1737 wurde hier ein Bergkreuz aufgestellt und etwa 100 Jahre später die erste Hütte gebaut. Das hing mit dem Bergverein aus dem damaligen Reichenberg zusammen. Er hat sich sehr für den Bau von Hütten und Aussichtstürmen auch im Isergebirge eingesetzt.“
Diese Hütte war aus Holz, doch man wollte etwas Repräsentativeres, sagt Jaroslav Zeman. Dazu habe auch die sogenannte Deutsch-Böhmische-Ausstellung inspiriert, die 1906 im damaligen Reichenberg abgehalten wurde. Also wurde ein Neubau ausgeschrieben und nach den Plänen des Architekten Ernst Schäffer entstand ein burgähnliches Berghotel mit stilistischen Elementen von Romantik und Jugendstil. 1963 brannte dieses Gebäude nieder. Weil der Gipfel des Ještěd ein beliebtes Ausflugsziel war und bereits seit der Zwischenkriegszeit eine Seilbahn hochführte, sollte ein neues Hotel entstehen. Dazu wurde eine Ausschreibung gemacht.
„Diese betraf eigentlich zwei Bauten: das Hotel sowie einen Fernsehturm. Interessant ist, dass letztendlich das Projekt von Karel Hubáček aus Liberec den Zuschlag erhielt, obwohl dieser die Vorgaben eigentlich nicht erfüllt hat. Seine Idee war ein einziger Bau für beides. Aber die Kommission hielt dies für den gelungensten Vorschlag und man entschied sich für die Umsetzung.“
Ein architektonischer Blick in die Zukunft
So entstand ein für die damalige Zeit ziemlich futuristisch anmutenden Gebäude. Es war ein Hightech-Projekt, das seinesgleichen in der Tschechoslowakei suchen musste. Auch deswegen dauerten die Arbeiten von 1966-1973. Im Inneren des Gebäudes kommt man der Besonderheit des Baus, der raketenartig in den Himmel ragt, näher. Dazu Jaroslav Zeman:
„Die Mitte des Fernsehturms besteht aus zwei unterschiedlich dicken Stahlbetonzylindern. Einer hat viereinhalb, der andere zwölfeinhalb Meter Durchmesser. Einer der Zylinder wurde im Inneren auch als Aufhängung von Glasplastiken benutz. Das Werk mit dem Titel Meteoritenregen haben Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová geschaffen. An den zwei Zylindern wurden auch die einzelnen Stockwerke praktisch aufgehängt. Dazu kommen viele interessante technische kleine Elemente. So besteht ein Teil der Außenverkleidung aus Kunststoff. Grund ist, dass der Ještěd einer der windigsten Orte Tschechiens ist und man einen dauerhaften Wetterschutz haben wollte.“
Um selbst orkanartigen Winden zu trotzen, wurde auch die Statik angepasst. Immerhin ist das gesamte Gebäude nach einem Aufbau vor gut zwanzig Jahren mittlerweile fast 100 Meter hoch.
„Das wurde auf relativ interessante Weise gelöst. Im Zentrum des Baus hängt ein gut 800 Kilogramm schwerer Schachtring. Wenn der Mast schwankt, dann gleicht der Ring dies aus. Das Patent haben Karel Hubáček und das Architekturbüro SIAL zusammen mit Statikern entwickelt“, erläutert Jaroslav Zeman.
Damals war dies eine absolute Neuheit, heute gilt dies als anerkannte Technik. Im ersten Stock des Fernsehturms befindet sich das Restaurant. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick sowohl auf Liberec, als auch nach Westen in Richtung böhmisches Mittelgebirge und Elbsandsteingebirge. Was der Besucher normalerweise nicht zu Gesicht bekommt ist jedoch der Salon. Der wurde vor kurzem restauriert. Das Ergebnis findet auch Kunsthistoriker Jaroslav Zeman ziemlich gelungen.
„Das Innere des Baus ist eine sehr gelungene Verbindung mit dem technizistischen Exterieur. Der Salon, in dem wir uns gerade befinden, hat nun wieder Möbel und Leuchter nach den Entwürfen von Otakar Binar. Der Designer hat die gesamte Inneneinrichtung im Hotel Ještěd entworfen. Weil die abgenutzten Orginalmöbel nach der Wende aber weggeworfen wurden, mussten sie nach den Entwürfen von Binar nachgebaut werden. Die Zeichnungen dazu befinden sich sowohl im Archiv des Architekten, als auch im Technischen Nationalmuseum in Prag. Sie enthalten sowohl die Lösungsvorschläge für die einzelnen Räume, als auch für Stühle, Tische und Beleuchtung. Alles wurde eigenständig noch während des Baus für das Hotel entworfen. Das gleiche gilt auch für Teller, Gläser oder etwa Aschenbecher des Designers Karel Wünsch.“
Sozialistischer Luxus auf über 1000 Metern
Über eine Wendeltreppe geht es nun hoch in den zweiten Stock. Dort sind die Hotelzimmer. Es sind knapp zwanzig inklusive eines Apartments. Kunsthistoriker Zeman sagt:
„Die Aussicht aus jedem der Zimmer ist herrlich. Da der Fernsehturm Kegelartig ist, sieht man aber immer nur einen bestimmten Ausschnitt des Rundblicks. Dieser reicht vom Friedland über das Iser- und Riesengebirge bis nach Česká Lípa / Böhmisch Leipa. Der Gast kann dann wählen, welcher Ausblick ihm am besten gefällt.“
Das kann auch Hoteldirektor Filip Hašek bestätigen:
„Von unserem Apartment Nummer fünf schaut man auf Liberec. Der Blick auf die nächtliche Stadt ist besonders beliebt.“
Für den Entwurf des Fernsehturms auf dem Ještěd ist der Architekt übrigens ausgezeichnet worden. Schon 1969 erhielt er den Auguste-Perret-Preis. Dieser weltweit wichtigste Architektenpreis ist Karel Hubáček damit als einzigem Tschechen bisher verliehen worden. Hubáček, Binar und die andern schlossen sich zwischen 1968 und 1971 zum Atelier SIAL. Übersetzt war das der Verband der Ingenieure und Architekten Liberecs. Diese konnten auch deswegen relativ frei arbeiten, weil der damalige Oberbürgermeister der Stadt neuen Strömungen in der Architektur sehr offen gegenüber stand. Kunsthistoriker Zeman betont:
„Das war auch der Grund, warum auch in Liberec viele interessante und untypische Bauten entstanden sind. Neben dem Fernsehturm waren dies etwa das frühere Kaufhaus Ještěd, der Plattenbau Wolkerák oder auch Hubáčeks eigenes Haus. Liberec hatte dadurch während der 1970er Jahre eine besondere Stellung in der Tschechoslowakei. Sogar in der westlichen Presse wurde das honoriert. So hieß es zum Beispiel in Westdeutschland Liberec habe sich der modernen Architektur verschrieben. Dort entstünden außergewöhnliche Bauten.“
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