Tschechien auf der Überholspur: Wahlkampfschlager Wirtschaftswunder?

Präsident Vaclav Klaus (Foto: CTK)

Das Wahljahr 2006 begann - was die politische Agenda betrifft - wie üblich mit der Neujahrsansprache des Präsidenten. Nur einen Tag später war es dann der Finanzminister, der sich im Scheinwerferlicht der Medien sonnte. Und zwar aus einem für ihn durchaus positiven Anlass. Das Budgetdefizit 2005 ist nämlich nicht nur niedriger als im Jahr zuvor, sondern - und das ist die größere Überraschung - auch viel niedriger als geplant. Für die Regierung kein schlechter Start. Oder etwa doch? Gerald Schubert war auf der Pressekonferenz des Finanzministers und hat sich auch nach Reaktionen umgehört.

Finanzminister Bohuslav Sobotka  (Foto: CTK)
Voraussichtlich im Juni werden die Tschechinnen und Tschechen ein neues Abgeordnetenhaus wählen. Da kommt es der sozialliberalen Regierung natürlich recht gelegen, wenn sie nicht nur auf sinkende Arbeitslosenzahlen hinweisen kann, sondern auch auf ein sinkendes Budgetdefizit. Etwa 27 Milliarden Kronen, also umgerechnet knapp zwei Milliarden Euro, betrug dieses im Vorjahr. Das ist um fast eine Milliarde Euro weniger, als vom Abgeordnetenhaus veranschlagt. Zu den Gründen für dieses erfreuliche Ergebnis sagt Finanzminister Bohuslav Sobotka:

"Sie liegen vor allem in der guten Entwicklung der tschechischen Wirtschaft. Die logischen Folgen sind höhere Gewinne der heimischen Unternehmen und damit auch höhere Steuereinnahmen durch den Staat. Dabei haben wir im Jahr 2005 mit einer einzigen Ausnahme, nämlich der Tabaksteuer, keine Steuern erhöht. Wenn also manche Leute behaupten, dass wir aufgrund von Steuererhöhungen mehr Geld in die Staatskasse bekommen haben, dann ist das schlicht und einfach nicht wahr."

Eines der Hauptstandbeine für die gute Wirtschaftsleistung ist die tschechische Außenhandelsbilanz. Mit anderen Worten: Es wird mehr exportiert als importiert. Laut der Ökonomin Marketa Sichtarova ist dies aber freilich nicht nur das Ergebnis einer erfolgreichen heimischen Wirtschaftspolitik:

Ökonomin Martketa Sichtarova
"Hintergrund dieses Exportanstiegs sind auch die wirtschaftliche Belebung in Deutschland und die allmählich wieder sinkenden Erdölpreise. Der Umfang der Importe sollte also weiterhin langsamer ansteigen als der unserer Exporte. Das Jahr 2005 hat einen Rekordüberschuss des Außenhandels gebracht. Und 2006 wird dieser Überschuss wahrscheinlich noch größer werden, wenn wir entsprechende exportorientierte Güter produzieren."

Blickt man auf die Balkendiagramme, die vom tschechischen Finanzministerium anlässlich des Budgetberichts veröffentlicht wurden, so fällt jedoch nicht nur das Absinken des Defizits in den Jahren 2004 und 2005 auf, sondern auch ein rasanter Ausschlag nach oben im Jahr 2003. Die extrem schlechte Jahresbilanz von damals ist aber nicht der statistische Grund für die positive Entwicklung der Gegenwart. Denn noch geringer als im abgelaufenen Jahr war das Defizit zuletzt nur 1997. Trotzdem erklärt der Finanzminister den Grund für das Haushaltsdebakel 2003:

"Das Gedächtnis der Menschen ist oft sehr kurz. Deshalb möchte ich hier daran erinnern, warum das Defizit 2003 so rasant gestiegen ist. Ein Jahr zuvor gab es in Tschechien die größte Flutkatastrophe in der Geschichte des Landes, 2003 haben wir den Großteil der Schäden beseitigt. Außerdem mussten wir im selben Jahr etwa 350 Millionen Euro an CME bezahlen, nachdem wir das internationale Schiedsgerichtsverfahren verloren hatten."

Die Firma CME, also Central European Media Enterprises, hatte die Tschechische Republik wegen mangelnden Investitionsschutzes verklagt. Zuvor hatte das Unternehmen viel Geld in den tschechischen Privatfernsehsender Nova gepumpt, der mit seinem Boulevardprogramm auch bald zum heimischen Quotenkaiser aufgestiegen war. Der damalige Nova-Generaldirektor Vladimir Zelezny kontrollierte auch jene Firma, die die Sendelizenz innehatte - und diesen Vorteil wusste er einzusetzen. Als ihm der Augenblick günstig erschien, sagte er sich von seinen Geldgebern los. CME verklagte die Republik - und bekam Recht. Die Entschädigung für CME riss damals ein beachtliches Loch in die Staatskasse. Gegen Zelezny selbst, der oft auch als "tschechischer Berlusconi" bezeichnet wird, wird wegen diverser Finanzvergehen nun ebenfalls ermittelt. Mit seinem Bekanntheitsgrad hat er es zwar als Politiker zuerst in den tschechischen Senat und dann ins Europaparlament gebracht, vor einiger Zeit aber wurde seine parlamentarische Immunität aufgehoben. Die Untersuchungen laufen.


Noch wichtiger als die bisher genannten absoluten Zahlen ist das Verhältnis des Defizits zum Bruttoinlandsprodukt. Und zwar insbesondere vor dem Hintergrund der so genannten Maastricht-Kriterien. Diese sehen ja unter anderem vor, dass die jährliche Neuverschuldung für Staaten der Euro-Zone nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen darf. Diesen Wert hat Tschechien bereits im Jahr 2004 erreicht, obwohl das Land den Euro erst 2010 einführen will. Einige Analytiker hatten damals, also 2004, von einem Pyrrhussieg gesprochen, von einem Ausnahmeergebnis, das wohl nicht so leicht wiederholbar wäre. Die pessimistischen Stimmen hätten geirrt, sagt Finanzminister Sobotka:

Foto: Europäische Kommission
"Im Jahr 2005 haben wir es sehr wohl geschafft, dieses Ergebnis zu halten. Wir erwarten aufgrund vorläufiger Berechnungen des Ministeriums, dass das Haushaltsdefizit 2005 sogar auf 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken sein könnte. Das heißt: Wenn bereits jetzt die Übernahme des Euro vor der Tür stünde, dann würden wir das Kriterium, unter drei Prozent Neuverschuldung zu bleiben, bereits erfüllen."

So erfreulich all diese Daten für das sozialdemokratisch geführte Kabinett aber auch sein mögen: Tschechien steht 2006 ein harter Richtungswahlkampf bevor. Die konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) hat mit ihren Flat-Tax-Plänen eine radikale Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik angekündigt, sollte sie die Wahlen gewinnen. Ein Experiment, vor dem die Sozialdemokraten bereits jetzt eindringlich warnen. Umgekehrt aber warnen die Konservativen davor, dass die Sozialdemokraten künftig mit den Kommunisten gemeinsame Sache machen könnten - ein Schreckgespenst für Viele. In der fünf Monate vor den Wahlen bereits recht aufgeheizten Atmosphäre hat sich nun auch Präsident Vaclav Klaus mit einem Kommentar zu den aktuellen Budgetdaten zu Wort gemeldet. Das so gering ausgefallene Defizit hält Klaus, der Ehrenvorsitzende der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), erwartungsgemäß nicht gerade für einen Grund zum Jubeln.

Präsident Vaclav Klaus  (Foto: CTK)
"Ich war früher selbst Finanzminister. Und ich weiß noch, wie wir damals immer bis zum letzten Moment gerechnet haben, wie hoch das Defizit tatsächlich ist, und wie im letzten Moment noch irgendwelche neuen Rechnungen kamen, die wir noch aus dem alten Budget bezahlen mussten. Wir haben dann nervös nach den Gründen von Milliardendifferenzen gesucht. Dass die jetzige Regierung nun plötzlich entdeckt, dass 27 Milliarden gespart wurden, das ist ein Beweis für das unglaubliche Polster, das sich die Sozialdemokraten für das Jahr 2005 gelassen haben. Für die Menschen ist es natürlich gut, dass das Defizit niedriger war als geplant. Aber stolz kann die Regierung darauf nicht sein. Das ist ein totales Versagen der Regierung, ein totales Versagen des Finanzministeriums."

Um die wirtschaftliche Entwicklung Tschechiens steht es im Großen und Ganzen nicht schlecht, die meisten Indikatoren zeigen in eine positive Richtung. Dass die Regierung nun auch auf die - wie auch immer man es sehen will - einigermaßen überraschende Haushaltsbilanz hinweist, ist klar. Dass der konservative Präsident und Ökonom Klaus postwendend zur Kritik ansetzt, konnte ebenfalls erwartet werden. Das Wahljahr 2006 hat begonnen.