Tschechen nehmen ihre Politiker ins Fadenkreuz und machen sie zu Schießbudenfiguren

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Vor drei Wochen wurde die tschechische Regierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Da gab es nicht nur einen Aufschrei in Prag, sondern auch in der ganzen Europäischen Union. Denn Tschechien hat gerade die Ratspräsidentschaft inne und steht also an der Spitze Europas. In den Monaten zuvor war viel schmutzige Wäsche gewaschen worden - Affären, Parteiaustritte, Schmiergeldangebote. Und sogar der Premier hat versucht hinter den Kulissen die Medien zu beeinflussen. Viele Menschen in Tschechien haben die Nase voll von ihren Politikern. Zwei Künstler haben nun auf ihre ganz eigene Weise reagiert. Sie haben eine Schießbude ganz besonderer Art eingerichtet und damit für einen großen Medienrummel gesorgt.

Ein kleiner, rechteckiger Raum ohne Fenster in der bekannten Prager Klub-Galerie Roxy-NOD. Der Besucher läuft direkt auf eine Wand zu, an der 200 kleine Foto-Portraits in Reih und Glied aufgehängt sind. Hinter weißen Plastikrahmen, geordnet nach dem Abc – Ordnung muss sein. In rund vier Metern Entfernung ist auf einem Ständer ein durchschlagskräftiges Luftgewehr befestigt. Eine radikale und makabre Form des Politbarometers, die sich zwei Kunststudenten aus Nordböhmen ausgedacht haben. In den Rahmen hängen nämlich die Fotos aller 200 Parlamentsabgeordneten. Der kunstinteressierte und politikverdrossene Galeriebesucher kommt, sieht und... schießt.

Eine Volksabstimmung mit der Kugel. Hier kann man seinen Aggressionen und seinem Politikfrust so richtig freien Lauf lassen und seinem „Lieblingspolitiker“ einen Schuss zwischen die Augen verpassen. Und das haben seit der Ausstellungseröffnung in der vergangenen Woche schon viele getan. Die bekanntesten Gesichter, Premier Topolánek und Sozialdemokraten-Chef Paroubek, sind schon völlig zerschossen. Aber auch Innenminister Langer war oft genug im Fadenkreuz – Waidmanns Heil!

„Es ist eine einfache und leicht verständliche Installation“, lobt der Kurator der Galerie, Milan Mikuláštík.

Er habe den beiden jungen Künstlern, die sich zusammen Czakra nennen, den Ausstellungsraum überlassen, ohne zu ahnen, was dort entstehen wird. Milan Mikulastik ist begeistert von der Installation, zielt und drückt ab. Hier bekomme fast jeder die Kugel, die er verdiene. Vor allem die Politiker, die am meisten über die Bildschirme in den Wohnzimmern flimmern. Die Idee zur Installation kam den jungen Künstlern, als vor drei Wochen die politische Krise endgültig ausbrach - durch das Misstrauensvotum gegen die Regierung. In den Monaten zuvor war viel schmutzige Wäsche gewaschen worden – Polit-Affären, Parteiaustritte, Schmiergeldangebote. Und sogar der Premier hatte versucht hinter den Kulissen die Medien zu beeinflussen. Und ganz nebenbei wurde die Regierung mitten in ihrer EU-Ratspräsidentschaft geschasst. Viele Tschechen und die meisten Europäer haben mit dem Kopf geschüttelt. Mit dieser Installation könne man das Gefühl der Ohnmacht wenigstens etwas kompensieren, meinen die Künstler.

Als sie die Ausstellungsinstallation ausheckten, war es nur wenige Tage her, dass in Deutschland bei einem Amoklauf 15 Menschen starben. Das hat Künstler und Kurator nicht davon abgehalten, die Idee der Politikerschießbude zu verwirklichen.

„Bei dem Fall in Deutschland ging es ja darum, dass jemand in die anonyme Menge von Bürgern geschossen hat. Aber hier haben Sie die Verantwortlichen vor sich“, sagt Kurator Mikuláštík.

Den Ausstellungsmachern geht es aber auch darum, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Michal Kraus

„Der eine muss seine Aggressionen loswerden und schießt tatsächlich, ein anderer legt die Kugel wieder beiseite und merkt, dass er nicht einmal auf Politiker-Portraits schießen will. Einige schauen sich auch nur das Resultat an.“

Das Interesse der Bürger an der Politikerjagd ist jedenfalls groß. Vor dem Luftgewehr haben sich in den ersten Tagen Schlangen gebildet. „Politiker abschießen? Eine Spitzenidee“, meint ein rund 30-jähriger Mann. Er wolle sich gerade am Eingang die Patronen abholen. Ein harmlos aussehender, freundlich dreinblickender junger Mann mit Baseball-Kappe und Freundin im Arm steht vor den Portraits und guckt sich sein Polit-Opfer aus:

„Mich reizt das ganze Konzept. Das ist ziemlich interessant, seinen eigenen Abgeordneten abzuknallen. Jedenfalls sind Leute darunter, die das verdient hätten. Und zur Unterhaltung ist das alles andere als eine schlechte Idee.“

Er legt an - getroffen! Olga Zubová, bis vor Kurzem noch Abgeordnete der Grünen. Ihre Stimme war beim Misstrauensvotum im Parlament das Zünglein an der Waage.

„Ausgezeichnet, einfach ausgezeichnet. Aber das ganze bräuchte etwas mehr Publicity, Plakate auf der Straße, dass man hier auf Politiker schießen kann. Das macht doch jeden glücklich.“

Ob das nicht gefährlich sei. Schließlich ist der Schritt zur realen Tat vielleicht gar nicht mehr so groß? Der 45-jährige Mann winkt ab:

„Was ist heutzutage schon gefährlich. Unsere Republik treibt gerade weiß Gott wohin, da ist doch alles schon egal. Unsere Regierung ist eine Tragödie. Ich glaube, die Installation hier ist für niemanden eine Bedrohung – leider, muss man wohl sagen.“

Wer aber glaubt, dass diese Art von Abrechnung eher Männersache ist, liegt falsch. „Mich juckt es im Finger“, sagt eine junge Tschechin, die vorerst nur die Bilder interessiert anschaut.

„Ich habe gleich mehrere Favoriten. Die drei Kugeln, die man hier bekommt, reichen wohl nicht aus. Und überhaupt, egal ob ich mein Ziel auch treffe, so richtig daneben kann man hier gar nicht schießen.“ Also auf, die Kugeln geholt.


Aber es gibt auch sie, die abwehrenden Reaktionen, wenn auch nur vereinzelt. Eine ältere Frau, so erzählt der Kurator, sei auf Krücken in die Galerie gehumpelt, um sich zu überzeugen, ob das auch wahr ist, was in den Fernsehnachrichten berichtet wurde. Eine Menschenjagd sei das, sie habe die ganze Nacht nicht schlafen können.

Und auch ein Journalist, der hier für die größte Tageszeitung seine Recherchen macht, schüttelt mit dem Kopf:

Ein Gewehr zur Hand zu nehmen und in das Gesicht eines Politikers zu feuern, das ist für mich keine Art der Kommunikation und passt mir absolut nicht“, meint der Journalist. Hier werde sogar ein gewisses Naturell der Tschechen erkennbar:

„Das ist eine schlechte Art, in einer demokratischen Gesellschaft mit den Politikern abzurechnen. Leider zeigt sich hieran, dass die Tschechen zwanzig Jahre nach ihrer friedlichen Samtenen Revolution, nicht besonders weit gekommen sind.“

Und die Parlamentarier selbst? Was halten sie von der Schießbude, in der sie die Hauptrolle spielen? Der konservative Abgeordnete Jiří Janeček wirkt im Tschechischen Fernsehen etwas bemüht:

„Gute Idee. Wenn Politiker dadurch zur Unterhaltung beitragen können, dann ist das einfach gut. Politiker könnten sich ein Beispiel daran nehmen.“

Der Sozialdemokrat und frühere Kulturminister Vitězlav Jandák ist erbost und greift im Affekt in die kommunistische Klamottenkiste:

„Die Jungs haben offensichtlich von ihren Eltern eine tiefe Verwurzelung im Kommunismus geerbt. Wenn sie sich ein Gewehr als Symbol aussuchen und sagen ´Schieß doch!´, dann ist da irgendetwas Krankhaftes in den Kindern.“

Die zerschossenen Gesichter sollen Ende April den einzelnen Abgeordneten überreicht werden. Ob sie das politische Klima verändern, ist wohl eher fraglich. Fest steht aber wohl: Ein Gefühl der Ohnmacht in einen gezielten Schuss umzuwandeln, davon träumt manch einer vielleicht auch in Deutschland oder anderswo. Damit an die Öffentlichkeit zu gehen, das würde man sich aber gründlichst überlegen.

Fotos: Alexis Rosenzweig