Selbstkorrektur vs. Vulgarismus: Herrscht in Tschechien eine politische Hyperkorrektheit?

Marek Eben

Politische Korrektheit ist in Tschechien eher verpönt als gewünscht. Genderangepasste Sprache wird in den Mainstreammedien nur selten angewandt, und der politische Diskurs ist voll von persönlichen Angriffen und Geschmacklosigkeiten. Die oft sehr aufgeregte Debatte um einen respektvollen Umgang miteinander und darüber, was man denn überhaupt noch sagen dürfe und was angeblich nicht, ist kürzlich wieder angeheizt worden. Anlass ist diesmal eine süffisante Bemerkung des bekannten Moderators Marek Eben. Sein Vergleich der heutigen politischen Korrektheit mit den einstigen Dogmen der kommunistischen Partei hat sowohl für Zustimmung als auch für harsche Kritik gesorgt.

Film „Der Scherz“ | Foto: Ian Willoughby,  Radio Prague International

Es sollte vielleicht nur ein nonchalanter Seitenhieb sein auf das, was im Bestreben nach politischer Korrektheit oft noch als verkrampft wahrgenommen wird. Marek Eben, dem für gewöhnlich ein sanfter und eher verschmitzter Humor zu eigen ist, zog beim Internationalen Filmfestival in Karlovy Vary / Karlsbad bei der Ankündigung des kommunismuskritischen Films „Žert“ (Der Scherz) von 1968 einen Vergleich zur heutigen Zeit. Es seien neue Parteisoldaten auferstanden, polemisierte der Moderator, und diese würden die politische Korrektheit ebenso überwachen wie früher die Führungsrolle der Partei. Das Publikum applaudierte, in den sozialen Netzwerken aber folgte ein Shitstorm.

Kritik übt auch Petr Honzejk, politischer Kommentator bei der Tageszeitung Hospodářské noviny (Wirtschaftszeitung). Er halte Ebens Ausspruch für Unsinn, sagte Honzejk in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks und führte zwei Gründe an:

Petr Honzejk | Foto:  Tschechischer Rundfunk

„Zum Ersten ist der Vergleich mit dem totalitären Regime absolut unangebracht, worauf auch immer er sich in der heutigen Zeit bezieht. Wo gibt es denn jetzt Verhaftungen aus Gründen der politischen Korrektheit? Im Kommunismus gab es solche politischen Gefangenen aber zu Hunderten und Tausenden. Zum Zweiten bezieht sich Marek Eben auf die tschechischen Verhältnisse. Aber in diesem Kontext gibt es keinerlei Problem mit politischer Korrektheit. Ganz im Gegenteil: In Tschechien herrschen Rüpelhaftigkeit und Maßlosigkeit, und die vergiften die politische Debatte.“

Es gebe also keinen Grund, sich aktuell über eine übertriebene Höflichkeit zu beschweren, findet Honzejk. Das sieht Patrik Nacher allerdings anders. Der Abgeordnete der populistischen Partei Ano verweist in der Selbstdarstellung auf seinem Twitter-Profil unter anderem auf den – Zitat – „Wahnsinn der korrekten Zeit“. In der Rundfunkdiskussion mit Petr Honzejk entgegnete Nacher:

Patrik Nacher | Foto: Eliška Chocholová,  Tschechischer Rundfunk

„Was nach nur einem Satz von Marek Eben losgetreten wurde, beweist für mich, dass er Recht hat. Denn die Reaktionen der Opponenten sind mitunter sogar aggressiv. Da werden etwa alte Geschichten aus der Vergangenheit von Marek Eben hervorgeholt. Dies zeigt nur, dass er beim Thema ins Schwarze getroffen hat. Und die Leute regt das so auf, dass sie persönlich werden und ad hominem argumentieren – also gegen die Person und nicht gegen ihre Äußerung.“

Dass Marek Eben offenbar einen Nerv getroffen hat, gesteht auch Petr Honzejk zu:

Roma | Illustrationsfoto: Martin Dorazín,  Tschechischer Rundfunk

„Sicher hat er eine Stimmung erfasst. Darum würde ich dies auch als konjunkturelle Angelegenheit bezeichnen. In Tschechien hat eine ganze Menge von Leuten das Gefühl, dass sich neuzeitliche Parteisoldaten auf sie einschießen und ihnen etwas verbieten wollen. Aber hier wird niemandem etwas verboten. Ansonsten hätten wir doch keinen Präsidenten, der immer wieder Roma beleidigt. Im Abgeordnetenhaus gäbe es dann auch keine offen xenophobe Partei. Und in Umfragen würden nicht 76 Prozent der Frauen angeben, dass ihnen auf der Straße nachgepfiffen wird oder sie begrapscht werden.“

Die Parlamentspartei, auf die sich Honzejk hier bezieht, ist die Rechtsaußengruppierung „Freiheit und direkte Demokratie“ (Svoboda a přímá demokracie, SPD) von Tomio Okamura. Politisch unkorrekte Ausfälle von Staatspräsident Miloš Zeman gibt es zudem regelmäßig. Zu den unrühmlichen Bonmots gehört etwa der Trinkspruch, in dem das Staatsoberhaupt beim Winzerwettbewerb Salon vín (Weinsalon) 2015 Abstinenzlern und Vegetarianern den Tod gewünscht hat. Und in einem Interview im Privatfernsehsender CNN Prima News ließ Zeman im Juni vergangenen Jahres verlauten, dass ihm Transgender-Personen von Grund auf zuwider seien.

Bedenken, was aus dem Westen nach Tschechien hinüberschwappt

Illustrationsfoto: Andrew Sides,  Flickr,  CC BY-NC 2.0

Solche Bemerkungen sind zumeist wenig konstruktiv. Patrik Nacher zumindest versteht seine Argumente als Beitrag zum demokratischen Meinungsaustausch. Aber auch als Warnung vor dem, was aus anderen westlichen Ländern in nur wenigen Jahren in Tschechien Einzug halten könnte:

„Nach den aktuellsten Nachrichten wird erforscht, warum es so wenig Fahrer mit dunkler Hautfarbe bei der Tour de France gibt. Mit solchen Dingen beschäftigen wir uns also. Oder auch, wie viele Schwarze bisher den Mount Everest bestiegen haben und dass dies einen rassistischen Eindruck macht. All diese Bereiche werden durchdrungen mit den Themen Geschlecht, Gender, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe. US-amerikanische und britische Universitäten beseitigen schon Statuen und relativieren ihre eigene Geschichte. Das ist absurd.“

Auch Petr Honzejk weiß von Cancel culture und Beispielen, dass sexistische oder rassistische Äußerungen in anderen Ländern zum Jobverlust führen können…

Publikum auf dem Filmfestival im amerikanischen Los Angeles | Illustrationsfoto: Louise Bisset,  Flickr,  CC BY-SA 2.0

„Wenn Marek Eben diese Sätze auf einem englischen oder amerikanischen Festival gesagt hätte oder zu einem globalen Publikum, würde ich ihn tatsächlich als mutig bezeichnen. Denn dann wäre er gleich von einer großen Unmutswelle überrollt worden. Dies ist der Unterschied zwischen den Verhältnissen im Westen und in Tschechien.“

Das will Patrik Nacher aber nicht gelten lassen. In der Diskussionsendung erläuterte er, was genau ihn am Konzept der politischen Korrektheit stört:

Illustrationsfoto: Mike Ngo,  WOCinTech Chat,  Flickr,  CC BY 2.0

„Ich verstehe sie als extreme Überempfindlichkeit und als Niedertrampeln jeder anderslautenden Meinung. Wenn Kollege Honzejk sagt, dass es dies bei uns nicht gibt, hat er Unrecht. Menschen, die hierzulande in multinationalen Konzernen arbeiten, bestätigen – meist anonym oder aber öffentlich, wenn sie sowieso schon rausgeworfen wurden –, dass die sogenannte Diversität und andere Dinge, die sich gegen jede Unternehmenslogik wenden, aus solchen Konzernen schon auf tschechische Firmen übergreifen. So wird etwa der Anteil von Homosexuellen oder von Frauen in der Firmenführung ermittelt. Dabei spielt aber keine Rolle, ob diese gute oder schlechte Mitarbeiter sind und welche Leistung sie erbringen.“

Es sei doch erniedrigend für die betreffenden Mitarbeiter, wenn sie eine Position nur aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientieren bekämen, ergänzt der Ano-Abgeordnete. Kommentator Honzejk hat hingegen ein anderes Verständnis von politischer Korrektheit und führt stellvertretend ein Zitat des verstorbenen Schriftstellers und Diplomaten Jiří Gruša an:

Jiří Gruša | Foto: Harold,  Wikimedia Commons,  CC BY 3.0

„Als ich ihn kurz vor seinem Tod fragte, wie er zur politischen Korrektheit stehe, hat er gelacht und gesagt, man müsse sich erst einmal darüber klar werden, was das eigentlich sei – nämlich die Fähigkeit, sich zu korrigieren. Wenn jemand behauptet, dabei würde etwas verboten, dann trifft das auf Tschechien auf keinen Fall zu. Zeigen Sie mir nur einen Fall, bei dem jemand Probleme bekam für eine Äußerung, die der Sprechende selbst als unkorrekt bezeichnen würde. Für gewöhnlich sind dies dumme und rassistische Bemerkungen, und sie kommen von Menschen, die eine Selbstkontrolle verweigern.“

Verweigerte Selbstkontrolle im Namen der Meinungsfreiheit

Der Aufruf, in öffentlichen Debatten politisch korrekter zu sein, würde eben nicht zu einer Selbstzensur oder gar zu einem Redeverbot führen, fügt Honzejk an. Menschen, die ihre explizite politische Unkorrektheit als verdienstvollen Kampf um die Meinungsfreiheit ansehen, fühlten sich durch Debatten, wie sie etwa um den Ausspruch von Marek Eben entstehen, geradezu bestätigt, so der Kommentator. Und letztlich grenzt sich auch Patrik Nacher von bösartigen Angriffen auf der persönlichen Ebene ab. Freilich nicht ohne vorher noch einmal kritisch auf die gesellschaftliche Ebene zu schauen…

Londoner Metro | Illustrationsfoto: miss_ohara,  Flickr,  CC BY-NC 2.0

„Ich gebe ein Beispiel: In der New Yorker und Londoner Metro oder an Bord von Lufthansa-Flugzeugen wird nicht mehr angesagt ‚Guten Tag, meine Damen und Herren‘, sondern ‚Guten Tag Ihnen allen!‘ Denn es könnte sich jemand weder als Dame noch als Herr angesprochen fühlen. Dies nenne ich Überempfindlichkeit. Denn es geht nicht um eine konkrete Person, sondern allgemein um eine Gruppe von Leuten, deren Anzahl aber im Promillebereich liegt. Trotzdem wird dies geändert, und das ist politische Hyperkorrektheit. Etwas anderes ist, wenn jemand persönlich und direkt eine andere konkrete Person angreift mit dem Vorwurf, sie sei zu klein, zu dick, zu groß, sie trage eine Brille oder sei homosexuell. Da gebe ich Petr Honzejk Recht, dies gehört auch meiner Ansicht nach nicht in den öffentlichen Raum. Und dabei ist es egal, ob es sich um meinen politischen Gegner handelt oder nicht.“

Die Bezüge, die in der Rundfunkdebatte mit Petr Honzejk und Patrik Nacher anklingen, lassen vielleicht erahnen, wie erhitzt das Thema politischer Korrektheit in der tschechischen Öffentlichkeit sowie der Halböffentlichkeit der sozialen Netzwerke diskutiert wird. Selten wird dabei ein kühler Kopf bewahrt, oft widersprechen sich die Argumente. Kommentator Honzejk versuchte darauf noch mit einer zusammenfassenden Polemik hinzuweisen:

Marek Eben  (rechts) | Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary

„Marek Eben, der wohl witzig sein wollte und geschätzt werden will, hat etwas dahingesagt. Ist ihm daraufhin etwas geschehen? Er war einiger Kritik ausgesetzt, auch unkorrekter. Sollte er aber sowieso ein Anhänger politischer Unkorrektheit sein, dürfte ihn das allerdings nicht stören.“

Autoren: Daniela Honigmann , Karolina Koubová
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