Streit um EU-Grenzwerte für Luftverschmutzung
Laut einem Bericht des Umweltministeriums leben fast 60 Prozent der Tschechen an Orten, an denen die Grenzwerte für Luftverschmutzung dauerhaft überschritten werden. Besonders betroffen sind industriell geprägten Regionen in Mährisch-Schlesien, Nordböhmen und Prag. Trotzdem sind sich Politiker und Umweltschützer nicht einig, ob neue Grenzwerte der EU geforderten für die Luftverschmutzung umgesetzt werden sollen.
Schuld für den Dreck in der Luft sind vor allem Industrie, Kohleheizung und der Verkehr. Die Lage hat sich zwar im Vergleich zu kommunistischen Zeiten deutlich verbessert, aber sie ist weit entfernt von dem, was Wünschenswert wäre. Die Ökologen begrüßen daher den Vorstoß der EU, die Grenzwerte für Emissionen zu deckeln. Jan Rovenský von der Umweltorganisation Hnutí Duha (Bewegung Regenbogen):
„Die neu verabschiedeten Grenzwerte betreffen zum Beispiel Schwefeloxide, Stickstoffoxide, Feinstaub und Quecksilber. Alle diese Stoffe verbinden sich in der Luft zu Feinstaub, der für die Menschen sehr gefährlich ist. Dem offiziellen Umweltbericht zufolge ist die tschechische Schwerindustrie der Hauptsünder bei den Feinstaub-Emissionen, ihr Anteil liegt bei einem Drittel. Trotz der großen Investitionen in die Entschwefelung und anderer Umweltmaßnahmen in den 1990er Jahren sind sie weiter problematisch. Die Kohleverbrennung ist gerade dort immer noch massiv.“Die Industrie und einige Politiker sind aber gegen die Verschärfung. Das Industrieministerium schlug sogar vor, vorm Europäischen Gerichtshof gegen die neuen Grenzwerte zu klagen, wie dies bereits Polen macht. Die geschäftsführende Regierung von Premier Andrej Babiš (Partei Ano) lehnte dies aber ab, auch weil polnische Industriebetriebe wesentlich zur Luftverschmutzung in Mährisch-Schlesien beitragen. Das Hauptargument gegen schärfere Grenzwerte lautet, die notwendigen Investitionen würden nur einen sehr geringen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität leisten. Darüber hinaus wirft die Industrie der EU vor, ohne System die Spielregeln zu ändern. Martin Hájek ist Geschäftsführer des tschechischen Heizkraftwerksverbandes.
„Die Europäische Union hat schon 2010 eine Richtlinie über die industriellen Emissionen verabschiedet. Diese schreibt großen Betrieben vor, die Emissionen bis 2020 zu halbieren. Damit haben die Firmen kein Problem. Sie rechnen mit dieser neuen Vorschrift und arbeiten daran, diese zu erfüllen. Der Streit dreht sich aber um einen neuen Erlass aus Brüssel vom Sommer vergangenen Jahres, mit dem die erwähnten halbierten Grenzwerte noch einmal heruntergesetzt werden sollen. Diese Verschärfung soll 2030 in Kraft treten. Sie ist aber nicht sonderlich stark und wird der tschechischen Umwelt daher nur wenig helfen. Der finanzielle Aufwand wäre aber hoch: Viele Firmen müssten erneut umrüsten, weil die bisherigen technologischen Lösungen nicht ausreichen würden. Allein die Heizkraftwerke haben seit 2010 für die Erfüllung der neuen Emissionsgrenzwerte bereits eine dreiviertel Milliarde Euro investiert. Und bis 2020 werden weitere Millionen hinzukommen. Müssten sie für die Einhaltung der verschärften Grenzwerte noch zusätzlich Geld ausgeben, könnte dies die Energiepreise ansteigen lassen.“ Ein weiteres Problem sehen die Industrievertreter darin, dass die verschärften Grenzwerte manchmal technisch noch nicht erreicht werden können. Bei Quecksilber werde zum Beispiel erst nach passenden technischen Lösungen gesucht. Daher ließen sich noch nicht einmal die Kosten berechnen, hieß es.Diese Umstände sind den Umweltschützern durchaus bewusst. Bei Heizkraftwerken würden sie daher auch eine Ausnahme akzeptieren. Nicht aber bei Kohlekraftwerken, die Strom nur für den Export produzieren. Wie vor kurzem die Energieregulierungsbehörde mitteilte, stiegen 2017 die Stromexporte aus Tschechien so schnell wie noch nie zuvor – und zwar um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. En Drittel der Gesamtproduktion der tschechischen Kohlekraftwerke wird ausgeführt, dies entspricht dem kompletten Jahresverbrauch aller tschechischen Haushalte. Die schmutzigsten Anlagen könnte man also einfach schließen, finden die Ökologen. Gleicher Meinung ist auch eine Gruppe von Abgeordneten verschiedener Parteien. Sie fordern, Ausnahmen für Kohlekraftwerke gesetzlich zu untersagen. Dana Balcarová sitzt für die Piratenpartei im tschechischen Abgeordnetenhaus:
„Radikale Schritte zur Verbesserung der Luftqualität sind nötig. Die Folgen der Umweltbelastung sind gravierend, einer Studie zufolge sterben jährlich 11.000 Menschen hierzulande an den Folgen der hohen Luftverschmutzung. Die Giftstoffe aus der Luft setzen sich im Boden ab, belasten die Landwirtschaft und gelangen über die Lebensmittel in den menschlichen Organismus – es ist ein Teufelskreis. Das hat auch wirtschaftliche Konsequenzen: Die Kranken müssen behandelt werden, und zugleich fehlen sie am Arbeitsplatz. Unser Vorschlag, die verschärften Emissionsgrenzwerte ausnahmslos im Gesetz zu verankern, entspricht auch der staatlichen Energiepolitik, die mit einem Kohleausstieg rechnet. Eigentlich müsste der Staat darauf vorbereitet sein und über die nötigen Analysen verfügen. Warum es diese noch nicht gibt, ist mir ein Rätsel.“Allerdings verschmutzt nicht nur die Industrie die Luft hierzulande. Besonders in ländlichen Gebieten wird teilweise weiterhin mit Kohle geheizt. Seit einigen Jahren fördert der Staat den Austausch alter Kohlekessel gegen moderne Biomasse- oder Gasanlagen, dieser Prozess kommt aber nur langsam voran. Deswegen wird über ein mögliches Verbot nicht regulierter Kohleverbrennung diskutiert. Umweltminister Richard Brabec (Partei Ano) hat schon mehrmals gesagt, er wolle den Kommunen entsprechende Möglichkeiten an die Hand geben. Umweltschützer fordern daher eine effektive Subventionierung moderner Heizanlagen und höheren Gebühren für den Abbau von Kohle. Dann könnten auch sozial schwache Schichten auf Kohle verzichten, sagen sie. Die Kontrolle eins Kohleverbots sei einfach, fügt Dana Balcarová hinzu:
„Seit 2017 können die Kommunen kontrollieren, womit die Menschen heizen. Schon jetzt ist nämlich verboten, Abfälle im Ofen zu verbrennen. In der Praxis sieht es so aus, dass sich die zuständigen Beamten beim Verdacht eines Gesetzesverstoßes zur Kontrolle anmelden und einen Abstrich aus dem Schornstein nehmen. Sie müssen also nicht in die jeweilige Wohnung. Es kommt also nicht zu Eingriffen in das Privatleben, wie Gegner des Gesetzes gewarnt haben. Laut den bisherigen Erfahrungen wirkt die Vorschrift eher präventiv. Die Menschen achten also darauf, womit sie heizen, weil sie wissen, dass sie kontrolliert werden könnten. Soweit ich weiß, kommt es nur selten zu einer wirklichen Kontrolle.“Die dritte Ursache für die Luftverschmutzung ist der Verkehr. Autos ohne Partikelfilter dürfen laut Gesetz nicht auf tschechischen Straßen fahren, trotzdem sind es mehrere Hunderttausende, wie das Umweltministerium schätzt. Manche Menschen sparen nämlich und wechseln nicht regelmäßig den Filter. Obwohl dieses Problem schon seit vielen Jahren bekannt ist, gibt es immer noch keine Lösung. Die Polizei lehnt es ab, die Filter zu kontrollieren. Angeblich fehlt ihr die Ausrüstung dafür.
Und so wartet man hierzulande auf eine Gesetzesänderung, die eine effektivere Kontrolle ermöglicht. Die Stadt Prag hat vor kurzen eine eigene Initiative angekündigt: Sie will an bestimmten Orten Messanlagen installieren lassen, die anzeigen, ob ein Auto ohne Filter vorbeifährt. Dann hätte die Polizei einen Beweis und könnte den jeweiligen Fahrer bestrafen. Tschechische Städte haben zudem die Möglichkeit, Umweltzonen einzuführen. Bisher wird über solche Zonen hierzulande aber nur gesprochen, kein Rathaus hat sich bisher an die Umsetzung dieser Maßnahme gewagt.