„In Tschechien gibt es neues Dialogfeld zwischen Kunst und Kirche“ - Theologe Kölbl

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Die österreichische ökumenische Zeitschrift „Kunst und Kirche“ hat sich letztes Jahr mit der Frage nach der zeitgenössischen Kunst und Spiritualität in Tschechien beschäftigt. Antworten auf diese Frage finden sich im ersten Heft des vergangenen Jahres. Der Kunsthistoriker und Theologe Alois Kölbl ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift, die viermal jährlich erscheint. Er besuchte Prag, um an einer Diskussion über das Thema teilzunehmen. Bei dieser Gelegenheit entstand das folgende Interview mit Alois Kölbl.

Herr Kölbl, die erste Ausgabe der Zeitschrift „Kunst und Kirche“ in diesem Jahr befasst sich mit der postsäkularen Kunst in Tschechien. Was ist eigentlich typisch für die postsäkulare Zeit?

„Wir wollten eine Ausgabe machen, die sich mit der Situation in Tschechien auseinandersetzt. Erst dachten wir, dass die Überschrift eigentlich ‚säkular’ heißen müsste, da die Situation der Säkularisierung, die Trennung von Staat und Kirche, die Verabschiedung von Religion und die Marginalisierung von Kirche und Religion in Tschechien wahrscheinlich weiter fortgeschritten sind als sonst wo. Im Laufe der Recherche sind wir dann aber darauf gestoßen, dass es doch neue Tendenzen, Anknüpfungspunkte und Arten des Dialogs zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche gibt. Deshalb haben wir das Wort ‚postsäkular’ gewählt.“

Adriena Šimotová  (Foto: Archiv Radio Prag)
Was ist charakteristisch für das Postsäkulare?

„Das hat sehr viel mit der Geschichte zu tun und kommt auch als ein ganz entscheidendes Thema im Heft vor. Die säkulare Situation in Tschechien ist verbunden mit der Gegenreformation, den politischen Konstellationen und mit dem Zeitalter des Kommunismus. Ich glaube, nur aus dieser Geschichte heraus ist die derzeitige Situation zu verstehen. Die Künstlerin Adriena Šimotová hat uns erzählt, wie sie die Zeit des Kommunismus geistig überleben konnte. Mit Hilfe ihrer Kunst, die auch ihre ganz persönliche Spiritualität aufrecht erhielt, hat sie für andere Menschen Treffpunkte, Dialogforen und Rückzugsorte geschaffen. Sie berichtete uns auf ganz beeindruckende Weise, wie sie in einem ehemaligen Franziskanerkloster versucht hat, den Geist des Ortes zu erspüren und aus diesem Geist heraus ihre Kunst zu erschaffen. Ich glaube, genau das schafft diese spezielle Situation hier in Tschechien, die wir versucht haben, zu erforschen. Jüngere Positionen haben natürlich viel weniger mit dieser Geschichte zu tun, da sie selbst in der postsäkularen Zeit leben. Sie gehen damit ganz anders und vielleicht auch spielerischer um, weil sie das Zeitalter der Repression gar nicht selbst erlebt haben. Die kämpferische Situation zwischen Staat und Kirche, vor allem auch der katholischen Kirche, war für uns sehr interessant. Genauso auch die Frage der Restitutionen, die genau zu dem Zeitpunkt, als das Heft entstanden ist, sehr massiv in der gesellschaftlichen Diskussion stand. Beschäftigt haben uns auch die Fragen nach dem Reichtum der Kirche: Wie viel Reichtum darf die Kirche haben? Darf sie überhaupt Geld besitzen? Was müsste sie mit diesem Geld tun? Alle diese Dinge sind natürlich als Thema ins Heft eingegangen. Insgesamt, denke ich, ist Situation in Tschechien sehr speziell, auf gewisse Weise hat sie letztlich aber auch mit den Situationen in anderen Ländern zu tun.“

Alois Kölbl  (Foto: Petr Neubert)
Wie sehen Sie persönlich die Diskussion über die Kirchenrestitutionen? Diese ist ja doch sehr spezifisch, auch im europäischen Maßstab...

„Diese Fragestellung ist so diffizil und differenziert zu betrachten, dass es für mich sehr schwierig ist, dabei eine klare Position einzunehmen. Grundsätzlich, glaube ich, ist es richtig, dass die Kirche aus einer Situation des Besitzers handeln kann. Man kann ihr sozusagen nicht alles wegnehmen, denn sowohl die Kirche als auch die Religion sind nicht nur etwas Privates. Außerdem muss man sehr genau hinschauen, was die Kirche mit dem Geld tut. Die Kirche hat die Möglichkeit zu zeigen, dass die Gesellschaft ohne sie ärmer wäre. Für die Zivilgesellschaft, egal ob für gläubige oder nicht gläubige Menschen, tut die Kirche einen großen Dienst. In meinem Heimatland Österreich läuft zurzeit eine ähnliche Diskussion. Es gab ein Volksbegehren, bei dem es um eine sehr starke Trennung von Kirche und Staat ging und die Kirchenprivilegien abgeschafft werden sollten. Das Ergebnis war aber, dass diese Forderung fast keinen Rückhalt in der Gesellschaft fand, weil es den Kirchen gelungen ist klarzumachen, um wie viel ärmer die Gesellschaft ohne den Beitrag der Kirchen wäre - zum Beispiel im Bildungsbereich, im kulturellen Bereich, im sozialen Bereich und in vielen anderen Bereichen der Zivilgesellschaft.“

Kloster Nový Dvůr  (Foto: Eva Haunerová,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Wie war vorher Ihre Vorstellung von Kirche und Kunst in Tschechien, und wie hat sich diese während der Vorbereitung dieser Ausgabe der Zeitschrift verändert?

„Im Vorfeld hatte ich einen sehr touristischen Blick auf Tschechien. Ich kannte Prag, die Goldene Stadt, die eine wunderbare Harmonie zwischen Profanem und Sakralem in der Architektur besitzt. Wenn man vom Hradschin hinunterschaut, glaubt man, dass es eine heile Welt ist. Es herrscht diese Ausgeglichenheit über die Epochen hinweg, ob das die Gotik- oder die Barockzeit ist, und man kann Kirchentürme neben profanen Bauten finden. Dass das letztlich nur Kulisse ist, war mir damals auch schon bewusst, das habe ich gespürt. Mit der genauen Beschäftigung ist mir das dann aber auch noch viel klarer geworden. Die Brüchigkeit und die Gegensätze in diesen heftigen Diskussionen der Säkularisierung haben viel zu tun mit den Wunden, die man in der Geschichte geschlagen hat, die weit länger zurückgreift als in das Zeitalter des Kommunismus und die viel mit Österreich und der österreichischen Politik verbindet. Ich kenne Adriena Šimotová schon sehr lange, da wir 1997 ein Ausstellungsprojekt mit ihr gemacht haben. Die anderen künstlerischen Positionen kenne ich aber nur aus der Ferne. Für mich war sehr überraschend, dass es doch ein neues Dialogfeld zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche gibt, wie zum Beispiel in St. Salvator oder im Kloster von Nový Dvůr. Dort hat man einen zeitgenössischen Architekten eingeladen, damit dieser in ganz zeitgenössischen Formen ein Kloster baut. Solche und viele andere Dinge werden von außen kaum wahrgenommen. Das Ziel unseres Heftes ist es, dieser Dimension Tschechiens ein Forum zu geben, um sie wahrzunehmen und daraus zu lernen.“

Patrik Hábl  (Foto: NoJin,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Die postsäkulare Zeit ist eigentlich eine Zeit der Suche nach Spiritualität. Wie kann Ihrer Meinung nach die Gegenwartskunst bei dieser Suche eine Art Brücke zwischen Kunst und Kirche darstellen?

„Auch ich erlebe unsere Zeit als eine Suchbewegung zur Spiritualität, obwohl das sehr oft verschüttet ist, gerade auch in der jungen Generation. Wir leben nämlich gleichzeitig in einem unglaublichen Konsumzeitalter und in einer Zeit von überbordenden Angeboten. Da ist es wahnsinnig schwierig, sich zu entscheiden, weil man sich immer möglichst viele Optionen offen lassen will. Ich glaube gerade an diesem Punkt kann die Kunst einen ganz wesentlichen Beitrag zur Spiritualität leisten, indem sie versucht, innezuhalten und eine kontemplative Haltung einzunehmen. Neulich hatte ich ein sehr schönes Gespräch mit Patrik Hábl. Er hat jetzt eine Ausstellung im Prager Künstlerzentrum DOX, und eines seiner primären Ziele ist es innezuhalten. Seine Kunst lädt zu einer kontemplativen Haltung ein, zum Stehenbleiben und Schauen. Man soll sich konzentrieren und auf etwas einlassen. Das ist sehr viel. Gerade in dieser hektischen und schnelllebigen Zeit mit so vielen Angeboten und gleichzeitig so vielen Fragen ist diese Haltung, denke ich, ein unglaublich wichtiger Dienst. So kann es tatsächlich gelungene Allianzen zwischen Kunst und Kirche geben, ohne dass man sich gegenseitig vereinnahmt oder über die Maßen in Dienst nimmt. Ich glaube, es ist wichtig, diesen Dialog zuzulassen und zu spüren, dass die Kunst auch eine Bewegung in Gang setzen kann, die unserer Gesellschaft insgesamt hilft.“


Dieser Beitrag wurde am 13. Juni 2013 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.