Trendsetter in gefährdetem Umfeld: Minibrauereien in Tschechien
Sie stehen für den gehobenen Biergenuss: sogenannte Mini- oder Mikrobrauereien. In Tschechien machen sie mittlerweile rund zweieinhalb bis drei Prozent der Bierproduktion aus. Und sie setzen Trends. Aber auch die Minibrauereien leiden unter der Corona-Pandemie und den Lockdowns. Wie also lautet die Bilanz in diesem Jahr, und wohin geht die Reise auf dem Biermarkt? Dazu hat sich der neue Präsident des Verbandes der Minibrauereien, Michal Voldřich, gegenüber Radio Prag International geäußert.
Rund 500 Minibrauereien gibt es in Tschechien. Doch der große Boom der vergangenen zehn Jahre ist vorbei. Dies sagt Michal Voldřich. Er wurde im September neuer Chef des Böhmisch-mährischen Verbandes der Minibrauereien (Českomoravský svaz minipivovarů). Voldřich ist Mitgründer einer der ersten tschechischen Minibrauereien, sie entstand 1993 auf der Burg Zvíkov am Zusammenfluss von Otava und Moldau in Südböhmen. Er weiß daher auch, dass die unabhängigen, kleinen Brauereien sich erst einmal ihre Nachfrage schaffen mussten:
„Damals habe ich gleichzeitig noch bei Staropramen in Prag gearbeitet und mich die ganze Zeit über bemüht, den Gedanken zu verbreiten, dass kleine Brauereien eine Ergänzung sind zu den großen. Das Problem lag also nicht in der Konkurrenz der Produzenten untereinander, sondern bei den Kunden. Zu Beginn galten zum Beispiel obergärige Biere als verdorben, weil sie trüb sind. Anfang der 1990er Jahre haben die Menschen hierzulande nicht viel gewusst von doppelgehopftem oder naturtrübem obergärigem Bier. Deswegen haben wir es ziemlich stillos in Halbliterdosen verkauft, damit der Verbraucher nicht gleich die Trübung sah. Die Leute haben sich dann aber davon überzeugt, dass das Bier gut schmeckt. Wir waren also Vorreiter dafür, dass solche Sorten heute ganz normal gezapft werden und die früheren Probleme fast lächerlich erscheinen.“
Mittlerweile sind vor allem in den tschechischen Städten viele Kneipen entstanden, die auf sogenanntes Craft Beer setzen und mehrere Biere teils kleiner Brauereien zapfen. Und Verbandschef Voldřich glaubt auch nicht, dass es den spezifischen Kunden von Minibrauereien gibt. Vielmehr mag ein gewisser Teil der Biertrinker ab und zu mal etwas anderes…
„Die Kundschaft der großen und der kleinen Brauereien deckt sich zu großen Teilen. Wenn jemand in eine Kneipe mit Bieren der Minibrauereien geht, dann wegen der Spezialitäten dort. Momentan sind Ales besonders in Mode, aber genauso obergärige Biere. Dieselben Kunden gehen aber auch gerne auf ein Bier der großen Brauereien“, so Michal Voldřich.
Alle fünf Jahre neue Modewellen
Minibrauereien stehen bei den Trends meist ganz vorne. Laut dem Verbandschef kommen etwa alle fünf Jahre neue Biersorten in Mode:
„Interessant ist, dass jede Modewelle ihre Spuren hinterlässt. Zunächst waren dies – auch bei den großen Brauereien – stärkere untergärige Biere. Dann kamen ab 2000 ungefähr die obergärigen Sorten wie etwa Weizenbiere. Es folgten die Ales, ein weiterer Modetrend waren aromatisierte Biere. Mit der Zeit haben sie sich auch in den Restaurants festgesetzt, aber sie stehen für den Kunden nicht an erster Stelle. Ales und Stouts sind hierzulande seit sechs oder sieben Jahren in Mode, dazu sind in letzter Zeit vor allem saure Sorten aufgekommen.“
Minibrauereien sind in Tschechien genau definiert – es sind jene mit einem Jahresausstoß von bis zu 10.000 Hektolitern. Die größeren von ihnen beschäftigen laut Voldřich bis zu fünf ständige Mitarbeiter. Die Brauerei Zvíkov aber beispielsweise ist eher eine Mikrobrauerei, denn sie produziert nur bis zu 1000 Hektoliter im Jahr. Dort ist nur ein Braumeister angestellt. Doch wie ist das Verhältnis zu den Großbrauereien? Laut dem Verbandschef gut.
„Wir kommen ja schließlich aus demselben Gewerbe, daher sollten wir zusammenarbeiten. Die Großen und die Kleinen sollten sich nicht streiten. Das heißt, dass der Verband, den ich vertrete, und der Verband der Großbrauereien miteinander kooperieren – genauso wie Brauereien unterschiedlicher Größe im Einzelnen. Schon in den Verbänden haben sich ja Konkurrenten zusammengeschlossen, die ihren Markt erweitern und ihre Produkte im Ausland populärer machen wollen. Zum Glück ist, wie ich denke, die Zusammenarbeit zwischen den kleinen und den großen Brauereien ziemlich ordentlich“, findet Michal Voldřich.
Und was heißt das konkret?
„In einem Restaurant, das – sagen wir – klar zu Pilsner Urquell oder Budvar gehört, kann auch ein Zapfhahn sein für Biere aus unterschiedlichen Minibrauereien im Wechsel.“
Die meisten Minibrauereien haben im Übrigen auch die Lockdowns in diesem und im vergangenen Jahr überstanden. Im Endeffekt stieg die Zahl der Betriebe in Tschechien sogar leicht an. Das allerdings dürfe nicht fehlinterpretiert werden, betont Voldřich:
„Die Gesamtzahl sagt nichts über die wahre Lage aus. Denn in den vergangenen zwei Jahren wurden Projekte verwirklicht, die noch vor der Corona-Krise geplant worden waren. Das heißt: Ja, es gab einen Nettozuwachs an Minibrauereien. Dennoch ist die derzeitige Lage für sie und die Restaurants sehr ungünstig. Und weitere Brauereien werden zwar entstehen, aber auch andere schließen. Denn die Zeit, die nun hinter uns liegt, hat die Reserven selbst solcher Firmen erschöpft, die über ausreichend Kapital verfügt haben. Da aber die Menschen wegen der Corona-Auflagen nicht in solchem Umfang wie früher in die Restaurants gehen, sind wir in Existenznot geraten. Und die Regierung, die die unternehmerische Freiheit einschränkt, muss nun auch sagen, wie sie zu helfen gedenkt. Andernfalls können wir uns nur noch retten, indem wir die Preise erhöhen. Das ist aber ein Risiko, denn es könnte sein, dass die Menschen uns dann den Rücken zukehren. Es wäre allerdings ziemlich schade, wenn das Phänomen ‚tschechische Brauerei‘ verschwinden würde.“
Steigende Preise erwartet
Aber nicht nur die Beschränkungen für das Gastgewerbe machen den Brauereien zu schaffen, sondern auch die Kostenexplosionen in manchen Bereichen. Bei den Transportkosten bestehen zwar deutliche Unterschiede je nach Größe des Betriebs, andere Ausgabenposten bereiten laut dem Verbandschef jedoch allen dieselben Probleme:
„Die Lage bei Rohstoffen und Energie betrifft kleine wie große Unternehmen in gleichem Maße. Auch wir müssen Malz und Hopfen einführen. Der Preis für Malz ist aber dieses Jahr stark nach oben gegangen und auch der für Braugerste. Das muss sich letztlich im Endpreis niederschlagen. Der Anstieg könnte innerhalb eines Jahres insgesamt bis zu 20 Prozent betragen, mich würde das zumindest nicht überraschen.“
Während der größte Teil des Marktes für die Minibrauereien auf der hiesigen Kundschaft beruht, sind aber für einige Unternehmen auch ausländische Besucher sehr wichtig. Als bekanntestes Beispiel nennt Voldřich das beliebte Lokal U Fleků in Prag mit eigener Bierproduktion – einem süffigen dunklen Lagerbier…
„Es ist eine Ikone des tschechischen Brauereiwesens. Dabei hat das U Fleků immer auf Ausländer gesetzt. Insgesamt geht es um Restaurants, die bei Touristen aus dem Ausland beliebt sind. Nicht nur der Kunde von hier mag gerne Biere von Minibrauereien. Ganze Reisebusse werden ja aus dem Ausland hier hergefahren, wobei man dann in drei Tagen fünf Brauereien ansteuert. Derzeit fehlt aber gerade dieser Bereich der Nachfrage, der Biertourismus ist zum Erliegen gekommen“, weiß Michal Voldřich
Doch zurück zu den Trends auf dem tschechischen Biermarkt. Über viele Jahre führte dieser weg vom klassischen 10-gradigen Schankbier und hin zu kräftigeren Lagerbieren. Doch in letzter Zeit kehren die leichteren Brauformen wieder zurück:
„Das ist wirklich ein vollmundiges Bier, von dem man aber mehr trinken kann als im Fall von Lagerbieren. Vielleicht wird die Rückkehr zum 10-gradigen Schankbier ein neuer Trend – also nicht nur eine Modeerscheinung im Sommer. Sondern dass man sagt: Ich gehe heute auf ein Zehngradiges.“
Außerdem verweist der Fachmann auf eine weitere Entwicklung: Radler, die früher in Tschechien bei Biertrinkern verpönt waren, sind in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Seit einiger Zeit gibt es sogar Bier-Limonaden-Mischungen gänzlich ohne Alkohol. Michal Voldřich ist deswegen um die Zukunft der Minibrauereien auch nicht bange, ganz im Gegenteil:
„Da liegt noch so viel vor uns. Vielleicht wird der Zuwachs nicht so dramatisch sein wie in den vergangenen zehn Jahren, aber auf uns wartet in diesem Bereich mit Sicherheit eine sehr reiche Zukunft.“