Tschechien eine Woche vor den Wahlen
Genau eine Woche vor den Wahlen zum tschechischen Parlament ist es vielleicht angebracht eine erste Bilanz über den bisherigen Verlauf des Wahlkampfs zu ziehen und auch einen Ausblick auf die Zeit unmittelbar danach zu wagen. Deshalb werden wir sowohl heute, als auch nächste Woche versuchen Ihnen, verehrte Hörerinnen und Hörer die Meinungen von profilierten tschechischen Kommentatoren zum diesjährigen Wahlkampf näher zu bringen. Für unsere erste Wahl-Sondersendung haben wir uns mit Petr Fischer, dem Chefkommentator der Tageszeitung Lidové noviny und seinem Kollegen Petr Uhl von linksliberalen Zeitung Právo unterhalten.
"Meiner Meinung nach ist die Situation sehr ähnlich: diese Patt, in welchem sich die tschechische Gesellschaft jetzt befindet. D.h. also ungefähr eine Hälfte der Stimmen für die Sozialdemokratie und die andere für die demokratische Rechte. Aber was ganz neu ist: das ist Nationalismus und Xenophobie. Das gab es vor vier Jahren nicht. Heute kommen die Parteien mit populistischen Losungen gegen Ausländer, gegen Deutsche, gegen Roma. Und natürlich für die Benes-Dekrete. Diese deutsche Karte ist eine Wahlkarte geworden."
Sein Kollege von der Lidové noviny glaubt hingegen, dass wirklich grosse Themen diesmal fehlten, oder die Politiker wirklich großen Konfrontationen absichtlich aus dem Weg gingen, wie er gegenüber Radio Prag erläutert:
"Ich glaube, die Wahlkampagne war nicht besonders markant. Es fehlte ein großes Thema. In der vorigen Wahlkampagne war es der Kampf gegen den Sozialismus, dieses Thema gehört schon der Vergangenheit an. Auch der Beitritt zur EU ist kein großes Thema geworden. Die ODS hat die Präsentation mittels kurzer Wahlsprüche und -slogans gewählt und die anderen Parteien haben sich angepasst. Also im Ganzen ein bisschen teure Fadheit."
Wegen der von Petr Fischer erwähnten Inhaltsleere, die den diesjährigen Wahlkampf kennzeichnete, ist es also nicht überraschend, dass völlig unerwartete Wendungen und Ereignisse in der heimischen Politik einige Tage vor dem Wahltermin für großen Wirbel sorgen können. Zu so einem Ereignis gehört zweifelsohne der überraschende Rücktritt des durchaus populären Prager Oberbürgermeisters Jan Kasl, der vergangene Woche nicht nur sein Amt niederlegte, sondern auch gleich seine Partei, die rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) verliess und ihr somit ausgerechnet in deren traditionellen Hochburg Prag einen empfindlichen Dämpfer verpasste.
Petr Fischer von Lidové noviny hat diesbezüglich aus seiner Skepsis keinen Hehl gemacht, denn in seinen Augen sei der Wahlkampf bereits gelaufen:
"Nein, eine große Überraschung oder sogar eine Bombe würde ich nicht mehr erwarten. Und auch der überraschende und für die ODS unglücklich anberaumte Rücktritt von Primator Kasl beeinflusst die Wahlergebnisse. Überzeugte ODS-Sympathisanten fühlen sich noch mehr in der eigenen Wahrheit bestärkt und die anderen Wähler können noch mehr mit der ODS sympathisieren. Aber die Karten sind schon im Voraus vergeben. Die Sozialdemokraten gewinnen nach der Meinung von Soziologen eher die unentschlossenen Wähler."
Ähnlich auch die Einschätzung des Pravo-Kommentators Petr Uhl, wenn er meint:
"Das kann immer passieren, dass ein Skandal o.ä. kommt. Aber meiner Meinung nach spielt das nicht so eine große Rolle. Das Bild des Prager Rathauses ist wirklich schrecklich. Dort gibt es wirklich Korruption - vielleicht indirekt -, Kasl hat darüber sehr viel gesagt. Aber die Prager ODS-Wähler sind so ideologisch orientiert, dass sie trotzdem der Klaus-Partei ihre Stimme geben werden. Meiner Meinung nach sind solche Skandale wie der mit Kasl für die Wahl nicht so wichtig. Vielleicht wird es etwas mehr Leute geben, die nicht zu den Wahlen kommen."
Eine der vielleicht interessantesten Fragen im Zusammenhang mit den diesjährigen Wahlen war jene nach den künftigen Regierungskonstellationen. Insbesondere wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass Präsident Vaclav Havel wahrscheinlich von seinem Recht Gebrauch machen wird nicht unbedingt den Wahlgewinner mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Soll also Havel diesen Freiraum, den ihm die Verfassung zugesteht, aktiv nutzten? Petr Uhl von der Právo vertritt dabei eine ganz klare Position:
"Meiner Meinung nach ist die Verfassung ganz klar: Es ist die Entscheidung des Präsidenten. Nirgendwo ist geschrieben, dass er den Wahlsieger als Ministerpräsidenten nominieren muss. Meiner Meinung nach - und Havel hat das schon mehrfach fast gesagt - wird das so sein, dass Havel Konsultationen führen wird. Und während dieser Konsultationen wird klar sein, ob z.B. die Sozialdemokratie fähig sein wird, mit der Koalition eine Regierung zu bilden oder nicht. Oder ob eine Lösung die große Koalition ist: ODS und Sozialdemokraten."
Petr Fischer geht in seiner Einschätzung noch etwas weiter, wenn er im folgenden einige der möglichen Koalitionsvarianten überlegt:
"Also, es gibt zwei Möglichkeiten: Falls die Sozialdemokraten die Wahl gewinnen, beauftragt Präsident Havel mit der Regierungsbildung Vladimir Spidla. Aber bei einem Wahlsieg von Vaclav Klaus, kann Klaus nicht sicher sein. Die Sozialdemokraten haben relativ klar angedeutet, dass sie nicht mit der ODS zusammenarbeiten wollen. Also, falls die Koalition und die Sozialdemokraten zusammen die Stimmenmehrheit gewinnen, beauftragt Havel diese beiden Parteien trotz Klaus' Wahlsieg. Klaus kann aber auch noch einen anderen Trumpf ausspielen, und zwar seinen Abtritt. Und dann kann es möglich sein, dass die ODS die Regierung bildet."
Die Ausführungen Fischers gehen jedoch von einer wichtigen Prämisse aus: Die tschechischen Kommunisten, die den Umfragen zufolge wahrscheinlich zulegen werden, werden in diese Verhandlungen nicht einbezogen. Noch vor den letzten Wahlen wäre diese Feststellung nicht notwendig gewesen, da die frühere Staatspartei völlig isoliert war. In den vergangene vier Jahren änderte sich jedoch die Rolle der tschechischen KP, die sich im Parlament zu dem verlässlichsten Partner der regierenden Sozialdemokraten mauserte. Diese stille Zusammenarbeit gipfelte dann während der Verabschiedung der bekannten Parlamentsresolution zu den Benes-Dekreten, wobei die Kommunisten von Beginn an den Beratungen über den Resolutionstext beteiligt waren. Petr Uhl sieht diese Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie er im folgenden erklärt:
"Diese Integration der Kommunisten ist jetzt da. Meiner Meinung ist sie positiv. Man kann die Kommunisten nicht immer in der Isolation halten - als demokratische Kraft, die sie natürlich sind. Etwas anderes ist, wie die Kommunisten selbst ihre eigene Vergangenheit analysieren. Meiner Meinung nach ist es sehr schlecht, dass diese Integration über diese emotionale nationale Einheit verläuft, die sich für die Verteidigung der Benes-Dekrete formierte. Das ist sehr schlecht, denn die Kommunisten sind energische Kämpfer für die tschechische Wahrheit. Und die anderen Parteien übernehmen die nationalistischen Argumente (der Kommunisten) und die Rolle der Kommunisten während ihrer Integration ist eher negativ. Hoffentlich wird das besser. Ich bin immer ein historischer Optimist. Und ich möchte die Kommunisten weniger nationalistisch und mehr demokratisch sehen."
Wir stellten die Frage, ob nun die Kommunisten als seriöse Partei angesehen werden und mit in die Regierungsverhandlungen eingebunden werden sollen, abschließend auch Petr Fischer von Lidové noviny:
"Nein, nein. Aber Herr Spidla hat ja angenommen, dass die Unterstützung der Kommunisten theoretisch möglich ist. Aber ich glaube, das ist nur Wahltaktik. Herr Spidla hat gesagt, falls die Koalition und die CSSD keine Parlamentsmehrheit erreichen, dass dann die Unterstützung durch die Kommunisten möglich ist. Aber ich hoffe, dass das nicht eintritt. Die Kommunisten haben nämlich bislang nicht bewiesen, dass sie eine moderne linke Partei sind. Und ihr marxistisches Denken gehört bereits der Vergangenheit an. Also, die Kommunisten müssen raus aus der Regierung."