Streik an den tschechischen Unis

Schon über viele Jahre beklagen die tschechischen Hochschulen ihre schlechte materielle Ausstattung und die angespannte finanzielle Lage. Doch schon lange war unter den Studentinnen und Studenten die Bereitschaft nicht so groß sprichwörtlich auf die Barrikaden zu gehen, wie es gegenwärtig der Fall ist. Steht also Tschechien ein heißer Herbst mit zahlreichen Studentenstreiks bevor? Mehr über die Studentenproteste und die Lage der tschechischen Universitäten erfahren Sie nun im folgenden Schauplatz, den für Sie Silja Schultheis und Robert Schuster gestaltet haben.

Seit fast einem Monat rumort es an den Universitäten und Hochschulen in Tschechien. Als nämlich die Regierung vor einigen Wochen die erste Fassung des Staatshaushalts für das nächste Jahr vorstellte, setzte unter den Studenten und den Lehrkräften Entsetzen ein: Jene zwei Milliarden Kronen (also umgerechnet 110 Millionen Mark) für die Unis, welche die Regierung noch im Frühjahr versprochen hatte, fehlten auf einmal in den Budgetzahlen. Die meisten Hochschulen haben aber diese Summe bereits fix in ihre Haushaltsplanungen einberechnet und z.B. zu Beginn des Wintersemesters 2001/2002 entsprechend mehr Studierende aufgenommen, als es die Kapazitäten der meisten von ihnen normalerweise erlaubt hätten. In Tschechien übersteigt nämlich die Nachfrage nach einem Studienplatz schon seit vielen Jahren das vorhandene Angebot. Die entsprechende Auswahl der Studenten wird deshalb im Gegensatz zu den meisten Hochschulen in Deutschland oder Österreich vor allem mittels spezieller Aufnahmeprüfungen vorgenommen.

Es kam zu ersten Protesten, an der Uni Olmütz (Olomouc) wurde bereits Mitte Oktober für einen Tag der Lehrbetrieb unterbrochen und auch in Prag, wo es die meisten Hochschulen des Landes gibt, kam es einige Tage später zu Protestaktionen. Der Akademische Senat der Karlsuniversität hat Bildungsminister Eduard Zeman sogar zum Rücktritt aufgefordert. Zeman wurde einem starken öffentlichen Druck ausgesetzt und in der überarbeiteten Fassung des Staatshaushalts tauchten dann die versprochenen Milliarden auch tatsächlich auf. Eine echte Hilfe oder nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein? - das fragte Radio Prag den Studenten Jan Cieslar. Cieslar ist Vorsitzender des Studentenrates an der Philosophischen Fakultät der Prager Karlsuniversität und gehört zu den Hauptinitiatoren der Studentenproteste:

"Ja ich glaube, daß diese zwei Milliarden, die Sie erwähnt haben wirklich nur ein gewisses Minimum darstellen. Dieses Minimum kann nämlich nur dazu dienen jene Kosten zu decken, die den Hochschulen dadurch entstanden sind, daß im Gegensatz zu ihren ursprünglichen Plänen zusätzliche Studenten aufgenommen haben. Die Probleme, mit denen die Universitäten schon über viele Jahre leben müssen, bleiben von diesem Geld völlig unberührt. Dazu würde es eines beträchtlich größeren Betrags brauchen, als es die 2 Milliarden sind. Ich meine nämlich, daß ohne eine solche Finanzspritze des Staates die meisten Hochschulen vor dem Aus stehen. Deshalb werden sich die Studenten damit nicht zufrieden geben und wir rechnen damit, daß es während des Herbstes noch zu verschiedenen Aktionen kommen wird."

Über dem tschechischen Hochschulwesen scheiden sich schon seit den letzten 10 Jahren die Geister. Die beiden Grundpositionen, die sich auch in der politischen Auseinandersetzung niederschlagen, lassen sich wie folgt darlegen: Der erste Standpunkt vertritt die Ansicht, daß es den Hochschulen lediglich an moderner Ausstattung und Hilfsmitteln fehle, die man mit Hilfe von gezielt angelegten einmaligen Finanzspritzen beheben könnte. Die zweite Meinung geht in die andere Richtung: Die meisten Universitäten und Hochschulen in Tschechien gleichen Fässern ohne Boden in denen jegliche zusätzlichen Mittel verloren gehen müssen. Deshalb sei es notwendig die Unis dazu zu bewegen, effektiver mit den Mitteln umzugehen und zunächst neue und effizientere Strukturen aufzubauen. Auch Studentenchef Cieslar weiß, daß viele der Probleme dadurch gegeben sind, daß die Hochschulen jahrzehntelang eher am Rand des öffentlichen Interesses standen und ihre Probleme jetzt nicht etwa auf einen Schlag behoben werden können. Dennoch sind es vor allem Sachen des täglichen Studentenlebens, die seine Kommilitonen in Rage bringen: fehlende Bücher, schlecht ausgestattete Bibliotheken, fehlende Räumlichkeiten zum Studium, aber auch ein eklatanter Mangel an Stühlen, so daß viele Studenten in den Hörsälen bei Vorlesungen stehen müssen.

Ein Kapitel für sich sind die unzureichenden Gehälter der Lehrkräfte, wie Jan Cieslar gegenüber Radio Prag erläutert:

"Auf die Pädagogen möchte ich schon etwas näher eingehen. Junge und erfolgreiche Absolventen verlassen nach dem Abschluß ihres Studiums die Hochschulen, weil sie keinen Grund dafür sehen dort zu verbleiben und sich wissenschaftlich zu betätigen. Das ist klar - wenn ich die Wahl hätte zwischen dem Verbleiben an der Universität, die mir jedoch nur einen sehr bescheidenen Lohn geben kann und einer besser dotierten Stelle z.B. in der Privatwirtschaft, würde ich auch nicht allzu lange überlegen. Als völlig ausgeschlossen finde ich von einem jungen Wissenschaftler an der Universität zu wollen, daß er es vielleicht nebenbei noch schafft eine Familie zu ernähren."

Die Verantwortung für die Finanzierung der Hochschulen müsse jedoch laut Cieslar weiterhin beim Staat, bzw. bei der Regierung liegen. Schon in der Vergangenheit haben nämlich einige tschechische Politiker gefordert, daß die Studierenden in irgendeiner Form an den Kosten für ihr Studium beteiligt werden sollten, was mehr oder minder verdeckt der Einführung von Studiengebühren gleichkommen würde. Das sei jedoch keine adäquate Lösung des Problems, wie Studentenvertreter Cieslar im Gespräch mit Radio Prag begründet:

"Die Regierung hat kein Geld und will deshalb Studiengebühren einführen. Aber das von Anfang an die falsche Lösung. Ich würde der Einführung von Studiengebühren nur dann zustimmen können, wenn sie bedeuten würden, daß die Studierenden für ihr Geld, sofern sie es natürlich haben und ausgeben wollen, eine Art zusätzlichen Komfort erhalten würden. Der Standard an universitären Dienstleistungen, wenn Sie so wollen, müßte dabei jedoch weiterhin wie bisher ohne Bezahlung gewährleistet werden. Zur Zeit sind aber nicht die Studenten an der Reihe, sondern der Staat - schließlich ist er dafür verantwortlich, daß wir jetzt diese Probleme haben. Ich denke aber sowieso, daß die gegenwärtige Diskussion sich nicht um die ideologische Frage drehen sollte, ob Studiengebühren eingeführt werden sollten, oder nicht, sondern es geht in erster Linie um die Sicherung der weiteren Existenz der tschechischen Hochschulen und Universitäten."

Proteste der Hochschulen gab es zwar vereinzelt auch schon in den vergangenen Jahren, aber dennoch ist diesmal vieles anders. Vor allem sind diesmal die Rektoren aller tschechischen Universitäten von Anfang an der Seite der Studenten. Gerade die Rektoren haben laut Cieslar lange Zeit auf den Verhandlungsweg vertraut. Nun sei aber auch ihnen der Geduldsfaden gerissen. Auf einer ihrer letzten Tagungen forderten die Rektoren der tschechischen Hochschulen die Regierung auf, die Mittel für die Universitäten in den nächsten 5 Jahren regelmäßig um 0,2 % des Bruttoinlandprodukts aufzustocken. Das würde den Schulen zusätzlich etwa 4 Milliarden Kronen einbringen (das sind ungefähr 220 Millionen Mark). Auch dann würde jedoch Tschechien im Vergleich zu anderen europäischen Industrieländern bedeutend weniger Mittel für die Universitäten ausgeben.

Dann wäre noch ein weiterer Umstand zu erwähnen, der die Proteste diesmal in einem anderen Licht erscheinen läßt. Im Gegensatz zu früheren Jahren, sind die Studenten diesmal nämlich mit ihren Anliegen von Beginn an die Öffentlichkeit gegangen und versuchten mit speziellen Aktionstagen oder Konzerten auf die schwierige Situation aufmerksam zu machen. Ebenso luden sie auch Vertreter der wichtigsten tschechischen Medien ein und die berichteten relativ detailliert über Studentenproteste. Auch Jan Cieslar stellt abschließend im Gespräch mit Radio Prag fest, daß die Anliegen der Studierenden diesmal in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen wurden:

"Die Reaktionen der Öffentlichkeit waren durchwegs positiv. Vielleicht waren Sie ja auch in unserer Aula, die wörtlich fast aus allen Nähten platzte, so daß viele Interessierte gar nicht Einlaß fanden. Auch das Medienecho war sehr positiv. Besonderes gut fand ich, daß die Veranstaltungen breit angelegt waren mit dem Ziel ein Maximum an Interessierten anzusprechen. Zudem nehme ich an, daß es am 17. November, der bei uns der Tag der Studenten ist, erneut zu irgendwelchen Aktionen kommen wird. In diesen Tagen fanden bereits erste Verhandlungen von Studentenvertretern aller Prager Hochschulen statt."

Soweit der Vorsitzende des Studentenrates an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität, Jan Cieslar. Radio Prag wird Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer auch über den weiteren Verlauf der Studentenproteste informieren.